Tier­rechte als Subversion

nurz­ums­pass [CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)]

60 Jahre nach der kuba­ni­schen Revo­lu­tion gibt es nicht viel zu feiern, oder? Unser Autor hat die Insel in diesen Tagen besucht – und dabei Schönes, Skurriles und Subver­sives notiert.

Alle reden übers Wetter – sie auch, die Kubaner und Kuba­ne­rinnen, die den auswär­tigen Gast gleich dring­lichst um Vorsicht bitten: Foto­gra­fiere uns nicht, mache unsere Iden­ti­täten unkennt­lich, aber vermittle „denen da draußen“ das, was wir sagen. Weder Paranoia noch Wich­tig­tuerei ist das, sondern das verblüf­fende Wissen um ideo­lo­gi­sche Arbeits­be­schaf­fungs­maß­nahmen außerhalb der Insel. Denn sowohl kuba­ni­sche Botschafts­mit­ar­beiter wie auch manch regime-nahe Kuba-Initia­tive west­li­cher Altlinker durch­for­schen das Internet nach Spuren reni­tenter „Infor­manten“. Deshalb, quasi fürs Protokoll der Leser: Die Orte des Gesche­hens sind nicht unbedingt jene der Kommen­tie­rung, und nur im tempo­rären Schutz des halb-anonymen abend­li­chen Ausgeh-Gedrän­gels wird ausgiebig erzählt. Vom Wetter, von Umwelt- und Tier­schutz, von Gender-Gerech­tig­keit und sprach­li­cher Acht­sam­keit. Es ist ein gänzlich anderer Diskurs als bei „denen da draußen“, über deren Ignoranz und Erfah­rungs­mangel gern wortreich gespottet wird. 

Portrait von Marko Martin

Marko Martin ist Schrift­steller und Publizist.

„Lass uns hoffen und die Finger kreuzen, dass der Tornado vom Januar die gleiche Nach­wir­kung hat wie Tscher­nobyl vor 33 Jahren.“ Habe 1986 die krimi­nelle Schlam­perei einer maroden Staats­wirt­schaft das ruhmlose Ende des sowje­ti­schen Effizienz-Mythos einge­läutet, so sei nun auch der Wirbel­sturm von Anfang 2019 nicht zu unter­schätzen. Während nämlich die offi­zi­elle Propa­ganda-Maschi­nerie der staat­li­chen Medien weiterhin stur an Fidel Castros sieg­rei­chen Einzug ins Januar-Havanna von 1959 erinnerte und die Toten und Verletzten des aktuellen Sturms zu heroi­schen Opfern eines vermeint­lich ewigen Kampfes („la lucha“) umdeutete, konnte die langsam entste­hende Zivil­ge­sell­schaft jetzt erstmals zeigen, was bereits in ihr steckt. Ohne auch nur eine Minute auf den schwer­fäl­ligen Regie­rungs­ap­parat zu warten, hatten sich städ­ti­sche Facebook-Gruppen gegründet, um für die obdachlos Gewor­denen in den Vororten und im Landes­in­neren unbü­ro­kra­ti­sche Hilfe zu orga­ni­sieren. Und nicht etwa die Armee oder das berühmt-berüch­tigte „Komitee zur Vertei­di­gung der Revo­lu­tion“, jene überall auf der Insel präsente Block­warts-Stasi, hatte schnell für provi­so­ri­sche Unter­künfte und schwierig zu beschaf­fende Bauma­te­ria­lien gesorgt, sondern die digitale Vernet­zung ganz normaler Bürger. Obwohl die Mehrheit auf der Insel noch immer ohne Internet-Anschluß ist, konnte durch Mobil­te­le­fone – fast immer gekauft dank der Geld­über­wei­sungen der Auslands-Kubaner – eine Art Hilfs-Community der Gegen­öf­fent­lich­keit entstehen. Und es waren zahl­reiche Betreiber der inzwi­schen erlaubten, oft nur wohn­zim­mer­großen Privat-Restau­rants, die spontan Lebens­mittel einpackten und in ihren Autos – klapprige Dodges aus vor- und knat­ternde sowje­ti­sche Ladas aus nach­re­vo­lu­tio­närer Zeit – an Orte brachten, wo der Tornado am schlimmsten gewütet hatte.

„Mit so etwas war die Staats­macht voll­kommen über­for­dert. Aber was sollte sie dagegen tun? Das nun aufge­kom­mene Reden über Klima­wandel und nach­hal­ti­geres Bauen läßt sich ja auch bei schlech­testem Willen nicht einfach als ‚konter­re­vo­lu­tionär‘ denun­zieren. Das alles hat sie genauso kalt erwischt wie kurz danach diese Anmeldung zur ersten nicht-offi­zi­ellen Stra­ßen­de­mons­tra­tion seit 1959, die sie schließ­lich ebenfalls geneh­migen musste.“

Offener Spott über Allmachts­fan­ta­sien ist zu riskant – noch

Bei der Kund­ge­bung in Havannas Stadt­viertel Vedado (das in auslän­di­schen Medien ob seiner vermeint­li­chen Harm­lo­sig­keit freilich nahezu inexis­tent bleiben würde) ging es um Tier­rechte. „Solange uns die da oben keine poli­ti­schen Menschen­rechte zuge­stehen, gehen wir eben für Tiere auf die Straße, für Sensi­bi­lität gegenüber Stra­ßen­hunden, für Steri­li­sa­ti­ons­mög­lich­keiten für Haus­katzen.“ Der Fort­schritt ist – ein weiteres Tier – eine Schnecke. Doch hat Ähnliches vor drei Jahr­zehnten bereits eine andere Diktatur erfolg­reich zermürbt: Taiwans Eman­zi­pa­tion aus dem Schatten der Tschiang-Fami­li­en­dik­tatur hat mit scheinbar unpo­li­ti­schen Protesten gegen falsche Angaben auf Lebens­mit­tel­ver­pa­ckungen begonnen. Der histo­ri­sche Vergleich, inzwi­schen zumindest für jene Avan­cierten im teuren Internet zu googeln, deren Monats­ein­kommen mehr als die üblichen 25 Euro beträgt, stößt jedoch an die Grenzen plan­wirt­schaft­li­cher Realität: „So viele Verpa­ckungen gibts auf  Kuba leider nicht. Da halten wir uns vorerst an unsere Tiere.“

Oder an die Sprache. Denn welch immense Anzahl von Frage­zei­chen, von Scherz- und Rätsel­sätzen ist da an einer der Wände des Kultur­zen­trums „El Mejunje“ auszu­ma­chen! Und das ausge­rechnet in Santa Clara, inselweit bekannt für einer der revo­lu­ti­ons­ent­schei­denden Mili­tär­ak­tionen Che Guevaras, dem deshalb in der Stadt mit gleich zwei Statuen gedacht wird. Die eine über­le­bens­groß auf einem gigan­ti­schen Stein­block thronend und bewacht von Sonnen­brillen-Machos im Kampf­dril­lich, die andere in nicht minder einschüch­ternder Bronze: „Der Che“ mit einem Kind auf  dem Arm, beide heroisch in Richtung Zukunft starrend, während aus dem geöff­neten Koppel­schloss des Revo­lu­tio­närs Unifor­mierte en miniature heraus­mar­schieren. Im Hinter­grund: Plakate und Hauswand-Slogans mit den herri­schen Durch­halte-Slogans der Brüder Castro, selbst­ver­ständ­lich auf Ausru­fe­zei­chen endend.

Noch wäre offener Spott über derlei Macht­ma­ni­fes­ta­tion zu riskant. Die geweißte Clubwand von „El Mejunje“ jedoch, vor der Frauen und Männer, Heteros, Schwule, Lesben, Spät­hip­pies, Punks, kuba­ni­sche Hipster und Trans­se­xu­elle zu einhei­mi­schen Reggaeton-Rhythmen und inter­na­tio­nalen Charts-Hits tanzen, wird  vom Regime inzwi­schen hinge­nommen (oder in machis­ti­scher Arroganz schlichtweg übersehen). Dabei sind die Fragen von Luisa, Teresa, Patricia und all den anderen ein gewitzter Seiten­hieb auf das humorlose Gewalt-Pathos der Herr­schenden. Gutge­launt wird etwa nach dem Verhältnis zwischen männ­li­chem Bier­konsum und Monogamie gefragt. Oder welche Haut­farben-Kombi­na­tion und Körper-Konstel­la­tion bei einer Orgie wohl einen Regen­bogen oder ein Schach­brett hervor­bringen könnten.

Apropos! Miss­bil­li­gende Blicke auf solche Wand­auf­schriften kamen nicht etwa von kuba­ni­schen Poli­zisten, sondern von den touris­ti­schen Geis­tes­ver­wandten aus kana­di­schen, west­eu­ro­päi­schen und sogar austra­li­schen Univer­si­täten. „Da monierten barsche Frauen in schreck­li­chem Spanisch, dass wir nicht femi­nis­tisch genug seien. Pikierte Großstadt-Schwule störten sich an den fröhlich raum­grei­fenden Bewe­gungen der Ragga-Reggae-Tänzer, und den ganz Gesund­heits­be­wussten missfiel unser Ziga­ret­ten­rau­chen – obwohl wir doch nach oben paffen, gegen den freien Samt­himmel. Dazu bizarre Öko-Familien, die ausge­rechnet in Schlag­loch-Kuba Fahr­rad­ur­laub machen und uns tatsäch­lich dazu beglück­wün­schen, dank der staat­li­chen Lebens­mit­tel­karten bislang vom ‚west­li­chen Fleisch-Terror‘ verschont geblieben zu sein. Oder jene, die uns vorschreiben, zu unseren Lovern ‚Afro-Kubaner‘ zu sagen anstatt ‚Mulato lindo‘ und Sexismus wittern, nur weil wir dauernd diese Anspie­lungen machen auf die schöne Anatomie von culos und pingas.

Geschlech­ter­über­grei­fendes Lachen über die neuesten west­li­chen Kate­chismus-Regeln; laut, geradezu dröhnend und dennoch gelassen, voll souve­räner Verach­tung. Feinstes Gespür der noch immer auf der Insel Einge­sperrten für Zurich­tungs­phan­ta­sien – auch dann, wenn sie von „draußen“ kommen, aus der vermeint­lich „freien Welt“. Womöglich ist es ja gerade nicht (wie von den beiden toten weißen Männern Che und Fidel bis zum Erbrechen dekre­tiert) la revo­lu­ción, die eine lección darstellt, sondern im Gegenteil die Würde und die zunehmend angst­freie Alltags­sub­ver­sion derer, die solches bis heute über­stehen müssen – indessen selbst­be­wusster denn je.

Textende

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