Wie die Digi­ta­li­sie­rung die Markt­wirt­schaft untergräbt

© Shut­ter­stock

„The winner takes it all“: Das Netz wird von einer Handvoll Firmen dominiert. Aber digitale Monopole sind nicht nur für den Verbrau­cher ärgerlich. Sie haben handfeste poli­ti­sche Konse­quenzen, die eine Gefahr für die Demo­kratie sind.

Eine zentrale Voraus­set­zung für eine funk­tio­nie­rende Markt­wirt­schaft ist das Fehlen von Markt­macht. Die voran­schrei­tende Digi­ta­li­sie­rung der Wirt­schaft unter­gräbt dieses Charak­te­ris­tikum der Markt­wirt­schaft aller­dings – zumindest zum Teil. Es sind vor allem Beson­der­heiten bei der Kosten­struktur und bei den Eigen­schaften von digitalen Gütern, die das Entstehen von Monopolen erleich­tern. Als Resultat erhöhen Unter­nehmen, die als alleinige Anbieter agieren, ihre Gewinne dann zulasten der Verbrau­cher und der Beschäftigten. 

Portrait von Albrecht Sonntag

Thieß Petersen ist Senior Advisor der Bertels­mann Stiftung und Lehr­be­auf­tragter an der Europa-Univer­sität Viadrina in Frankfurt (Oder).

Die voran­schrei­tende Digi­ta­li­sie­rung bringt im Wesent­li­chen eine immer stärkere Ausbrei­tung von Infor­ma­tions- und Kommu­ni­ka­ti­ons­tech­no­lo­gien in allen Bereichen des mensch­li­chen Lebens mit sich. Das betrifft nicht nur Produk­ti­ons­pro­zesse, sondern auch den Konsum (Online-Shopping), die Bildung (E‑Learning), die poli­ti­sche Teilhabe (E‑Governance), das Verkehrs- und Gesund­heits­wesen und vieles mehr – bis hin zum Freizeit- und Kommu­ni­ka­ti­ons­ver­halten (soziale Medien, wie z. B. Facebook).

Aus ökono­mi­scher Sicht spielen digitale Güter und Platt­form­märkte dabei eine besonders wichtige Rolle:

  • Zu den digitalen Gütern gehören vor allem Soft­ware­pro­gramme, Inhalte (Musik, Filme, Texte etc.), Über­tra­gungs­tech­niken (E‑Mail, Internet etc.) sowie alle damit verbun­denen Servicedienstleistungen.
  • Bei digitalen Platt­form­märkten handelt es sich um Platt­formen, die Markt­teil­nehmer mitein­ander verbinden und Tausch­ak­ti­vi­täten ermög­li­chen, die sonst gar nicht oder nur zu viel höheren Kosten möglich wären.

Die „Null-Grenz­kosten-Gesell­schaft“

Digitale Güter und die für ihre Über­tra­gung erfor­der­li­chen Netzwerke zeichnen sich durch eine besondere Kosten­struktur aus. So ist die Bereit­stel­lung von Netzen, wie z. B. von Telefon- oder Breit­band­netzen, mit sehr hohen Aufbau­kosten verbunden. Gleiches gilt für die Entwick­lung von Betriebs­sys­temen und Anwen­dungs­soft­ware. Dagegen ist die Verviel­fäl­ti­gung und Auslie­fe­rung eines Compu­ter­pro­gramms, eines Musik­stücks oder eines Videos etwa über einen Download meistens sehr günstig, da hierbei nur geringe Zusatz­kosten entstehen. Im Extrem­fall kann die Verbrei­tung digitaler Güter sogar ohne zusätz­liche Kosten erfolgen. Der US-Ökonom Jeremy Rifkin spricht in diesem Kontext von einer „Null-Grenz­kosten-Gesell­schaft“.

Liegt diese Kosten­kon­stel­la­tion vor, sinken die Stück­kosten bei einem Anstieg der produ­zierten Menge, weil sich die hohen Fixkosten auf viele Produkt­ein­heiten verteilen. Dies bedeutet: Das Unter­nehmen, das die größte Menge anbietet, hat die geringsten Stück­kosten und kann den Käufern deshalb den nied­rigsten Preis anbieten. Früher oder später verdrängt dieses Unter­nehmen damit alle anderen Anbieter vom Markt. Als Ergebnis entsteht in diesem Fall, wie Ökonomen sagen, ein natür­li­ches Monopol.

Bei großen Netz­werken kommt es zum „Winner takes it all“-Phänomen

Der Nutzen einer Plattform hängt maßgeb­lich von der Größe des Netz­werkes ab: Je mehr Teil­nehmer etwa in einem Tele­fon­netz, einem sozialen Netzwerk oder einer Online-Tausch­börse aktiv sind, desto attrak­tiver ist es für andere Inter­es­senten, sich diesem anzu­schließen. Ein Beispiel: Nutzer wollen die Online-Plattform, auf der sie nach Möglich­keit alle Wohnungs­an­ge­bote für einen Kurz­ur­laub finden – und nicht nur 30 Prozent davon.

Bei dieser Form der Nutzen­stif­tung setzt sich folge­richtig der Anbieter durch, der die meisten Teil­nehmer hat – und es kommt zum soge­nannten „The winner takes it all“-Phänomen. Das Ergebnis ist erneut ein Monopol.

Die Entste­hung von Markt­macht wird auf digitalen Märkten schließ­lich noch dadurch gefördert, dass Unter­nehmen den Wechsel zu einem anderen Anbieter erschweren können. Wenn beispiels­weise die Anmeldung bei einem Online-Händler sehr umfang­reich ist und daher auch viel Zeit in Anspruch nimmt, wird ein Kunde bei seinem Händler bleiben, selbst wenn das gewünschte Produkt bei dem anderen Online-Anbieter billiger ist. Genauso wird ein Anwender seiner Software, deren Verständnis und Beherr­schung ihm viel Zeit und Anstren­gung abver­langt hat, treu bleiben, obwohl ein anderes Programm leis­tungs­fä­higer und kosten­güns­tiger ist.

Hohe Kosten eines Anbie­ter­wech­sels können so den Wechsel zu einem preis­wer­teren Produkt verhin­dern. Infol­ge­dessen können sich neue Wett­be­werber häufig nicht durch­setzen, obwohl sie bessere Angebote haben.

Wirt­schaft­liche Macht kann zu poli­ti­scher Macht werden

Monopole sind aus mindes­tens fünf Gründen proble­ma­tisch – vor allem für die Verbrau­cher, aber nicht nur für sie:

  1. Mono­po­lis­tisch agierende Unter­nehmen können höhere Preise fordern, weil sie keine Konkur­renz fürchten müssen. Höhere Preise schmälern die Kaufkraft der Verbrau­cher und verrin­gert deren Konsummöglichkeiten.
  2. Mithilfe von Big-Data-Algo­rithmen lässt sich bestimmen, wie hoch die Zahlungs­be­reit­schaft eines poten­zi­ellen Käufers für ein bestimmtes Produkt ist. Wenn ein Mono­po­list Infor­ma­tionen über die maximale Zahlungs­be­reit­schaft der einzelnen Kunden hat, kann er mit perso­na­li­sierten Preisen arbeiten. Wer bereit ist, mehr als den Markt­preis zu bezahlen, muss dann auch tatsäch­lich mehr zahlen. Mit diesem Vorgehen erhöhen die Unter­nehmen ihren Gewinn zulasten der Verbraucher.
  3. Ein Mono­po­list verfügt auch als Nach­frager über eine Markt­macht, mit der er die Preise für Vorleis­tungen und die Löhne senken kann. Entspre­chend gibt es Hinweise, dass das Aufkommen von Firmen wie Google, Apple, Amazon, Facebook und Uber auf die Löhne drückt.
  4. Ohne Konkur­renz gibt es keinen Zwang, die Qualität der Produkte zu verbes­sern und die Preise durch tech­no­lo­gi­schen Fort­schritt zu senken. Damit kommt der zentrale Vorteil der Markt­wirt­schaft für die Verbrau­cher – ein sich mit der Zeit verbes­serndes Produkt­an­gebot zu gerin­geren Preisen – nicht mehr zustande.
  5. Wirt­schaft­liche Macht kann schließ­lich auch zu poli­ti­scher Macht werden, denn Mono­pol­firmen sind als Arbeit­geber und Steu­er­zahler ein wichtiger Akteur. Damit steigt die Wahr­schein­lich­keit, dass sich poli­ti­sche Entscheider verstärkt für diese Unter­nehmen und deren Partial­in­ter­essen einsetzen.

Digitale Monopole führen dazu, dass die gesell­schaft­liche Akzeptanz von Digi­ta­li­sie­rung und Globa­li­sie­rung abnimmt

Es ist eine der zentralen wirt­schafts­po­li­ti­schen Heraus­for­de­rungen unserer Zeit, die Ausnut­zung von digi­ta­li­sie­rungs­be­dingter Markt­macht zu verhin­dern. Dabei stoßen die tradi­tio­nellen Instru­mente der Wett­be­werbs­po­litik aller­dings an ihre Grenzen. Dies beginnt bereits bei der Abgren­zung des rele­vanten Marktes: Um fest­zu­stellen, ob ein Anbieter über eine so große Markt­macht verfügt, dass ein Einschreiten der Kartell­be­hörden erfor­der­lich wird, muss der betref­fende Markt geogra­fisch abge­grenzt werden. Diese Abgren­zung fällt jedoch schwer, wenn das Internet dafür sorgt, dass der relevante Markt tenden­ziell global ist.

Zudem stellt sich die Frage, wer globale Monopole bändigen soll. Ein zentrales Instru­ment der Wett­be­werbs­po­litik, die Zerschla­gung eines natür­li­chen Monopols, kommt dafür nicht infrage: Zum Beispiel wäre eine Auftei­lung von Facebook in mehrere Anbieter für verschie­dene Regionen nicht sinnvoll, weil damit der Vorteil der großen Teil­neh­mer­zahlen verloren geht.

Dennoch sind staat­liche Akteure nicht voll­kommen hand­lungs­un­fähig. Das zeigen die Strafen, die die EU-Kommis­sion in den letzten beiden Jahren gegen Google verhängt hat. Der Hinter­grund: Gegen­wärtig werden mehr als 90 Prozent aller Such­an­fragen in Deutsch­land von Google beant­wortet. Auch auf euro­päi­scher Ebene hat Google eine markt­be­herr­schende Stellung. Und die damit verbun­dene Markt­macht hat der Konzern nach Über­zeu­gung der EU-Kommis­sion bereits mehrfach ausgenutzt.

Seit Sommer 2017 hat die EU-Kommis­sion gegen Google drei Strafen wegen Miss­brauchs der Markt­macht ausge­spro­chen. Im Juni 2017 lag die Strafe bei 2,42 Milli­arden Euro, im Juli 2018 bei 4,34 Milli­arden Euro. Beides waren die bis dato jeweils höchsten Geldbußen, mit denen ein einzelnes Unter­nehmen jemals von der EU belegt wurde. Die dritte Strafe wegen des Miss­brauchs einer markt­be­herr­schenden Stellung wurde im März 2019 verhängt. Sie lag bei 1,49 Milli­arden Euro.

Dieses Beispiel zeigt, dass digi­ta­li­sie­rungs­be­dingte Markt­macht ein sehr ernst zu nehmendes Problem ist. Um es in den Griff zu bekommen, müssen die wett­be­werbs­po­li­ti­schen Schwie­rig­keiten beim Umgang mit den Mono­po­li­sie­rungs­ten­denzen der Digi­ta­li­sie­rung gelöst werden. Ansonsten können Mono­po­listen ihre Gewinne unge­hin­dert zulasten der Verbrau­cher steigern. Als weit­rei­chende Folge würde zudem die gesell­schaft­liche Akzeptanz der Digi­ta­li­sie­rung und auch der Globa­li­sie­rung abnehmen.

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