NARRATIV-CHECK

Was hinter radi­ka­li­sie­renden Botschaften steckt.

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NARRATIV-CHECK

Was hinter radikalisierenden
Botschaften steckt.

Was Esoterik Macht
How to deal with
Paral­lel­welt Esoterik:
Zum Umgang mit Betrof­fenen und Angehörigen

von Sarah Pohl

Der Esote­rik­markt ist groß und offeriert verschie­denste Verspre­chen der Sinn­ge­bung. Die Angebote sehr unter­schied­li­cher Anbieter reichen von Produkten und spiri­tu­ellen Hilfs­an­ge­boten bis zu Heilungs­ver­spre­chen bei schwerer Krankheit. Nicht alle sind seriös, viele kost­spielig und einige sogar gefähr­lich. In welcher Weise sind Bera­tungs­stellen mit Esoterik konfron­tiert? Die Autorin ist Diplom-Pädagogin und Heil­prak­ti­kerin für Psycho­the­rapie und leitet die Zentrale Bera­tungs­stelle für Welt­an­schau­ungs­fragen des Landes Baden-Würt­tem­berg (ZEBRA).

Jeder darf glauben, was er will. Glaube versetzt ja bekann­ter­maßen Berge und kann deshalb auch zur Ressource in schwie­rigen Zeiten werden. Als landes­ge­för­derte Bera­tungs­stelle für Welt­an­schau­ungs­fragen (ZEBRA/​BW) sind Religions- und Meinungs­frei­heit als Grund­rechte die wich­tigste Basis unserer Arbeit. Doch hat Toleranz und Neutra­lität auch Grenzen?

Es gibt heut­zu­tage eine Vielzahl esote­ri­scher Angebote und Anbieter, die Sinn­su­chenden eine bunte Palette an Produkten, Retreats oder Kursen offe­rieren. Von ener­ge­ti­sie­renden Raum­sprays über Kakao­ze­re­mo­nien und Schwitz­hütten bis zu neuheid­ni­schen Ritualen ist alles dabei, was spiri­tu­elle Weiter­ent­wick­lung oder die (vermeint­liche) Lösung gesund­heit­li­cher und psychi­scher Probleme verspricht – viel­leicht aber auch nur dem Geld­beutel der Anbieter dient.

Esoterik ist kein fest umris­senes Feld, sondern passt sich fluide an Bedürf­nisse wie Erleb­nis­ori­en­tie­rung, Wellness, Selbst­ver­wirk­li­chung oder Sinnsuche an. Esote­ri­sche Welt­bilder können dabei auch ein Nährboden für verschwö­rungs­nahe Welt­bilder und anti­de­mo­kra­ti­sche Haltungen sein; der gemein­same Nenner ist hier die grund­le­gende Skepsis gegenüber poli­ti­schen Instanzen, Medizin und Wissen­schaft. Zudem bestehen teilweise struk­tu­relle Ähnlich­keiten. Dies betrifft – neben der Geschlos­sen­heit der Welt­bilder – verein­fa­chende Denk­muster, Feind­bild­pflege oder Schwarz-Weiß-Denken.

Mindes­tens proble­ma­tisch und oftmals gefähr­lich wird es, wenn Menschen von unse­riösen Anbietern regel­recht ausge­nommen werden, wenn Abhän­gig­keiten entstehen, mit Mani­pu­la­tionen und Tricks gear­beitet wird, wenn zum Beispiel anti­se­mi­ti­sche Versatz­stücke einfließen und andere konkrete Feind­bilder gepflegt werden oder wenn notwenige medi­zi­ni­sche Behand­lungen verhin­dert, psychi­sche Probleme spiri­tua­li­siert werden. Oft wendet sich in diesen Fällen zuerst das Umfeld an uns, weil beispiels­weise der Kontakt nach Streit über die neu entdeckten Welt­sichten und Über­zeu­gungen abge­bro­chen wurde, oder weil Ange­hö­rige und Freunde sich Sorgen machen, der Andere könne sich verschulden oder mani­pu­liert werden. Wir unter­scheiden hier zwischen primär und sekundär Betroffenen.

Doch uns kontak­tieren auch die Sinn­su­chenden (primär Betrof­fenen) selbst. Vielen gelingt es heut­zu­tage von sich aus kaum noch, zwischen harmlosen und poten­ziell schäd­li­chen Angeboten zu unter­scheiden. Um hier helfen zu können, muss man sich verge­gen­wär­tigen: Es ist niemandem geholfen, wenn wir esote­ri­sche Angebote per se verur­teilen oder sie belächeln. Vielmehr braucht es einen tole­ranten und dennoch grenz­sen­si­blen Umgang.

Denn manch ein Angebot wie zum Beispiel ein Medi­ta­ti­ons­retreat oder ein Schwitz­hüt­ten­ri­tual kann in bestimmten Lebens­phasen durchaus hilfreich für den Einzelnen sein. In unserer Bera­tungs­stelle bieten wir deshalb eine Orien­tie­rungs­hilfe zur Einord­nung der Angebote, etwa mit Check­listen und persön­li­chen Gesprä­chen über die eigenen Bedürf­nisse und darüber, wie diese zum jewei­ligen Angebot passen.

Ein Ziel unserer Arbeit ist, dass Sinn­su­chende selbst lernen, Angebote und Anbieter kritisch zu beur­teilen und sich ihrer eigenen Bedürf­nisse bewusst werden. Hilf­reiche Fragen für eine solche Annä­he­rung sind: Arbeiten Anbieter mit Ängsten, neigen sie zur Selbst­über­hö­hung der eigenen Person oder Orga­ni­sa­tion und zur Selbst­in­sze­nie­rung oder mangelt es ihnen an Gespür für persön­liche Grenzen? Dies sind Alarm­zei­chen, auf die der Einzelne achten sollte. Ein weiterer Hinweis: Unseriöse Anbieter nutzen häufig Immu­ni­sie­rungs­stra­te­gien im Sinne von „Wenn das Angebot hilft, dann ist dies mein Verdienst, wenn es nichts bringt, dann liegt das an Ihnen“.

Die Strategie ist simpel: Erfolg geht auf die Kappe des Anbieters, Miss­erfolg wird dem Sinn- und Ratsu­chenden ange­lastet. Daneben spielt die Beratung des Umfeldes, der sekundär Betrof­fenen, eine wichtige Rolle, denn ein sensibles Netzwerk hilft immer auch den Betrof­fenen selbst.

 

Was tun?
Empfeh­lungen aus der Beratungspraxis

Was können Sie nun konkret tun, wenn jemand in Ihrem Umfeld in eine esote­ri­sche Filter­blase oder Paral­lel­welt abtaucht – oder Sie sich sorgen, dass dies passieren könnte?

  Halten Sie Kontakt!

So verhin­dern Sie, dass die Person in einer esote­ri­schen Filter­blase verschwindet, in der man sich gegen­seitig bestätigt und kritische Nach­fragen kaum vorkommen. Das geht manchmal am besten, wenn man eine Diskus­sion über Glau­bens­in­halte ausklam­mert und eher über dahin­ter­lie­gende Bedürf­nisse und Gefühle spricht.
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  Verwech­seln Sie den Menschen nicht mit seiner Meinung oder Glaubensüberzeugung!

Suchen Sie nach Begeg­nungs­räumen, neutralen Themen und Gemein­sam­keiten. Meist gibt es mehr Verbin­dendes als Tren­nendes. Eine Meinung oder poli­ti­sche Einstel­lung kann man verur­teilen. Nicht jedoch den Menschen, der sie vertritt.
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  Verstehen statt Verurteilen

Versuchen Sie zu ergründen, welche Bedürf­nisse sich die Person durch das Angebot erfüllen möchte. Vermeiden Sie Vorwürfe und bleiben Sie respektvoll.
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 Grenzen setzen

Ziehen Sie eine deutliche Grenze, wenn der Betref­fende etwa um Geld bittet, wenn Sie selbst zu lange um das Thema kreisen, wenn Grenzen der Meinungs­frei­heit über­schritten oder menschen­feind­liche Posi­tionen vertreten werden, wie bei Hassrede, Gewalt­an­dro­hung oder Diffa­mie­rung. Denn Schweigen kann auch als Zustim­mung gedeutet werden. Grenzen Sie sich von den Über­zeu­gungen oder bestimmten Äuße­rungen ab, aber nicht von der Person.
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Ein Distan­zie­rungs- und Ausstiegs­pro­zess aus einer esote­ri­schen Filter­blase ist meist mit vielen Heraus­for­de­rungen verbunden. In solch einer Zeit ist ein tragendes soziales Netzwerk besonders wichtig. Wichtig ist auch, dass die Person nach der Abgren­zung von einem Angebot oder Anbieter nicht selbst in eine Opfer­rolle verfällt und den Anbieter zum Sünden­bock macht, da sonst die Chance verpasst wird, aus der Erfahrung zu lernen und Selbst­wirk­sam­keit zu erleben. Eine kritische Ausein­an­der­set­zung mit eigenen Wünschen und Bedürf­nissen ist letztlich die beste Präven­tion, um nicht auf den nächsten unse­riösen Anbieter herein­zu­fallen, der simple Lösungen oder schnelle Erfüllung eigener Wünsche verspricht.

Die Zentrale Bera­tungs­stelle für Welt­an­schau­ungs­fragen des Landes Baden-Würt­tem­berg (ZEBRA/​BW) bietet eine religiös neutrale und vom Kultus­mi­nis­te­rium Baden-Würt­tem­berg geför­derte Beratung für Menschen, die Orien­tie­rung auf dem Markt der Welt­an­schau­ungen suchen. Mehr Infor­ma­tionen finden Sie hier: zebra-bw.com