„Es braucht eine Friedenspolitik, die diesen Namen verdient“
„An der Frage der Unterstützung der Ukraine und dem Umgang mit Russland bilden sich neue politische Konstellationen. Die nächste Bundesregierung muss alles tun, damit die Ukraine aus einer Position militärischer Stärke verhandeln kann. Und sie muss bereit sein, für deren künftige Sicherheit einzustehen“, schreibt Ralf Fücks in seinem Gastbeitrag für „Welt am Sonntag“.
Die politische Fieberkurve steigt, aber der Krieg vor unserer Haustür kommt im Bundestagswahlkampf allenfalls unter „ferner liefen“ vor. Ein bisschen Aufregung gab es noch um die Aufstockung der Ukraine-Hilfen um 3 Milliarden Euro. Damit sollte die Kürzung annähernd kompensiert werden, die von der verflossenen Ampel im Haushaltsentwurf 2025 vorgenommen wurde.
Unsere Außenministerin war dafür, der Verteidigungsminister auch. Doch Bundeskanzler Scholz legte sich quer. Ohne Lockerung der Schuldenbremse sei das nicht zu finanzieren, es sei denn, man nehme das Geld den Rentnern weg. Das sei mit der SPD nicht zu machen. Eindringlich warnte er davor, die Ukraine-Hilfen gegen Sozialausgaben auszuspielen – also just das, was er mit Wonne und nicht ohne Tücke tat. Ganz nach dem Motto: Wem das Wasser bis zum Hals steht, dem ist kein Strohhalm zu schäbig. Er konnte ja nicht ahnen, dass ihm Friedrich Merz kurz darauf einen unverhofften Rettungsring zuwerfen würde. Olaf Scholz kann sich jetzt nicht nur zum Schutzpatron der Rentner, sondern zum letzten Bollwerk gegen den drohenden Rechtsruck aufwerfen.
Seit dem Salto mortale der Union – wir nehmen zähneknirschend Mehrheiten in Kauf, die wir keinesfalls wollen – hat die Republik ihren Aufreger. Was zählt da schon eine Petitesse wie die Ukraine!
In der Holocaust-Gedenkstunde des Bundestags am 29. Januar sagte der ukrainische Jude Roman Schwarzman, der einst als Kind knapp das Ghetto überlebte und jetzt mit Glück der Zerstörung seiner Wohnung durch eine russische Rakete entging: Hitler wollte mich töten, weil ich Jude bin. Putin will mich töten, weil ich Ukrainer bin. Wiegt euch nicht in der Illusion, Putin würde sich damit zufriedengeben, die Ukraine wieder zur russischen Kolonie zu machen. Wir tun alles, um euch den Krieg vom Leib zu halten. Dafür erwarten wir nicht mehr, als dass ihr uns mit allem unterstützt, was wir brauchen, um den russischen Angriff abzuwehren und die Menschen in den besetzten Gebieten zu befreien.
Dafür gab es viel Beifall, auch wenn vermutlich nicht alle Abgeordnete über diesen Einbruch der Gegenwart in das Gedenken an die Shoa begeistert waren. Kanzler Scholz hat, soweit das von der Tribüne zu sehen war, Roman Schwarzman nicht zu seiner Rede gratuliert. Vielleicht fühlte er sich auf den Schlips getreten, als dieser betagte, aber immer noch kraftvolle jüdisch-ukrainische Patriot darum bat, seinem Land mehr Luftabwehr, Flugzeuge und weitreichende Lenkwaffen zu liefern. Sie könnten die russische Lufthoheit brechen und die Stützpunkte angreifen, von denen täglich die Bomber aufsteigen, um ihre tödliche Fracht in die Ukraine zu senden.
Olaf Scholz verfolgt schon lange eine andere Linie: Nichts tun, was Putin womöglich provozieren könnte, Deutschland und die NATO als Kriegspartei zu sehen. Und zuhause fortissimo auf der Klaviatur der deutschen Kriegsangst spielen, um sich und die SPD als Garant des Friedens zu inszenieren. Dabei führt Russland längst einen hybriden Krieg gegen das demokratische Europa, einschließlich Sabotage und Desinformation aus vollen Rohren. Der Kreml tut alles, um die liberalen Demokratien zu destabilisieren, während unsere Politik an den Sturz des Putin-Regimes nicht einmal denken will.
Dabei läge in einer russischen Niederlage in der Ukraine eine historische Chance auf ein anderes, post-imperiales Russland, vor dem seine Nachbarn sich nicht fürchten müssen. Ein Sturz Putins wird nicht zu einer lupenreinen Demokratie in Moskau führen. Aber er würde denjenigen Kräften Auftrieb geben, die den Krieg für einen Fehler halten und an konstruktiven Beziehungen mit dem Westen interessiert sind. Die energische Unterstützung der Ukraine ist die beste denkbare Russlandpolitik.
Bei aller Empörung, dass sich die Union in der Flüchtlingspolitik mit der AfD gemein macht: Wie und mit wem würde die SPD abstimmen, käme es im Bundestag zu einer offenen Abstimmung über die Lieferung von „Taurus“-Marschflugkörpern an die Ukraine?
An der Frage der Unterstützung der Ukraine und dem Umgang mit Russland bilden sich neue politische Konstellationen. Union, Grüne und FDP sind sich hier deutlich näher als in anderen Fragen. AfD und Wagenknecht-Truppe bilden den antiwestlichen, pro-russischen Pol. Und die SPD hängt irgendwo zwischen der proklamierten Zeitenwende und dem Rückfall in eine entspannungspolitische Nostalgie, die fest die Augen vor der Wirklichkeit verschließt.
Vergessen scheint, dass der Wehretat unter Willy Brandt bei 3–4 Prozent des Bruttosozialprodukts lag. Brandt wusste zu gut, dass die Sicherung des Friedens die Fähigkeit zur Abschreckung verlangt und Verhandlungen mit autoritären Gegenspielern aus einer Position der Stärke geführt werden müssen.
Auch nach drei Jahren Krieg mit der pausenlosen Bombardierung ukrainische Städte, der gezielten Zerstörung der Energieversorgung, den Massakern gegen Zivilisten, der Entführung zehntausender ukrainischer Kinder, der Folter und Misshandlung von Kriegsgefangenen setzt Olaf Scholz immer noch darauf, dass Putin endlich zur Vernunft kommen und einsehen möge, dass er den Krieg im eigenen Interesse beenden sollte.
Das ist pures Wunschdenken. Es will nicht wahrhaben, dass Putin einer ganz anderen Logik folgt. Der Diktator im Kreml setzt auf das Recht des Stärkeren und verachtet unsere „Besonnenheit“ als Schwäche. Weshalb sollte er zurückstecken, wenn er abwarten kann, bis der Westen in seiner Unterstützung der Urkaine erlahmt und er mit Trump einen schmutzigen Deal schließen kann?
AfD und BSW schreiben „Frieden“ auf ihre Wahlplakate, ein relevanter Teil der SPD steht gedanklich und emotional immer noch im Bonner Hofgarten. Aber welcher Frieden? Es liegt ein Unterschied ums Ganze zwischen der Unterwerfung der Ukraine unter ein russisches Diktat und einem Frieden, der ihre Freiheit und Souveränität sichert. Die nächste Bundesregierung muss alles tun, damit die Ukraine aus einer Position militärischer Stärke verhandeln kann. Und sie muss bereit sein, für deren künftige Sicherheit einzustehen. Das wäre Friedenspolitik, die diesen noblen Namen verdient.
Der Beitrag ist zunächst in der „Welt am Sonntag “ erschienen.
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