„Keine ökolo­gi­sche Moder­ni­sie­rung der Ukraine ohne NATO-Mitgliedschaft“

Foto: Stefan Lengsfeld

Die Ukraine hat einen klaren Plan für den Aufbau eines klima­freund­li­chen und resi­li­enten Ener­gie­sys­tems, während Russland seine Angriffe auf die Ener­gie­infra­struktur des Landes wieder verstärkt. Für eine ökolo­gi­sche Moder­ni­sie­rung braucht die Ukraine westliche Sicher­heits­ga­ran­tien – und eine NATO-Beitritts­per­spek­tive. Lukas Daubner und Daria Malling im TAGESSPIEGEL BACKGROUND.

Keine ökolo­gi­sche Moder­ni­sie­rung der Ukraine ohne NATO-Mitgliedschaft

Ener­gie­po­litik ist immer eng mit Sicher­heits­po­litik verbunden. Eine Lektion, die wir in Deutsch­land unlängst neu erlernen mussten. In der Ukraine wird die Verbin­dung zwischen diesen Poli­tik­fel­dern spätes­tens seit dem Angriffs­krieg Russlands besonders deutlich.

Ein dezen­trales, effi­zi­entes und klima­freund­li­ches Ener­gie­system ist die Grundlage für eine stabile Ener­gie­ver­sor­gung und ein wichtiger Schritt zur vollen Inte­gra­tion in den Westen. Um sich diesem Ziel nähern zu können, ist die Ukraine auf westliche Sicher­heits­ga­ran­tien ange­wiesen. Ohne diese sind Wieder­auf­bau­pläne wohlfeil. Ebenso sind zum Schutz der bestehenden und bereits moder­ni­sierten (Energie-)Infrastrukturen weitere Luft­ab­wehr­sys­teme wie IRIS‑T und ausrei­chend Munition dringend nötig, da Russland seit dem Beginn des Krieges Kraft­werke, Trans­for­ma­toren oder Pipelines angreift. Bis heute werden nahezu täglich Angriffe auf die Strom- und Wärme­ver­sor­gung gemeldet.

Nach­hal­tiger Wieder­aufbau des Ener­gie­sek­tors sicher­heits­po­li­tisch motiviert

Die Angriffe haben zugleich auch eine Diskus­sion über eine Moder­ni­sie­rung und einen Wieder­aufbau unter nach­hal­tigen Vorzei­chen ausgelöst. Ukrai­ni­schen Exper­tinnen und Experten aus der Industrie, Zivil­ge­sell­schaft und Politik haben eine klare Vorstel­lung vom Aufbau eines modernen, dezen­tralen und in die EU inte­grierten Ener­gie­sys­tems, wie beispiels­weise eine Studie vom Zentrum Liberale Moderne zeigt.

Motiviert ist der Wunsch nach einer Ablösung vom zentra­lis­ti­schen, (post-)sowjetischen und vorrangig fossilen System und nach dem Ausbau erneu­er­barer Strom- und Wärme­ka­pa­zi­täten in der Ukraine aber nicht maßgeb­lich durch klima­po­li­ti­sche Motive. Für die Ukraine über­wiegen sicher­heits­po­li­ti­sche Beweg­gründe: Je dezen­traler die Ener­gie­ver­sor­gung orga­ni­siert ist, desto schwie­riger ist es für Aggres­soren, sie zu zerstören. Zudem versorgen erneu­er­bare Ener­gie­quellen die Bevöl­ke­rung zuver­lässig, wenn Groß­kraft­werke ausfallen und die Energie ist günstiger als der Diesel, mit dem aktuell viele Gene­ra­toren betrieben werden.

Diese Erkennt­nisse haben bei einem großen Teil der Bevöl­ke­rung und der Politik auf kommu­naler wie natio­naler Ebene zu einer Art mentalen Revo­lu­tion geführt. Trotz der plane­ri­schen Dilemmata zwischen kurz­fris­tiger Bereit­stel­lung von Strom und Wärme und der länger­fris­tigen Moder­ni­sie­rung des Ener­gie­sek­tors werden – auch in Frontnähe – neue Windparks projek­tiert und gebaut. Gerade haben Vestas und DTEK die Absicht erklärt, den Tyli­gulska-Windpark in der Südukraine deutlich auszu­bauen. Neue Gesetze schaffen zudem Anreize zum Ausbau der Photo­vol­taik. Aktuell sind es insbe­son­dere kleine und mittel­große Kommunen und Städte, die den Ausbau erneu­er­barer Energien vorantreiben.

Die Ukraine hat sich zum Ziel gesetzt, den Anteil erneu­er­barer Energien (Wind, Sonne, Wasser­kraft und Biomasse) im Strommix bis 2030 auf 25 Prozent zu erhöhen. Zurzeit liegt der Anteil bei 14 Prozent. Damit ist in kürzester Zeit das gewohnte, zentral gesteu­erte System nicht nur in Frage gestellt, sondern auch als Bedrohung erkannt worden. Insbe­son­dere, weil die Ukraine bis Anfang des Jahres 2022 mit dem russi­schen Ener­gie­netz verbunden war und die russische Regierung somit über detail­lierte Kennt­nisse von Art und Lage von Kraft­werken oder Netzen verfügt.

Die Ukraine kann zukünftig erneu­er­bare Energien in die EU liefern

Die Moder­ni­sie­rung und Dekar­bo­ni­sie­rung des Ener­gie­sys­tems ist eine wichtige Voraus­set­zung für eine grund­sätz­liche, landes­weite Moder­ni­sie­rung. Andere Produk­ti­ons­zweige würden hiervon massiv profi­tieren. Aber auch für die EU wäre eine solche Entwick­lung ein Gewinn, da sie von den CO2-armen Gütern sowie der expor­tierten Energie in Form von grünen Elek­tronen und Molekülen profi­tieren könnte.

Bisher war die Ukraine, trotz großer Gasvor­kommen, vor allem ein Ener­gie­tran­sit­land – und abhängig von Russland. Mit den sich derzeit abzeich­nenden Verän­de­rungen im Ener­gie­sektor kann sie mittel- und lang­fristig zu einem wichtigen Exporteur erneu­er­barer Energien in die EU werden. Eine moder­ni­sierte Ukraine trüge damit unmit­telbar zur Ener­gie­si­cher­heit der EU bei. Bereits in Kriegs­zeiten hat die Ukraine ab März 2022 immer wieder Strom in das euro­päi­sche Ener­gie­netz ENTSO‑E expor­tiert. Große Export­po­ten­ziale bestehen nicht nur bei Wind- und Solar­energie, sondern auch bei grünen Gasen. Biomethan etwa kann kurz­fristig einen Beitrag zur Defos­si­li­sie­rung der EU leisten. Zugleich hilft der Export beim Aufbau eines Marktes für nach­hal­tige Energien. Sobald sich die ukrai­ni­sche Wirt­schaft stabi­li­siert, kann sie von den etablierten Struk­turen und gemachten Erfah­rungen profitieren.

Befreiung besetzter Gebiete ist wichtig für die Energiesicherheit

Aller­dings befinden sich die größten Kapa­zi­täten für grünen Strom im zum Teil von Russland besetzten Süden der Ukraine. Derzeit sind etwa 13 Prozent der ukrai­ni­schen PV-Kapa­zi­täten von Russland besetzt. Etwa acht Prozent der gesamten instal­lierten Solar­ka­pa­zität wurden zerstört, beschä­digt oder beim Abzug vor den vorrü­ckenden ukrai­ni­schen Truppen von der russi­schen Armee gestohlen. Die Lage bei der Wind­energie ist noch drama­ti­scher: Fast die gesamte Flotte der ukrai­ni­schen Wind­kraft­an­lagen steht in den südlichen Regionen an der Küste des Asowschen und des Schwarzen Meeres (Regionen Cherson und Sapo­rischschja). Damit befinden sich etwa 80 Prozent der Wind­ener­gie­er­zeu­gungs­ka­pa­zi­täten in von Russland besetzten Gebieten.

Dieser Umstand sollte für die EU ein weiterer Anreiz sein, die Ukraine zu befähigen, die besetzen Terri­to­rien von Russland zurück­zu­er­kämpfen. In der russi­schen Einfluss­sphäre ist eine klima­freund­liche Trans­for­ma­tion nicht vorge­sehen. Eine von uns vor zwei Jahren durch­führte Studie zeigt, dass in Russland die Annahme weit verbreitet ist, dass der Klima­wandel und die Trans­for­ma­tion eine westliche „Spinnerei“ seien. Mit dieser würde das Ziel verfolgt, der russi­schen Wirt­schaft zu schaden. Russland wird auf lange Sicht ein fossiles Imperium bleiben, das keine Aussichten auf eine Moder­ni­sie­rung der Gesell­schaft oder der Wirt­schaft hat.

Nur die NATO-Mitglied­schaft bietet ausrei­chend Sicherheit

Gewinnt die Ukraine den Krieg gegen Russland nicht und verwehrt die Nato ihr weiterhin eine klare Beitritts­per­spek­tive, wird Putin nichts von weiteren Angriffen abhalten. Die anhal­tende Frage, wann und wie Moskau wieder angreift, ist nicht nur eine Bürde für die demo­kra­ti­sche Entwick­lung der Ukraine. Dieser Zustand trägt außerdem dazu bei, dass Wieder­auf­bau­pro­jekte nicht ausrei­chend finan­ziert werden und eine funk­tio­nie­rende Ökonomie keine Chance haben wird. Insbe­son­dere private Inves­toren werden das Risiko erneu­erter russi­scher Angriffe scheuen.

Aus diesem Grund ist, neben weiteren Export­kre­dit­ver­si­che­rungen, der Nato-Beitritt der Ukraine eine funda­men­tale Bedingung für eine stabile und moder­ni­sierte Ukraine. Die Mitglied­schaft würde nicht nur die unmit­tel­bare terri­to­riale Inte­grität des Landes schützen. Auch die ökolo­gi­sche Moder­ni­sie­rung kann nur als Mitglied des Bünd­nisses gelingen.

 


Der Beitrag erschien bei TAGESSPIEGEL BACKGROUND

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