NARRATIV-CHECK

Was hinter radika­li­sie­renden Botschaften steckt.

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NARRATIV-CHECK

Was hinter radikalisierenden
Botschaften steckt.

Was Esoterik Macht
Esoterik in „Alter­na­tiv­medien“
Im Zeichen der Wahrheit

von Smilla Jahnke

Viele Menschen glauben an Glücks­bringer und Wunder­hei­lungen und noch mehr suchen nach Sinn durch esote­rische Weltan­schau­ungen. Entspre­chend groß ist der Esote­rik­markt. Esote­risch inter­es­siert zu sein, ist generell unpro­ble­ma­tisch. Auf dem Esote­rik­markt gibt es aller­dings einige Protagonist*innen mit politi­scher Agenda. Sie vermitteln esote­rische Glaubens­sätze mit antide­mo­kra­ti­schen oder extrem rechten Versatz­stücken, angerei­chert mit Verschwö­rungs­ideo­logien und Feind­bildern. Dabei präsen­tieren sie sich meist als freund­liche Aufklärer*innen mit passenden Ratschlägen und allge­mein­gül­tigen Wahrheiten. Über Messenger-Dienste, Video­portale oder Events erreichen sie Zehntau­sende. Zwei Beispiele

Esoterik ist vor allem im Internet ein vielfäl­tiges und wachsendes Feld. Es gibt unzählige „alter­native“ esote­rische oder spiri­tuelle Medien­kanäle – nicht wenige mit einer politi­schen Agenda. Diese „Alter­na­tiv­medien“ halten sich nicht an journa­lis­tische Standards, insze­nieren sich als Gegenpol zu den als unglaub­würdig darge­stellten etablierten Medien. Mit Verkür­zungen und Desin­for­mation bedienen sie nicht selten menschen­feind­liche Narrative.

Esote­rische Akteur*innen haben eine umfang­reiche und spezielle digitale Paral­lelwelt mit reich­wei­ten­starken Video­por­talen, Social Media- und Telegram-Kanälen errichtet. Der auf dem Video­portal Tiktok millio­nenfach aufge­rufene Hashtag #Witchtok und das breite Angebot esote­ri­scher Devotio­nalien von Heilsteinen bis Wahrsagen auf Instagram zeigen, dass esote­rische Themen auch bei jungen Menschen populär sind. Die Netzwerke befördern Vernetzung und schon ein paar Swipes weiter stoßen spiri­tuell Inter­es­sierte auf Influencer*innen, die mithilfe von Esoterik rechte Ideologien verbreiten.

Überschnei­dungen von esote­ri­schen, verschwö­rungs­ideo­lo­gi­schen und extrem rechten Bewegungen zeigten schon die Querdenken-Proteste. Gleiche Feind­bilder, eine „Anti-Estab­lishment-Haltung“ und die Suche nach alter­na­tiven „Wahrheiten“ vereinen verschiedene Strömungen mit rechter Schlag­seite. Ein genauer Blick auf die Akteur*innen und Inhalte ist deshalb wichtig. Denn neben dem Wohlfühl­content fällt eines im esote­ri­schen Online-Spektrum besonders auf: verschwö­rungs­ideo­lo­gische Einflüsse.

Die Überschneidung von Verschwö­rungs­denken und Esoterik wird unter > Konspi­ri­tua­lität zusam­men­ge­fasst. Beide zeichnet eine mangelnde Wider­spruchs­to­leranz und die Deutung persön­licher und gesell­schaft­licher Krisen als Teil eines kosmi­schen Kampfes zwischen „Gut“ und „Böse“ aus. Sehr unter­schied­liche Angebote von Heilri­tualen bis zu „alter­na­tivem“ Wissen bieten scheinbar einfache Lösungen.

Soziale Medien und der Messenger Telegram eignen sich besonders zur Vermarktung, weil Algorithmen und Chatgruppen die Blasen­bildung von Gleich­ge­sinnten befördern – trotz der Tendenz zur „Rückbe­sinnung“ auf „die Natur“ und einer grund­le­genden Skepsis gegenüber Aspekten des modernen Lebens (> Antimo­der­nismus). Einige Kanäle und Personen aus dem esote­ri­schen Spektrum sind besonders reich­wei­ten­stark. Sie nutzen unter­schied­liche Platt­formen wie Nachrich­ten­sen­dungen, Chats oder Offline-Formate. Das Feld ist weit und umfasst verschwö­rungs­ideo­lo­gische „Alter­na­tiv­medien“ mit Esoterik-Formaten wie den Videoblog Nuoflix genauso wie extrem rechte Kanäle wie SchrangTV, recht­se­so­te­rische Portale wie Bewusst.TV oder das christlich funda­men­ta­lis­tisch-esote­rische Kla.TV.

Wie nutzen „Alter­na­tiv­medien“ esote­rische Inhalte? Wie präsen­tieren sich die Protagonist*innen? Welchen Zusam­menhang gibt es zwischen esote­ri­schem und demokra­tie­feind­lichem Content? Eine Fallstudie zu zwei Akteuren der Szene.

SchrangTV

Die Videos tragen Titel wie „DIE GEHEIME KRAFT DER STEINE“ oder „AUFWACHEN: Glaube nicht alles was du denkst!“, aber auch „TRANSGENDER: Manipu­lation aufge­deckt!“ Mit dieser Mischung aus Spiri­tua­lität und politi­schem Appell ist das Video­format SchrangTV erfolg­reich. Betreiber Heiko Schrang ist ein esote­ri­scher Influencer und Verschwö­rungs­ideologe. Seine bemüht ruhige Ansprache und der Gong, mit dem er häufig Video­bot­schaften beginnt, sind seine Markenzeichen.

Über 160.000 Abonne­ments verzeichnet Schrang auf Youtube. Auf Telegram folgen ihm über 50.000 Menschen. Schon in seinem Slogan „Erkennen. Erwachen. Verändern“ zeigt Schrang, was ihn antreibt: ein angeblich geheimes Wissen, das ihn und andere erweckt und zu Verän­de­rungen mobili­sieren soll. Schrangs Content ist eine Mischung aus Glücks- und Freiheits­ver­sprechen wie „Mach das und du fühlst dich sofort besser!“, Natur­ver­bun­denheit und antide­mo­kra­ti­schem Geraune – mit Versatz­stücken aus Verschwö­rungs­er­zäh­lungen, oft gespickt mit Antise­mi­tismus oder anderen Feindbildern.

Während der Pandemie knüpfte Schrang Kontakte ins radikale Querdenken-Spektrum, trat bei Corona-Demons­tra­tionen auf, wo sich „alter­native“ und extrem rechte Akteur*innen trafen, sprach auf Veran­stal­tungen von Impfgegner*innen. Mit ihnen teilte er u.a. einen Freiheits­be­griff, der in Politik eine grund­sätz­liche Bevor­mundung sieht. Dazu passen Publi­ka­tionen aus seinem Shop wie „Kultur­mar­xismus – Eine Idee vergiftet die Welt“[1], welche das Schre­ckensbild einer durch eine „68er-Kultur­re­vo­lution“ bedrohten Welt zeichnet. „Genderwahn, Massen­mi­gration und sexuelle Übergriffe scheinen das Mantra der neuen Zeit zu sein“, schreibt Schrang im Vorwort und benennt einige seiner Kernthemen. Und: „Die Kehrseite der angestrebten und scheinbar erreichten Vielfalt ist, dass die Freiheits­rechte des Einzelnen im Zuge dieses Prozesses massiv einge­schränkt werden.“

Schrang stellt Migration und Selbst­be­stimmung als zentral gesteu­ertes Instrument gegen den Einzelnen dar und bedient damit nicht nur rassis­tische und trans­feind­liche Narrative, sondern auch das vom gelenkten Staat. Beides ist auch unter Rechts­extremen verbreitet.

Auf Telegram postet Schrang regel­mäßig unter Überschriften wie „Welche Mario­netten der Pharma­in­dustrie und Hochfinanz könnten welches Amt bekommen?“ Er bezeichnet Politiker*innen als „Laien­dar­steller“, die „im Endeffekt nichts weiter sind als mittler­weile die billigsten Vertreter, die jemals die Hochfinanz und Pharma­in­dustrie überhaupt hatte“.[2] Er sugge­riert damit eine Fremd­steuerung durch eine geheime mächtige Elite. Sowohl „Hochfinanz“ als auch „Mario­netten“ sind antise­mi­tische Codes, hinter denen auch die Delegi­ti­mierung der Demokratie und ihrer Repräsentant*innen steht. Viele Videos enthalten ähnliche antise­mi­tische Anspie­lungen. Etwa wenn Schrang vom Bilder­ber­ger­treffen behauptet, dort träfen die „Strip­pen­zieher auf ihre Erfül­lungs­ge­hilfen“ und legten die „Neue Weltordnung“[3] fest.

In anderen Videos nimmt Schrang seine Anhänger*innen mit in den Wald, beschreibt das Moos unter seinen Füßen, spricht von Achtsamkeit, esote­ri­schen Gleich­nissen wie „Mikro- gleich Makro­kosmos“ und der Erkenntnis, dass in der Natur die „Sprache Gottes“ zu finden sei. Nebenher erwähnt er, dass wir „heute echte Wolken“ hätten, „nicht die Manipu­lation“[4] – eine Anspielung auf die unter Verschwö­rungs­gläu­bigen verbreitete Behauptung vom gesteu­erten Wetter.

In all seinen Formaten präsen­tiert sich Schrang als wissender Esote­riker, der Gerech­tigkeit und vor allem Wahrheit sucht – und andere auf ihrem Weg anleiten kann. Sein Shop unter­streicht dies mit Angeboten wie seinem Buch „Die Jahrhun­dertlüge, die nur Insider kennen“, der CD „Meditation 1 – Der Schlüssel für Frieden und Liebe“, T‑Shirt und Edelsteine mit seinem „Zeichen der Wahrheit“ oder dem Seminar „NEO – Deine Anleitung zur Freiheit“ – in dem Schrang laut Ankün­digung für einen vierstel­ligen Betrag „sein Wissen live weiter­geben und Dich in die großen Mysterien einweihen“ werde.

Schrangs Insze­nierung als fried­fer­tiger, in sich ruhender Influencer ohne politische Ambition verharmlost die gefähr­lichen Verschwö­rungs­nar­rative, die in seinen esote­ri­schen Formaten stecken und mit antise­mi­ti­schen und antide­mo­kra­ti­schen Inhalten angerei­chert sind.

Kla.TV

Die Medien­plattform Kla.TV (ehemals Medien Klage­mauer TV) des Schweizer Sekten­führers und Laien­pre­digers Ivo Sasek ist ein christlich-esote­ri­sches Format. Sasek ist Gründer der neure­li­giösen und als Sekte einge­stuften „Organische Christus Generation“ (OCG) mit bis zu 3.000 Anhänger*innen und außerhalb der Szene vor allem wegen Berichten von Aussteiger*innen über Kontrolle und Einschüch­terung bekannt. Immer wieder vermittelt Sasek durch seine Erweckungs­rhe­torik den Eindruck, eine geheime göttliche Wahrheit vermitteln zu können. Zum Beispiel wenn er in einem Video versi­chert, „dass in nicht mehr langer Zeit jeder Einzelne mich verstehen wird und wissen wird, dass ich hier die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit gesprochen habe“.[5]

Und er spricht regel­mäßig auf großer Bühne zu digital Zuschau­enden, wie auf dem sogenannten Inter­na­tio­nalen Freun­des­treffen 2023. Über 200.000-mal wurde die fünfstündige Aufnahme auf Kla.TV aufge­rufen. „Ich spreche als Freund zu euch, zu dir, aber als ein Freund, ich sag mal, der Gott begegnet ist“, sagt Sasek dort. Er präsen­tiert sich als Gemein­schafts­stifter – auch durch Weitergabe bestimmter Infor­ma­tionen und Weltdeu­tungen. „Wir leben mitein­ander (...) in den gleichen Welten. Sichtbare Welten, unsichtbare Welten gibt es, und trotzdem haben wir noch so viele Spaltungen hier unten.“ Alle Menschen hätten dieselben Probleme. „Haben die Impfge­schä­digten in Europa etwa andere Qualen als die Impfge­schä­digten im Rest der Welt?“ fragt er oder stellt fest: „Ich sag dir zuerst einmal, was wir alle nicht wollen (…): Wir alle wollen keine Zwangs­imp­fungen und keine DNA-Verstümmelungen“.

Sasek reiht ein gutes Dutzend Verschwö­rungs­er­zäh­lungen anein­ander, die von geneti­schen Verän­de­rungen durch „Zwangs­imp­fungen“ über geplante „Great Reset-Enteig­nungen“ bis zu „unter­wan­derten Behörden“ reichen.[6] Gemeinsam ist ihnen die Andeutung einer Macht, die bis in die demokra­ti­schen Insti­tu­tionen von Medien bis Politik reiche, auf die immer wieder angespielt wird.

Kla.TV verbreitet seinen Content über vor allem bei Rechten populäre Platt­formen wie Odysee, Gettr und Bitchute, aber auch über etablierte wie Youtube und Facebook. Die Schlag­worte der Website lesen sich wie eine Sammlung von Verschwö­rungs­buz­zwords: von „#Adreno­chrom“ über „#Kinderraub“ bis zu „#FlacheErde“. Auf Telegram erreicht Kla.TV über 65.000 Abonnent*innen. Mit der Präsenz auf verschie­denen Platt­formen, mit der OCG und anderen Organi­sa­tionen hat Sasek ein großes Kommu­ni­ka­ti­onsnetz geschaffen, das über spiri­tuelle und „alter­na­tiv­me­diale“ Kreise hinaus­reicht. In seinem Forum „Anti-Zensur-Koalition“ (AZK) etwa treffen sich jährlich Protago­nisten der rechten Verschwö­rungs­szene – unter ihnen Jürgen Elsässer, Chefre­dakteur des rechts­extremen Compact-Magazins, Heiko Schrang, der prorus­sische Verschwö­rungs­ideologe Daniele Ganser oder die Rechtspopulist*innen Andreas Popp und Eva Herman. Die AZK-Konfe­renzen finden sich als Aufnahmen auf Kla.TV. Neben Vortrags­themen wie Verschwö­rungs­theorien zum Terror­an­schlag von 9/​11 und rassis­ti­schen Narra­tiven wie „Desta­bi­li­sierung mittels der Migra­ti­ons­waffe“ steht dort Esote­ri­sches wie die „geheime Sprache der Bäume“.

Ein Marken­zeichen Saseks sind seine prophe­tisch anmutenden Reden. Immer wieder benennt er Feind­bilder als Verkör­perung des „Bösen“ oder Satans. Im Video „Kollek­tiver Exorzismus“ reiht er rheto­rische Fragen nach der Ursache alles möglichen Negativen anein­ander und sugge­riert eine Verbindung zwischen ihnen. „Wie kommt es auch, dass uns externe, sogenannte Experten, ohne allge­gen­wär­tiges Entsetzen der Gesell­schaft vom Kleinstkind bis zum Erwach­senen hin jede natür­liche Geschlecht­lichkeit absprechen konnten, dass das Trans­ves­ti­tentum, das sie über die hetero­se­xuelle Partner­schaft hochjubeln konnten (sic)“, fragt Sasek und bedient damit die trans­feind­liche Mär einer durch Selbst­be­stimmung und Reprä­sen­tation gefähr­deten Hetero­nor­ma­ti­vität. Und weiter fragt er: „Wie kommt es, dass Geheim­orden und Illumi­naten syste­ma­tisch und ohne Aufschrei der Justiz unsere Zivili­sa­tionen zerstören können, um ihre eigene Weltherr­schaft vor aller Augen aufzu­richten?“ Sasek nutzt hier mit „Geheim­orden“ und „Illumi­naten“ Codes eines verschwö­rungs­ideo­lo­gi­schen Antise­mi­tismus. Die antise­mi­tische Grundierung zeigt sich auch in den wieder­keh­renden Fantasien über den „baren Teufel“, der „seine satanische Neue Weltordnung“ aufrichte.[7]

Diese biblisch-apoka­lyp­ti­schen Szenarien werden auf verschie­denste aktuelle Ereig­nisse übertragen. So polemi­siert Sasek seit Beginn der Covid-Pandemie mit Falsch­be­haup­tungen gegen Impfungen und evidenz­ba­sierte Medizin – etwa, wenn er vom „tödlichen Covid-Völker-Experiment“ spricht. Rheto­risch fragt er: „Erkläre du uns dann, wie (…) Millionen von Menschen unfruchtbar gespritzt, Abermil­lionen permanent krank gemacht und unzählige getötet werden konnten“.[8] Er spricht in diesem Kontext von „diabo­li­schen Bedrü­ckungen“, welche jede „böse Nachricht im Radio, im Fernsehen“ auf uns lade.[9] Es ist eben diese politisch-ideolo­gische Desin­for­mation im Zeichen eines geheimen Wissens, die Ängste und Feind­bilder schürt, aber gleich­zeitig auch eine Gemein­schaft von Gleich­ge­sinnten befördert.

Auf der Website Ivo Saseks gibt es ein Angebot sehr unter­schied­licher Formate für verschiedene Zielgruppen und sogar Sendungen für Jugend­liche. Die Website vermittelt den Eindruck einer unschul­digen und konflikt­freien Gemein­schaft und „Freun­des­treffen“ für alle – immer wieder werden idyllische und fried­volle Gemein­schaften gezeigt. Diese Aufma­chung steht den aufwie­gelnden Formaten Saseks gegenüber. Dort bekommen die hetze­ri­schen Reden Saseks durch musika­lische Auftritte der Sasek-Großfa­milie und der OCG-Gemeinde einen gemein­schafts­stif­tenden und spiri­tu­ellen Anstrich.

Die Schar­nier­funktion der Esoterik

Neben der thema­ti­schen Breite und der Flexi­bi­lität, sich aktueller Debatten und Krisen­sze­narien anzunehmen, haben SchrangTV und Kla.TV einiges gemeinsam: die Einteilung der Welt in „Gut“ und „Böse“ oder „Licht“ und „Schatten“ und daran anknüp­fende Verschwö­rungs­er­zäh­lungen sowie die Behauptung als Erwählte*r Zugang zu geheimen Wahrheiten zu haben. Durch den spiri­tuell-esote­ri­schen Anstrich und die insze­nierte Gemein­schaft­lichkeit findet eine Selbst­ver­harm­losung durch die Akteure statt.

Die gemein­samen Ansatz­punkte ermög­lichen das Teilen von Inhalten und die Erhöhung ihrer Reich­weiten, das Abonnent*innen und das Publikum benach­barter Kanäle nicht selten ins radika­li­sie­rende „Rabbit Hole“ zieht. Spiri­tuelle und radikal rechte, verschwö­rungs­ideo­lo­gische und antide­mo­kra­tische Inhalte vermi­schen sich insbe­sondere am Rand kontro­verser gesell­schaft­licher Themen wie Corona-Politik, Selbst­be­stimmung oder Krieg. Hier werden sehr regel­mäßig antise­mi­tische, rassis­tische oder antife­mi­nis­tische Inhalte einge­flochten. Nicht zu unter­schätzen ist in diesem Zusam­menhang auch die Profi­ta­bi­lität des breiten und wachsenden Online-Esote­rik­marktes: Durch das Schüren von Ängsten und grund­le­gendem Misstrauen gegenüber demokra­ti­schen Struk­turen lässt sich schlicht Reich­weite erzielen – das ist auch für die Szene-Protagonist*innen, ihre Shops und Angebote lukrativ.

Insbe­sondere vor dem Hinter­grund wachsender Zustimmung zu gruppen­be­zo­gener Menschen­feind­lichkeit in der gesamten Gesell­schaft[10] braucht es eine größere Aufmerk­samkeit und Sensi­bi­lität für die Schar­nier­funk­tionen von esote­ri­schem Wohlfühl­content, die zwischen spiri­tu­ellem Mainstream und antide­mo­kra­ti­schen Einstel­lungen oder rechten Verschwö­rungs­ideo­logien vermittelt.

Die beiden exempla­ri­schen Beispiele SchrangTV und Kla.TV illus­trieren, wie Esoterik mit antise­mi­ti­schen Verschwö­rungs­nar­ra­tiven sehr unter­schiedlich kombi­nierbar ist und dadurch radika­li­sieren kann. Konkrete Themen werden politisch sehr unter­schiedlich konno­tiert und knüpfen geschickt an große Fragen von Freiheit, Selbst­be­stimmung und Zugang zu Infor­ma­tionen an. So lassen sich antide­mo­kra­tische und menschen­feind­liche Inhalte in esote­ri­schem Gewand verbreiten, ohne direkt als politische Agitation aufzufallen.

Smilla Jahnke ist Autorin mit Schwer­punkt Esoterik und gruppen­be­zogene Menschen­feind­lichkeit in digitalen Medien mit Bezügen zur extremen Rechten und Reichs­ideo­logie. Sie arbeitet als Referentin der Amadeu Antonio Stiftung.

Fußnoten


[1] Kaiser, Benjamin /​ Schrang, Heiko: Kultur­mar­xismus – Eine Idee vergiftet die Welt, 2019.

[2] Schrang, Heiko auf Telegram: Welche Mario­netten der Pharma­in­dustrie…, 09.10.2021.

[3] Schrang, Heiko auf Telegram: Das Treffen der wahren Verschwörer…, 05.06.2022.

[4] SchrangTV: Glück & Zufrie­denheit: So kommst du aus deinem Tief!, 17.08.2023.

[5] Kla.TV: Kollek­tiver Exorzismus, 26.08.2023.

[6] Kla.TV: „Ohne Gott geht es nicht!“ – Inter­na­tio­nales Freun­des­treffen 2023 (mit Ivo Sasek), 03.06.2023.

[7] Kla.TV: Kollek­tiver Exorzismus, 26.08.2023.

[8] ebenda

[9] ebenda

[10] Vgl.: Brähler, Elmar/​Decker, Oliver (Hg.): Autoritäre Dynamiken: Neue Radika­lität – alte Ressen­ti­ments. Leipziger Autori­ta­rismus Studie, 2020.

GLOSSAR

Antimo­der­nismus

ist eine gegen die Moderne gerichtete philo­so­phische und gesell­schaft­liche Strömung. Das 19. und der Beginn des 20. Jahrhun­derts sind in Europa durch einen tiefgrei­fenden Wandel geprägt: Urbani­sierung, techno­lo­gische Entwick­lungen, Säkula­ri­sierung, Verwis­sen­schaft­li­chung, Beschleu­nigung, Plura­li­sierung und Indivi­dua­li­sierung. Der rasante Fortschritt führte auch zu einem Unbehagen, das in verschie­denen politi­schen und spiri­tu­ellen Bewegungen aufge­griffen und als „Entfremdung“ von einem als natür­lichen vorge­stellten Urzustand konsta­tiert wird. Antimo­der­nismus ist durch Denken in Gegen­sätzen geprägt: Mythos gegen Vernunft, Kultur gegen Zivili­sation, Gemein­schaft gegen Gesell­schaft, Volk gegen seelenlose Massen­ge­sell­schaft. Die Sehnsucht nach einer Wieder­ver­zau­berung der Welt zeigte sich in einer neuen esote­ri­schen Religio­sität, geprägt von Mysti­schem, Magischem und Irratio­nalem. Die Konzen­tration auf den inneren Erfah­rungsraum des Menschen eröffnete neue Möglich­keiten für Sinn- und Weltdeu­tungen angesichts vielfäl­tiger Krisenlagen.

 

Konspi­ri­tua­lität (auch Conspi­ri­tuality, Verschwörungsspiritualität)

bezeichnet eine Verschmelzung von Verschwö­rungs­men­ta­lität und Esoterik. Verbin­dendes Element ist der Glaube daran, dass alles mitein­ander in Verbindung stehe. Die Weltsicht ist geprägt durch den Dualismus von Gut und Böse, Licht und Schatten sowie die Überzeugung, dass eine im Geheimen agierende Gruppe versuche, die Welt zu kontrol­lieren. Konspi­ri­tua­lität ermög­licht die Politi­sierung von Esoterik und ist ein Verbin­dungs­glied zu Antise­mi­tismus und Rechts­extre­mismus. Die Grund­skepsis gegenüber „offizi­ellen“ Darstel­lungen wird häufig mithilfe von Fehlin­for­ma­tionen und dem Rückgriff auf „alter­native“ Wissens­quellen untermauert.

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