NARRATIV-CHECK

Was hinter radika­li­sie­renden Botschaften steckt.

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NARRATIV-CHECK

Was hinter radikalisierenden
Botschaften steckt.

Paral­lel­welten Beispiel:
Ein König­reich für Ungleichheit –
Antili­berale Paral­lel­welten von „Reichsbürger:innen“ und anderen verschwö­rungs­ideo­lo­gi­schen Souveränist:innen

von Jan Rathje

Einer breiten Öffent­lichkeit wurde das Phänomen „Reichsbürger:innen“ mit den tödlichen Schüssen eines Souve­rä­nisten auf einen Polizisten in Georgens­gmünd 2016 bekannt. Zuletzt erregte das Auffliegen zweier mutmaß­licher „Reichsbürger:innen“-Terrorgruppen Aufmerk­samkeit – sie sollen den gewalt­samen Sturz der Regierung und die Errichtung eines Deutschen Reichs geplant haben. Aber „Reichsbürger:innen“ gibt es schon länger. Wer sind sie und auf welcher Grundlage bauen sie an Parallelstrukturen?

Geschichte des verschwö­rungs­ideo­lo­gi­schen Souveränismus

Verschwö­rungs­ideo­lo­gi­scher Souve­rä­nismus in Deutschland ist älter als die Bundes­re­publik. Nationalsozialist:innen und Neonazis versuchen seit der Kapitu­lation im Zweiten Weltkrieg das natio­nal­so­zia­lis­tische Deutsche Reich wieder­her­zu­stellen. Seit den 1980er Jahren spielt dieses Vorhaben jedoch nur noch eine unter­ge­ordnete Rolle innerhalb von tradi­tio­nellen extrem rechten Organi­sa­tionen, wie der NPD und ihren Vorfeld­or­ga­ni­sa­tionen. Zu dieser Zeit erarbeitete der selbst­er­nannte „Reichs­kanzler“ Wolfgang Ebel mit seiner „Kommis­sa­ri­schen Reichs­re­gierung“ Grund­lagen für ein neues Submilieu von „Reichsbürger:innen“, deren Mitglieder mehrheitlich zuvor nicht in tradi­tio­nellen extrem rechten Organi­sa­tionen aktiv gewesen waren. Sie zielen darauf ab, ein histo­ri­sches Deutsches Reich – zumeist das Kaiser­reich mit seiner Verfassung von 1871 – wieder handlungs­fähig zu machen.


Ab den 2000er Jahren erwei­terte sich das Milieu um verschiedene andere Souveränist:innen. Der Unter­schied: Diese wollten nicht unmit­telbar ein Deutsches Reich (wieder-)herstellen, sondern Pseudo­staaten gründen oder sich selbst und ihre Gruppe für souverän erklären. Darüber hinaus existiert ein „neurechtes“ Submilieu, das die Souve­rä­nität der Bundes­re­publik bestreitet und eigene Reichs­vor­stel­lungen hervor­ge­bracht hat. Die Grenzen dieser Gruppie­rungen sind durch­lässig und die Radika­li­sierung führt Mitglieder zumeist in die tradi­tionell organi­sierte extreme Rechte. Und es gibt eine Tendenz: Seit der Covid-19-Pandemie ist die Gesamtheit von „Reichsbürger:innen“ und Souveränist:innen gewachsen und radikaler geworden. Dies zeigen beispielhaft die laufenden Prozesse gegen die mutmaß­lichen „Reichsbürger:innen“-Terrorgruppen „Vereinte Patrioten“ und „Gruppe Reuß/​ Patrio­tische Union“.

Ideolo­gische Grundlagen

Die Ideologie von „Reichsbürger:innen“ und Souveränist:innen lässt sich als verschwö­rungs­ideo­lo­gi­scher Souve­rä­nismus beschreiben, da ihre Anhänger:innen auf unter­schied­liche Art anstreben, eine vermeintlich fehlende Souve­rä­nität (wieder-)herstellen zu wollen. Zentral ist hierbei die verschwö­rungs­ideo­lo­gische Annahme, dass eine kleine Gruppe im Geheimen eine „Fremd­herr­schaft“ instal­liert habe, die der Bundes­re­publik Deutschland zugrunde liegt. Antise­mi­tismus ist ein wesent­liches Element dieser Ideologie. Denn „Reichsbürger:innen“ und Souveränist:innen greifen implizit – durch Codes wie ZOG (Zionist Occupied Government) oder > NWO (New World Order) und Chiffren wie Great Reset, Rothschild, Soros, „Globa­listen“ – und explizit auf den tradierten Mythos einer „jüdischen Weltver­schwörung“ zurück.

Und noch ein Element ist zentral: Die mit dieser Ideologie verbun­denen politi­schen Ordnungs­vor­stel­lungen sind auf den Erhalt, die Vertiefung oder Wieder­her­stellung von Ungleichheit ausge­richtet – etwa, wenn es um die Rechte von Frauen, Migrant:innen und Menschen mit Migra­ti­ons­ge­schichte oder sexuelle Minder­heiten geht. Aus diesem Grund ist der verschwö­rungs­ideo­lo­gische Souve­rä­nismus der extremen Rechten zuzuordnen.

Ablehnung von Elementen der liberalen Demokratie

Souveränist:innen lehnen die Bundes­re­publik Deutschland aus verschie­denen Gründen ab. Vor allem „Reichsbürger:innen“ sehen sie als illegitime und bösartige „Fremd­herr­schaft“ an, als ein „Besat­zungs­kon­strukt“, das dem deutschen Volk 1949 von den alliierten Sieger­mächten aufge­zwungen worden sei. Hinzu kommt die Vorstellung, dass die Bundes­re­publik kein Staat, sondern in Wirklichkeit eine Firma sei und als Konse­quenz daraus keine hoheits­recht­lichen Aufgaben ausführen dürfe. Tradi­tionell organi­sierte extrem rechte „Reichsbürger:innen“ lehnen die Bundes­re­publik vor allem als liberale Demokratie ab. Sie äußern offen ihren Wunsch nach einem autori­tären Deutschen Reich, etwa einem natio­nal­so­zia­lis­ti­schen „Vierten Reich“.

Aber auch andere souve­rä­nis­tische Submilieus lehnen die liberale und demokra­tische Verfasstheit der Bundes­re­publik ab. Das zeigt sich etwa in der grund­sätz­lichen Ablehnung von Parteien und dem Glauben an eine unmit­telbare politische Reprä­sen­tation eines ungeteilten Volks­willens. Nicht zuletzt die Ermitt­lungen gegen Souveränist:innen 2023 haben gezeigt, dass eben diese Ablehnung im Extrem zu Gewalt und Terro­rismus führen kann: Beide mutmaß­lichen „Reichsbürger:innen“-Terrorgruppen sollen geplant haben, Regie­rungs­mit­glieder zu entführen, das „System“ zu stürzen und ein Deutsches Reich aufzubauen.

Aufbau von Parallelstrukturen

Darüber hinaus arbeiten „Reichsbürger:innen“ und Souveränist:innen aktiv am Aufbau von Paral­lel­struk­turen. Die Motivation hierfür ist, sich der vorge­stellten böswil­ligen Verschwörung gegen die Deutschen – und darüber hinaus der Möglichkeit zum Wider­spruch gegen die eigenen proble­ma­ti­schen Vorstel­lungen im Bekann­ten­kreis – so weit wie möglich zu entziehen. Verschiedene Gruppen etwa haben bereits „Regie­rungen“ mit Pseudo-Judikative und ‑Exekutive sowie Verkaufs­stellen für pseudo­ho­heit­liche Identi­täts­do­ku­mente (Ausweise oder Pässe) gegründet und liefern sich Ausein­an­der­set­zungen mit der Bundes­republik. Ein Beispiel für den Aufbau von umfas­sen­deren Pseudo-Struk­turen sind die Bestre­bungen des Souve­rä­nisten Peter Fitzek, Anführer der Gruppe > „König­reich Deutschland“.

Fitzek ist seit Jahren im souve­rä­nis­ti­schen Milieu als Führungs­person aktiv. Bereits 2008 stellte er in einem inzwi­schen gelöschten Artikel der Esoterik-Zeitschrift Sein seine umfang­reichen Pläne für eine Syste­mal­ter­native vor. Fitzek betonte darin, dass es eines neuen Bildungs­systems bedürfe, um die Menschen aus dem „kranken“ System in ein grund­legend neues zu überführen. Anschließend folgten Alter­na­tiven zu den Systemen Wirtschaft, Gesundheit, Religion, Recht oder Landwirt­schaft. Die BRD delegi­ti­mierte Fitzek als von den Alliierten gesteuerte > GmbH und betonte seine Ablehnung der Demokratie: „Die Demokratie ist jene Staatsform, in der die Menschen am leich­testen auf Dauer geknechtet werden können. Sie führt immer ins Desaster, da der ‚durch­schnitt­liche Massen­mensch‘, der nun einmal am zahlreichsten vertreten ist, das Maß der Dinge darstellt.“ Dagegen wolle er ein System der hierar­chi­schen Unter­ordnung schaffen, das dem hierar­chi­schen Prinzip der Natur folge.

Diese 2008 veröf­fent­lichten Ziele versucht Fitzek stück­weise in seiner 2012 gegrün­deten Organi­sation „König­reich Deutschland“ umzusetzen. Seine Projekte umfassen unter anderem ein eigenes Bildungs­system, Orte zum Wohnen und Arbeiten, eine eigene „Gesund­heits­kasse“, eine Währung samt „Bank“, einen Online-Markt­platz für Waren und Dienst­leis­tungen sowie ein eigenes esote­ri­sches Glaubens­system. Wegen illegaler Kranken­ver­si­che­rungs­ge­schäfte wurde Fitzek rechts­kräftig verur­teilt. Seine Projekte brachten ihm aber auch mehr Anhänger:innen und Finanz­mittel ein, mit denen er weitere Projekte wie zum Beispiel den Erwerb von Immobilien für Siedlungs­pro­jekte (etwa in der Uckermark oder in Sachsen) umsetzt.

Fitzek ist nur ein Beispiel dafür, wie verschwö­rungs­ideo­lo­gische Souveränist:innen das insbe­sondere seit der Pandemie sinkende Vertrauen in Insti­tu­tionen, wie es in liberalen Demokratien zu beobachten ist, aufgreifen, es vertiefen und in antide­mo­kra­tische Handlungs­felder lenken. Diese können vom Aufbau von Paral­lel­struk­turen bis zu terro­ris­ti­schen Aktionen reichen. Gefährlich ist das nicht nur für die Bundes­re­publik als liberale Demokratie und ihre Repräsentant:innen – sondern vor allem für andere Menschen, die als Drahtzieher:innen der Verschwörung identi­fi­ziert werden, wie etwa Migrant:innen oder Jüdinnen:Juden.

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Jan Rathje ist Politik­wis­sen­schaftler und Senior Researcher beim Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS). Seine Forschungs­schwer­punkte umfassen Online-Rechts­extre­mismus, Verschwörungs­ideologien, Antise­mi­tismus sowie verschwörungs­ideologischen Souveränismus.

 

GLOSSAR

BRD-GmbH (auch Firma)
„Reichs­bürger“ und das souve­rä­nis­tische Milieu sehen in der Bundes­re­publik eine illegitime „Fremd­herr­schaft“, die 1949 den Deutschen von den Alliierten aufge­zwungen worden sei. Damit verbunden ist die Vorstellung der Bundes­re­publik als fremd­ge­steuerte vermeint­liche GmbH oder Firma und nicht als Staat mit entspre­chenden hoheits­recht­lichen Aufgaben. Verschiedene Gruppen arbeiten an Paral­lel­struk­turen mit eigenen staats­ähnlichen Insti­tu­tionen und Dokumenten wie etwa das > „Königreich Deutschland.
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König­reich Deutschland
ist eine 2012 von dem Souve­rä­nisten Peter Fitzek gegründete Organi­sation mit umfas­senden Pseudo-Struk­turen vom Bildungs­system über eine eigene Währung bis zum Glaubens­system. Zum „König­reich“ gehören diverse Siedlungs­pro­jekte u.a. in der Uckermark oder in Sachsen. Ideolo­gisch grund­legend ist die Delegi­ti­mierung der Bundes­re­publik als eine von den Alliierten gesteuerte > GmbH sowie die Ablehnung der Demokratie. Fitzek wird vom Verfas­sungs­schutz Sachsen-Anhalt beobachtet.
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NWO (Neue Weltordnung, New World Order)
ist ein in verschwö­rungs­ideo­lo­gi­schen und rechts­extremen Kreisen verbrei­teter Code für die Behauptung, die Menschheit sei von einer totali­tären Weltre­gierung gesteuert. Er greift implizit auf den antise­mi­ti­schen Mythos der „jüdischen Weltver­schwörung“ zurück. 1991 veröf­fent­lichte der christ­liche Rechte Pat Robertson das Buch „The New Word Order“, in dem die sogenannte „Hochfinanz“, Illuminati und Freimaurer die USA bedrohten.
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