NARRATIV-CHECK
Was hinter radikalisierenden Botschaften steckt.
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NARRATIV-CHECK
Was hinter radikalisierenden
Botschaften steckt.
Parallelwelten
Deep Dive
Esoterische Pseudomedizin und ihre Methoden –
ein Beispiel für Wissenschaftsfeindlichkeit
von Katharina Nocun
Ein breitgefächerter Esoterik-Markt verspricht Heilung jenseits und häufig in Ablehnung der evidenzbasierten Medizin – und nicht selten unter Einsatz gesundheitsgefährdender Mittel. Aber warum ist esoterische Pseudomedizin so erfolgreich? Ein wesentlicher Bestandteil ist die in diesem Milieu weit verbreitete Wissenschaftsskepsis oder gar ‑leugnung. Hierbei kommen verschiedene Methoden der Desinformation zum Einsatz, wobei sich die gängigsten mit „PLURV“ beschreiben lassen. PLURV steht für Pseudo-Experten, logische Trugschlüsse, unerfüllbare Erwartungen, Rosinenpickerei und Verschwörungserzählungen.
Die Branche der esoterischen Pseudomedizin – von Heilsteinen bis „Aura-Chirurgie“ – boomt. Aber welches Erfolgsrezept steckt hinter solchen zweifelhaften Produkten? Wer die esoterischen Angebote studiert, kommt schnell zu der Einsicht, dass pseudowissenschaftliche Ansichten und wissenschaftsfeindliche Haltungen in dieser Szene eine wichtige Rolle spielen. Besonders auffällig ist der abfällige Grundton, mit dem bei so mancher Veranstaltung aus dem Esoterik-Milieu über die vermeintlichen Nachteile der „Schulmedizin“ elaboriert wird. Esoterisch geprägte „Alternativmedizin“, so heißt es dort oft, sei den als „nicht ganzheitlich“ abgeurteilten, wissenschaftlich fundierten Behandlungsmethoden überlegen.
Dass so manche esoterische Wunderbehandlung sich trotzdem nicht in der Breite durchsetzen konnte und deren Kosten in der Regel auch nicht von Krankenkassen übernommen werden, wird wahlweise der „verkopften Wissenschaft“, dem Einfluss der angeblich übermächtigen „Pharmalobby“ oder vermeintlich korrupten Strukturen in Medien und Politik angelastet. In der Parallelwelt der esoterischen Pseudomedizin soll die potenzielle Kundschaft lieber blind „altem spirituellen Wissen“ vertrauen, als sich an Doppelblindstudien [1] nach medizinischem Standard zu orientieren. „Natur statt Chemie“ lautet eine gängige Phrase in dieser Szene – die wohlgemerkt voraussetzt, dass sich die Zuhörenden nicht daran stören, dass jeder pflanzliche Wirkstoff letztendlich aus organischen chemischen Verbindungen besteht.
Am Beispiel der esoterischen Pseudomedizin lassen sich die Kernelemente von Wissenschaftsfeindlichkeit ausgezeichnet beschreiben. Denn mit ihren Verkaufsmaschen setzen diverse esoterische Dienstleistungen und Produkte in unterschiedlichen Ausprägungen auf die gängigsten Methoden von Pseudowissenschaft und Wissenschaftsleugnung, welche oft mit dem Kürzel PLURV zusammengefasst werden: Pseudo-Experten, logische Trugschlüsse, unerfüllbare Erwartungen, Rosinenpickerei und Verschwörungserzählungen. Die einzelnen Methoden genauer zu betrachten, kann dabei helfen, Methoden der Desinformation zu erkennen, die auch jenseits der Esoterik breite Anwendung finden, wenn es darum geht, wissenschaftliche Erkenntnisse zu diskreditieren.
Pseudo-Experten kommen zum Einsatz, um den Anschein von Seriosität und Vertrauenswürdigkeit zu erwecken. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist der selbsternannte „Wasserforscher“ Masaru Emoto. Seine Behauptungen zum Thema „Wassergedächtnis“ prägen zahlreiche Spielarten der kommerziell verwertbaren Esoterik in der Nische des „belebten“ oder „energetisierten“ Wassers. Emoto vertrat die Ansicht, Wasser könne negative und positive Energien aufnehmen – etwa indem bestimmte Worte, Gedanken oder auch Gefühle in Richtung der Flüssigkeit gelenkt würden. Sein in Esoterik-Kreisen gerne als Qualitätsmerkmal und Beweis für Seriosität angeführter Doktortitel stammt jedoch von keiner international anerkannten Universität, sondern von der indischen Open International University for Alternative Medicine (OIUAM). Die Einrichtung soll gegen Gebühren nicht-wissenschaftliche Titel verliehen haben und wurde als „Fake University“ polizeilich geschlossen. [2] Masaru Emoto hatte einst Politikwissenschaften studiert, vermarktete sich jedoch erfolgreich als „Wasserexperte“ und sprach regelmäßig für Organisationen, die pseudowissenschaftliche Haltungen vertreten. Seine angeblich bahnbrechenden Erkenntnisse aus Experimenten wurden von Wissenschaftlerinnen immer wieder dafür kritisiert, nicht den gängigen Standards zu entsprechen. Trotzdem gelang es Masaru Emoto durch seine Inszenierung als angeblich seriöser Wasserforscher, seine Thesen auch jenseits der Esoterik-Nische zu verbreiten.
Auch logische Trugschlüsse sind in der Esoterik-Szene allgegenwärtig. Etwa wenn „altes Wissen“ und eine „traditionelle Rezeptur“ irrtümlich mit Qualität und Heilwirkung gleichgesetzt werden. Selbstverständlich gibt es pflanzliche Stoffe, deren Heilwirkung seit Generationen in verschiedenen Kulturen genutzt wird – und deren Wirkversprechen auch heute durch wissenschaftlich fundierte medizinische Doppelblindstudien bestätigt werden. In Teilen der Esoterik-Szene gelten allerdings giftige Schwermetalle wie Quecksilber oder Blei als heilsam – häufig mit Verweis auf vermeintliche „alte Meister“ der Medizin. Dabei wird gerne ausgeblendet, wie oft diese aus heutiger Sicht falsch lagen. So wurde zum Beispiel Syphilis vor 500 Jahren mit hochkonzentrierter Quecksilber-Salbe behandelt. Viele derjenigen, die in den „Vorzug“ dieser „Medizin“ kamen, starben an Vergiftungen. Es gibt zahlreiche Beispiele für „altes Wissen“, das nicht gut gealtert ist und heute als überholt oder sogar gesundheitsgefährdend angesehen werden muss. Ein weiteres Beispiel: Laut Paracelsus, einem der bekanntesten Mediziner der Renaissance, sollten Wunden mit „Mumienbalsam“, einem Gemisch aus Muttermilch und Leichenteilen, eingerieben werden. Ein Ratschlag, von dem man heute weiß, dass er zu einer tödlichen Sepsis führen kann.
Auf unerfüllbare Erwartungen zu setzen, ist eine weitere Strategie, um Kritik etwa an pseudomedizinischen Behauptungen abzuwehren. Insbesondere dann, wenn die angeführten Pseudo-Experten und ihre logischen Trugschlüsse ihre Wirkung beim Publikum verfehlen, wird schwereres Geschütz aufgefahren, um das eigene Geschäftsmodell vor unbequemen Fakten abzuschirmen. Selbst wenn eine große Zahl von wissenschaftlichen Studien zu dem Ergebnis kommt, dass es keine Evidenz für den Erfolg esoterischer Behandlungsmethoden gebe, führt dies in der Regel nicht zum Umdenken. Solange es auch nur eine – häufig von fragwürdigen Akteurinnen stammende und nicht gängigen Standards entsprechende – Studie gibt, auf die sich berufen werden kann, werden anderslautende Ergebnisse systematisch ausgeblendet. Das sei eben einfach nur ein Beleg dafür, dass es noch mehr Forschung brauche, so die Schlussfolgerung. Auf diese Weise wird der Anschein erweckt, es gebe in der wissenschaftlichen Community Uneinigkeit über eigentlich längst und eindeutig geklärte Fragen. Worauf hierbei gebaut wird: Die zugrundeliegende Erwartungshaltung, dass 100 Prozent der Forschenden zu einem Thema derselben Meinung sein müssten, um eine Frage abschließend zu klären, ist schlichtweg unrealistisch.
In Kombination mit Rosinenpickerei ist der unrealistische Anspruch auf absolute wissenschaftliche Wahrheit äußerst effektiv bei der Abwehr von Vorwürfen. Gerade in den für Esoterik-Unternehmen besonders lukrativen Märkten im Bereich Gesundheit und Ernährung wird lieber selektiv auf einen Mikrokosmos esoterisch geprägter Akteurinnen und Institutionen verwiesen als auf seriöse (aber im Ergebnis kaum schmeichelhafte) Studien. Die aus diesem Milieu stammenden „Untersuchungen“ genügen zwar nicht wissenschaftlichen Standards, können jedoch die dringend benötigte Illusion von Evidenz erzeugen. In ihnen wird dann beispielsweise von Tests in einer Kontrollgruppe abgesehen, wodurch sich der Placebo-Effekt als vermeintlich erwiesene Heilwirkung des Esoterik-Produkts vermarkten lässt. So manche „Studie“ stellt sich außerdem rückblickend als bloße Befragung der überzeugten Stammkundschaft heraus. Einer Stammkundschaft, die letztendlich selbst an die aufgestellten Behauptungen glauben will – schließlich müsste sie sich sonst eingestehen, viel Geld für ein wirkungsloses Produkt verschwendet zu haben. Den eigenen Behauptungen widersprechende wissenschaftliche Studien werden bei der Rosinenpickerei schlicht ausgeblendet.
Wenn alle Stricke reißen, stellen Verschwörungserzählungen häufig die letzte Verteidigungslinie dar. Der in Verschwörungserzählungen enthaltene Vorwurf eines konspirativen bösartigen Handelns, der gegen alles und jeden vorgebracht werden kann, ist eine äußerst wirkmächtige – und damit auch die gefährlichste – Methode, mit deren Hilfe Kritikerinnen systematisch diskreditiert werden. Und auch für das Fehlen wissenschaftlicher Evidenz findet sich ein Grund: Die angeblich „von der Pharmalobby gesteuerte“ Wissenschaft, die an „alternativen“ Erkenntnissen kein Interesse habe, soll angeblich hinter allem stecken. Hierbei wird in der Regel ausgeblendet, dass große Teile der Esoterik-Szene handfeste kommerzielle Interessen verfolgen und deshalb kaum als neutrale unabhängige Instanz angesehen werden können. Welch gravierende Folgen die so geschaffenen Feindbilder ganz konkret für Ärztinnen und Wissenschaftlerinnen haben können, zeigte sich besonders während der Corona-Pandemie. Insbesondere aus dem stark mit der Esoterik-Szene verwobenem Milieu der radikalen Impfgegnerinnen kam es immer wieder zu Anfeindungen bis hin zu Morddrohungen gegen Forschende und Ärztinnen.
Egal ob Klimakrise oder auch Pseudomedizin – die unter PLURV zusammengefassten Methoden kommen in ganz unterschiedlichen Debatten zum Einsatz, und zwar immer dort, wo es gilt, wissenschaftliche Erkenntnisse zu diskreditieren. Die damit verbundenen Folgen können sowohl auf gesellschaftlicher als auch privater Ebene gravierend sein. Ein besonders drastisches Beispiel, in dem all diese Maschen zum Einsatz kommen und sich letztendlich zu einer auch politisch gefährlichen Melange verbunden haben, ist die sogenannte > „Germanische Neue Medizin“. Die „GNM“ geht auf den 2017 verstorbenen deutschen Arzt Ryke Geerd Hamer zurück. Medizinische Krebstherapien wie etwa Operationen, Bestrahlung oder Chemotherapie lehnte Hamer kategorisch ab. Stattdessen riet er Erkrankten im Sinne der Heilung dazu, den Tumoren angeblich zugrunde liegende innere „Konflikte“ aufzuarbeiten. Sein Arzttitel verlieh ihm die Aura von Seriosität und immer wieder berichteten große Medien über ihn. Seine angeblichen wissenschaftlichen Arbeiten basieren jedoch vor allem auf anekdotischer Evidenz und Rosinenpickerei.
Konfrontiert mit Kritik aus der Wissenschaft, diversen Gerichtsverfahren sowie dem Entzug seiner Approbation, verbreitete er im Laufe der Jahre immer radikalere antisemitische Verschwörungserzählungen und inszenierte sich als Opfer eines gigantischen Komplotts. Für das Scheitern seiner Habilitation machte er folgerichtig „jüdische Logen“ verantwortlich; die gesamte moderne Onkologie, so Hamers Überzeugung, verfolge insgeheim das Ziel, Nichtjüdinnen zu töten. Auch nach Hamers Tod fand seine Pseudo-Heilslehre in Teilen der rechtsextremen und völkischen Szene Anklang und wurde unter anderem von der Reichsbürger-Gruppierung > „Königreich Deutschland“ um Peter Fitzek beworben.
Esoterik und Pseudomedizin:
Beispiel für die Radikalisierungsspirale von Parallelwelten
Esoterik wird gerade im Bereich Gesundheit schnell als skurriles, aber harmloses Phänomen abgetan. Doch diese Einordnung ist ein Trugschluss. Das Beispiel Ryke Geerd Hamer zeigt, wie schnell vermeintlich unpolitische unwissenschaftliche Überzeugungen mithilfe von Verschwörungserzählung in menschenfeindliche Überzeugungen übergehen können. Die Anschlussfähigkeit an verschwörungsideologische Weltbilder ist typisch für die Esoterik. Sie ergibt sich vor allem aus den gemeinsamen Feindbildern, die auch Überschneidungen mit anderen Gruppierungen ermöglichen. Insbesondere für Gruppierungen mit einem autoritären Weltbild, wie etwa weite Teile der extremen Rechten, waren Verschwörungserzählungen, die sich gegen Medien und Wissenschaft richten, schon immer hochattraktiv.
Zahlreiche rechtsextreme Attentäter der letzten Jahre vertraten ein Weltbild, das stark verschwörungsideologisch geprägt worden war und in dem Wissenschaft, Medien und Politik als Teil einer feindlichen bösartigen Verschwörung gegen die Bevölkerung gesehen werden. Denn letztendlich lässt sich mithilfe verschwörungsideologischer Narrative eine Sicht auf die Welt kreieren, in der die Realität nach eigenen Vorstellungen geformt werden kann – ohne lästige Einwände fürchten zu müssen. Eine solche Haltung kann letztendlich nicht nur persönliche Entscheidungen in Bezug auf die eigene Gesundheit beeinflussen. Das darin enthaltene toxische Potenzial ist auch in der Lage, eine gefährliche politische Radikalisierungsspirale in Gang zu setzen, an deren Ende Menschen nicht nur evidenzbasierte medizinische Behandlungen im Krankheitsfall ausschlagen – sondern auch zentrale Akteurinnen und Instanzen demokratischer Debatten als feindlich wahrnehmen.
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Katharina Nocun ist Publizistin und Politikwissenschaftlerin. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind das Spannungsfeld von Digitalisierung und Demokratie sowie die Wirkmacht von Verschwörungserzählungen.
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Fußnoten
[1] Ein Verfahren, das durch die zufällige Einteilung der Probandinnen in eine Wirkstoff- und Kontrollgruppe (Placebo) Verzerrungen der Studienergebnisse vorbeugen soll.
[2] Vgl.: Jaisankar, C.: Fake varsity sealed after operating for 12 years, 11.01.2019. In: The Hindu.
GLOSSAR
„BRD-GmbH“ (auch „Firma“)
„Reichsbürger“ und das souveränistische Milieu sehen in der Bundesrepublik eine illegitime „Fremdherrschaft“, die 1949 den Deutschen von den Alliierten aufgezwungen worden sei. Damit verbunden ist die Vorstellung der Bundesrepublik als fremdgesteuerte vermeintliche GmbH oder Firma und nicht als Staat mit entsprechenden hoheitsrechtlichen Aufgaben. Verschiedene Gruppen arbeiten an Parallelstrukturen mit eigenen staatsähnlichen Institutionen und Dokumenten wie etwa das > „Königreich Deutschland“.
„Germanische Neue Medizin“ („GNM“, „Germanische Heilkunde“)
Unter „GNM“ versteht man pseudomedizinische und gesundheitsgefährdende „Behandlungsmethoden“, die von Ryke Geerd Hamer in den 1980er Jahren entwickelt wurden. Eine zentrale Behauptung ist, dass Erkrankungen wie etwa Krebs ein seelischer „Konflikt“ zugrunde liege und die Symptome verschwinden, wenn dieser gelöst sei. Infektionen oder Bakterien erfüllten nach Hamer einen höheren Sinn und eine Aufgabe. Eine evidenzbasierte medizinische Behandlung wird grundsätzlich abgelehnt.
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„Königreich Deutschland“
ist eine 2012 von dem Souveränisten Peter Fitzek gegründete Organisation mit umfassenden Pseudo-Strukturen vom Bildungssystem über eine eigene Währung bis zum Glaubenssystem. Zum „Königreich“ gehören diverse Siedlungsprojekte u.a. in der Uckermark oder in Sachsen. Ideologisch grundlegend ist die Delegitimierung der Bundesrepublik als eine von den Alliierten gesteuerte > GmbH sowie die Ablehnung der Demokratie. Fitzek wird vom Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt beobachtet.
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