NARRATIV-CHECK

Was hinter radika­li­sie­renden Botschaften steckt.

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NARRATIV-CHECK

Was hinter radikalisierenden
Botschaften steckt.

Popkultur von rechts
Techniken
Der Flugsand­effekt:
wie Empörungs­dy­na­miken der extremen Rechten nutzen

„Döp dö dö döp“ – diese Lautfolge reicht aus, um eine politische Botschaft zu senden. Rund um ein Party-Video auf Sylt, in dem junge Leute auslän­der­feind­liche Parolen auf einen Dance-Hit singen, hat sich eine beacht­liche Dynamik entwi­ckelt. Wie kam es dazu, dass das Meme aus Text und Tune so eine große Verbreitung fand? Eine Erklärung findet sich im Wechsel­spiel von Empörung und Gegenempörung.

Seit Herbst 2023 war Gigi D’Agostinos Song „L’amour toujours“ öfters in Online-Videos zu hören – übertönt von der xenophoben Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ und meist gefolgt von Empörung in digitalen Räumen. Mit dem Sylt-Video, das junge Menschen zeigt, wie sie die Parole mitsangen, erreichte die Empörung im Mai 2024 eine neue Qualität. Schnell verbreitete sich der Clip und katapul­tierte die Betei­ligten ins Rampen­licht; die Tages­schau berichtete, Politiker kommen­tierten, die Polizei ermit­telte, Arbeit­geber reagierten.

Song und Slogan wurde so neues Leben einge­haucht: Sie wurden zum > Meme, zur Chiffre für Auslän­der­feind­lichkeit, zum – laut einem Medien­ma­gazin – „Sommerhit“ oder, wie es der rechts­extreme Aktivist Martin Sellner sagte: zur „Remigra­ti­ons­hymne“. Wie konnte es dazu kommen? 

Aufmerk­samkeit durch Skandalisierung

Songs und Parolen zu kombi­nieren, gehört zu den (pop-)kulturellen Praktiken der extremen Rechten, um politische Anschluss­fä­higkeit herzu­stellen. Doch in diesem Fall entwi­ckelte die Verbreitung des Memes eine Eigen­dy­namik, die zum Glücksfall der extremen Rechten wurde. Eine wichtige Rolle spielte dabei, dass die omniprä­sente Skanda­li­sierung in sozialen und herkömm­lichen Medien den Song als ultimative Provo­kation attraktiv machte. In dieser Eigen­schaft steht er nicht bloß für eine rechts­extreme Botschaft, sondern auch für die Ablehnung bestimmter Politiken, die sich für manche im skanda­li­sie­renden Umgang mit dem Sylt-Video ausdrückte. 

Das Problem ist bekannt: Strate­gische Inter­aktion mit rechts­extremen Inhalten kann zu ihrer digitalen Verbreitung beitragen. Denn Algorithmen belohnen vor allem jene Inhalte mit Sicht­barkeit, mit denen inter­agiert wird. Auch Gegenrede wirkt so an der Erwei­terung der Öffent­lichkeit beanstan­deter Inhalte mit – man wird zu deren Prosument (Konsument und Produzent). In den sozialen Medien kommt es immer wieder zu Fällen, wo die Empörung über Inhalte oder Akteure genau diesen mehr Aufmerk­samkeit (und auch Zuspruch) bringt. 

Zuweilen ist dann vom Streisand-Effekt die Rede (nach einem Vorfall um Sängerin Barbra Streisand), also dem Umstand, dass der Versuch, eine Infor­mation zu unter­drücken, genau dieser mehr Aufmerk­samkeit bringt. Das trifft es hier aber nicht ganz. Denn bei Empörungs­wellen wie im Fall von „L’amour toujours“ wird gezielt infor­miert, etwa um die xenophobe Besetzung eines populären Songs zu skanda­li­sieren. Aufmerk­samkeit war also gewollt. Nur führte, entgegen der Erwartung, die Skanda­li­sierung nicht zur Eindämmung, sondern zu weiterer Nachahmung. 

Der Flugsand­effekt

Dass das Meme auch verstärkt in einem affir­ma­tiven Sinne repro­du­ziert wurde, erklärt sich nicht allein dadurch, dass hier rechts­extreme Einstel­lungen ein Vehikel gefunden haben, ungenierter heraus­po­saunt zu werden. Der positive Bezug kann auch eine Ablehnung der Politik zum Ausdruck bringen, für die der Umgang mit Sylt exempla­risch steht. Hier kann an allge­meine Debatten angeknüpft werden (Stichwort: Verbots­kultur), aber auch konkret die Ächtung der Betei­ligten Anlass zur Gegen­em­pörung sein. Insbe­sondere, dass über ein lokales Ereignis mit ordinären jungen Menschen in diesem Ausmaß berichtet und diese an den öffent­lichen Pranger gestellt wurden, war vielfach als unver­hält­nis­mäßig kriti­siert worden. Zumal die Parole als solche – aller Radika­lität und Menschen­ver­achtung zum Trotz – nicht eindeutig strafbar ist. 

Die Skanda­li­sierung erwei­terte also nicht nur den Resonanzraum des Memes, sie erzeugte auch selbst Kontro­verse. Denn Politiken der Ächtung sind stets umstritten; sie rufen Wider­spruch auch bei Leuten hervor, die die proble­ma­ti­schen Inhalte nicht teilen, die Reaktion auf diese aber als proble­ma­tisch empfinden. Sie können damit einer (indirekten) Solida­ri­sierung mit den betref­fenden Inhalten Vorschub leisten. Ächtung verur­sacht also Aufwir­be­lungen: Dabei finden Akteure mit unter­schied­lichen Einstel­lungen in ihrer Ablehnung einen gemein­samen Nenner; wie Flugsand werden sie angehoben und auf einen gemein­samen Stand­punkt verweht. 

Dass der Wind hier nach rechts bläst, hat auch mit Aspekten einer morali­schen Panik zu tun, die in der Reaktion auf das Sylt-Video aufscheinen. Spätestens seit der Correctiv-Recherche zu einem rechts­extremen Netzwerktreffen in Potsdam ist im Kampf gegen rechts eine größere Wachsamkeit zu beobachten, die in der sozial-medialen Massen­dy­namik leicht überborden kann. Dass sich davon auch Medien und Politik anstecken lassen, wie für moralische Paniken typisch, trägt entscheidend zur Wahrnehmung der Reaktion als unver­hält­nis­mäßig bei, die eine Brücke nach Rechts­außen schlägt. Etwas mehr Contenance könnte helfen, den Flugsand­effekt zu vermeiden, der letztlich der extremen Rechten in die Karten spielt.

 

Text und Recherche kommen von der Forschungs­stelle der Bundes­ar­beits­ge­mein­schaft „Gegen Hass im Netz“. Der ausführ­liche Origi­nal­beitrag findet sich im Trend­report „Video Made the Radical Star“ und ist hier online abrufbar: https://machine-vs-rage.bag-gegen-hass.net/der-flugsandeffekt/.

GLOSSAR

Memes (Internet-Memes)

sind digitale Medien­in­halte wie Bild-Text-Kombi­na­tionen, Kurzvideos oder GIFs, die von Nutze­rinnen und Nutzern repro­du­ziert, abgewandelt und verbreitet werden und durch massen­hafte Bezug­nahme viral gehen. Memes sind oft humorvoll oder satirisch, sie können auch politische oder menschen­feind­liche Ideologien transportieren.