Altba­ckene Deutsch­tü­melei und anti­li­be­rale Revolte: Die Wieder­kehr der Neuen Rechten

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Ralf Fücks im Gespräch mit Prof. Dr. Micha Brumlik.

Ralf Fücks: Wir sprechen mit Micha Brumlik, Acht­und­sech­ziger und einer der bekann­testen poli­ti­schen Intel­lek­tu­ellen der Bundes­re­pu­blik. – Du hast in der letzten Zeit relativ viel geschrieben zu der Wieder­kehr des rechten Denkens in der Bundes­re­pu­blik und in Europa. Wie weit ist das tatsäch­lich eine Wieder­auf­nahme von langen Linien in der euro­päi­schen Geis­tes­ge­schichte? Oder ist das doch ein sehr gegen­wär­tiges Phänomen, mit dem wir es da zu tun haben?

Micha Brumlik: Diese Wieder­kehr des rechten Denkens ist beides zugleich. Sie nimmt einer­seits Tradi­ti­ons­li­nien des klas­si­schen Konser­va­ti­vismus bis Rechts­ra­di­ka­lismus auf, wendet sie aber zeitgemäß. Der wesent­liche Unter­schied ist, dass dieser Natio­na­lismus derzeit ein Defen­siv­na­tio­na­lismus ist und kein Expan­siv­na­tio­na­lismus mehr. Das war bei rechten Denkern noch in der Zwischen­kriegs­zeit der soge­nannten konser­va­tiven Revo­lu­tion ganz anders. Damals träumte man noch – und sah das dann zum Teil auch im Natio­nal­so­zia­lismus und mit Hitler verwirk­licht – , von einer Vorherr­schaft über Europa. Davon kann gegen­wär­tige keine Rede mehr sein. Obwohl diese Leute „Europa“ sagen, meinen sie eigent­liche ein geschlos­senes, der Globa­li­sie­rung irgendwie entge­hendes, kulturell homogenes Deutschland.

Ralf Fücks: Das ist ein inter­es­santer Aspekt: Die neue konser­va­tive Revo­lu­tion tritt nicht anti­eu­ro­pä­isch auf, sondern vertritt die Vorstel­lung eines Ethno­plu­ra­lismus, in dem jeder nach seiner eigenen Geschichte, Herkunft, kultu­rellen Tradition lebt. Mit einem „Europa der Vater­länder“ kann die Neue Rechte gut leben. Die Phobie geht gegen die Vermi­schung, gegen kultu­relle Vielfalt und gegen die multi­eth­ni­sche Demokratie.

Micha Brumlik: Es geht gegen Diver­sität. Und damit geht es aber zugleich gegen liberale Grund­prin­zi­pien auch unserer Verfas­sung. Denn auch unsere Verfas­sung lässt grund­sätz­lich zu, dass die Formen guten Lebens nicht gesetz­lich politisch vorge­schrieben sind. Das steckt auch hinter der Diskus­sion über die soge­nannte Leit­kultur. Leit­kultur, wenn es so etwas überhaupt gibt, steht als Regelwerk im Grund­ge­setz. Da steht zum Beispiel nicht, dass Männer und Frauen sich die Hand geben müssen. Das können sie. Das dürfen sie. Das sind lieb­ge­won­nene Konven­tionen. Aber die Neue Rechte versucht, gewach­sene Konven­tionen gleichsam mit dem Nimbus des unver­än­der­lich, ewig Gültigen und auf jeden Fall Bewah­rens­werten zu verbinden.

Ralf Fücks: Gerade für Leute, die aus der 68er-Bewegeung kommen, galt „links“als rebel­lisch und unkon­ven­tio­nell, als die Kraft, die für Verän­de­rung eintritt. Jetzt gibt es irri­tie­rende Anzeichen, dass sich das verkehrt hat, dass die Neue Rechte mit dem Gestus des Provo­ka­teurs, des Umstürz­ler­tums auftritt und die Linke in die Ecke des etablierten Spie­ßer­tums schiebt.

Micha Brumlik: Richtig ist, dass Leute wie wir um die 60, um die 70 in gewisser Weise arriviert sind. Das zu bestreiten wäre geradezu unredlich. Was an dieser Neuen Rechten und insbe­son­dere den soge­nannten Iden­ti­täten so inter­es­sant ist, dass sie ausdrück­lich diesen Gestus des Rebel­len­tums gekapert haben – bis in ihr Auftreten, ihr Aussehen, ihre Kleidung.

Ralf Fücks: Da schließt sich aber doch der Kreis zu den 20er, 30er Jahren:  auch da – und zwar bis in den Natio­nal­so­zia­lismus, der sich ja als revo­lu­tio­näre Bewegung insze­nierte – gab es dieses Rebel­li­sche, Anti­bür­ger­liche auf der rechten Seite.

Micha Brumlik: Ja, absolut. Das dann aber sehr bald in einen Konfor­mismus äußerster, mili­tä­ri­scher Art gemündet ist. Diese Studenten sind dann am Ende in SA- und SS-Uniformen herum­ge­laufen. Das war dann die „nonkon­for­mis­ti­sche Revolution“.

Ralf Fücks: Was denkst Du müsste unserer Seite – also die Links­li­be­ralen, das sind wir doch am Ende geworden – tun, um dieser Heraus­for­de­rung erfolg­reich zu begegnen? Es reicht ja nicht, die Neue Rechte einfach zu denunzieren.

Micha Brumlik: Ich glaube schon, dass man sich mit dem, was bei diesen Leuten an Argu­menten oder soge­nannten Argu­menten vorge­bracht wird, ausein­an­der­setzen muss. Die Mischung aus tradi­tio­nell und neu oder rebel­lisch finden wir in ganz beson­derer Weise inter­es­san­ter­weise in Öster­reich. Dort wird die FPÖ von nun wirklich altmo­di­schen, konser­va­tiven, rechten Studen­ten­ver­bin­dungen getragen. Während, wenn man ihn so nennen will, der intel­lek­tu­elle Anführer der Iden­ti­tären, ein Philo­so­phie­stu­dent namens Martin Sellner, eher herum­läuft wie eine rebel­li­scher Jugend­li­cher. Er bedient sich übrigens auch – das müssen wir immer berück­sich­tigen – des Argu­men­ta­ti­ons­po­ten­zials der arri­vierten Linken. Martin Sellner hat etwa oft genug die Kritik an der Kultur­in­dus­trie gekapert, ohne dass diese rechten Intel­lek­tu­ellen viel mehr wären als ein Vintage-Produkt. Also, sie bemühen sich um altmo­di­sche Werte und kleiden die in ein rebel­li­sches Fähnchen.

Ralf Fücks: Man könnte sagen, das ist ein Ausdruck der Defensive der anti­li­be­ralen Rechten. Sie gehen in die Offensive, weil sie kulturell und politisch in der Defensive sind.

Micha Brumlik: Ich sagte ja, das ist Defen­siv­na­tio­na­lismus. Obwohl sie – auch hier haben sie von den Linken gelernt – von Antonio Gramsci das Konzept der kultu­rellen Hegemonie über­nommen haben. Jemand wie Götz Kubit­schek hat nun mit anderen diese Bewegung „Ein Prozent“ gegründet – die meinen, wenn sie ein Prozent der wahl­mün­digen Bevöl­ke­rung der Bundes­re­pu­blik Deutsch­land, also der ethnisch deutschen mündigen Wahl­be­völ­ke­rung, von ihren Ideen über­zeugen können, dass sie damit mittel­fristig auch die poli­ti­sche Hegemonie erringen können.

Ralf Fücks: Denkst Du, dass die anti­li­be­rale Konter­re­vo­lu­tion ihren Zenit schon über­schritten hat oder ist das ein Phänomen, mit dem wir zumindest mittel­fristig zu rechnen haben?

Micha Brumlik: Das ist nicht zu übersehen. Ich bin ein großer Anhänger des Frank­furter (Frankfurt an der Oder) Sozio­logen Andreas Reckwitz, der eine inter­es­sante neue Klas­sen­theorie aufge­stellt hat. Er sagt, es gibt drei Klassen. Da gibt es einer­seits Leute wie uns, die links­li­be­ralen, kosmo­po­li­ti­schen, meri­to­kra­ti­schen und am Post­ma­te­ri­ellen inter­es­sierten Akade­miker. Dann gibt es so etwas wie die unsicher gewor­denen alten Mittel­schichten. Da würde ich die Ursprungs­ge­nera­tion der AfD darunter subsum­mieren. Und dann gibt es in der Tat die von Abstieg und auch von sozio­kul­tu­reller Miss­ach­tung bedrohten prekären Schichten. Je ein Drittel. Und es kann durchaus sein, wenn es auch in diesem Land einmal wirt­schaft­lich nicht mehr so gut geht, wie es im Moment geht, dass dann die Anzie­hungs­kraft rechts­extre­mis­ti­scher Parteien – ich vermeiden den Begriff rechts­po­pu­lis­tisch –wieder stark an Zuspruch gewinnen wird. Ich fürchte und ich glaube, dass sehr viel auf die CDU/​CSU ankommen wird, ob sie am Ende nicht doch der Versu­chung unter­liegen, wie das etwa in Sachsen der Fall ist oder in anderen Bundes­län­dern oder Kommunen, wo sie schon dann und wann mit der AfD gestimmt haben.

Ralf Fücks: Insofern wäre Jamaika auch eine Konstel­la­tion, die CDU in der demo­kra­ti­schen Mitte festzubinden.

Micha Brumlik: Genau darum würde es gehen.

Ralf Fücks: Vielen Dank.


Micha Brumlik wird einmal im Monat für LibMod schreiben. Zum Thema hat er auf LibMod den Artikel „Die Wieder­gänger“ veröf­fent­licht.


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