Die Wieder­gänger

By Metropolico.org [CC BY-SA 2.0], via Wikimedia Commons

Mit der Neuen Rechten und den Iden­ti­tären kehrt der Typus des Rechts­in­tel­lek­tu­ellen zurück. Sie knüpfen an die Tradi­ti­ons­li­nien der Vordenker der Zwischen­kriegs­zeit an und sind gleich­zeitig sehr heutige Produkte der kriti­sierten Kultur­in­dus­trie. Dabei unter­liegen die Iden­ti­tären einem norma­tiven Trugschluss.

Die Skandale um den Auftritt des Antaios Verlages auf der dies­jäh­rigen Frank­furter Buchmesse haben es unüber­sehbar bewiesen: Eines der auffäl­ligsten Phänomene der aktuellen Rechts­ver­schie­bung in Politik und poli­ti­scher Kultur ist der Wieder­auf­tritt einer Gestalt, die es in der alten Bundes­re­pu­blik so gut wie überhaupt nicht gab: der Gestalt des Rechts­in­tel­lek­tu­ellen, die in der Weimarer Republik erheb­li­chen Einfluss genoss. Intel­lek­tu­elle – wir erinnern uns – sind Personen, die sich ohne spezi­fi­sche profes­sio­nelle Fähig­keiten ganz aus dem Fundus ihrer künst­le­ri­schen oder wissen­schaft­li­chen Fähig­keiten zu Fragen von Politik und Kultur äußern: ohne den Zwängen und Verant­wor­tungs­fallen zu unter­liegen, mit denen Amts­träger rechnen müssen. Als bekannte Beispiele für linke Intel­lek­tu­elle wären etwa Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir, Noam Chomsky, Theodor W. Adorno, Bertrand Russell oder auch Jürgen Habermas zu nennen.

In der Weimarer Republik und sogar noch in den ersten eins, zwei Jahren der NS-Zeit aber zogen in Deutsch­land rechte Intel­lek­tu­elle, Autoren und Wissen­schaftler wie Carl Schmitt, Ernst Jünger, Gottfried Martin, Martin Heidegger, aber auch Hans Zehrer sowie die Mitglieder des soge­nannten „Tatkreises“ Aufmerk­sam­keit und Folge­be­reit­schaft auf sich.

Micha Brumlik
Foto: Heinrich Böll Stiftung (Flickr: Micha Brumlik)

Prof. Dr. Micha Brumlik bei einem Vortrag in der Heinrich Böll Stiftung

Die Nieder­lage des NS Regimes führte zu einem Verschwinden dieses Typus: im Westen, in der BRD flüch­teten sich einige unter die Flügel Springer-Presse – etwa Hans Zehrer oder Wolfgang Venohr, im Osten in der DDR wirkte der „Natio­nal­bol­sche­wist“ Ernst Niekisch. Hans-Joachim Schoeps in Erlangen oder der Berliner Publizist Wolfgang Venohr traten für Monarchie, Preu­ßentum und ein dem Natio­nal­so­zia­lismus zum Trotz stolzes Natio­nal­ge­fühl ein, der uner­müd­liche Ernst Jünger (1895–199) aber verkör­perte wie kein anderer den Typus eines solda­ti­schen, intel­lek­tuell wage­mu­tigen, angeblich auch in der NS Zeit „anständig“ geblie­benen Mannes, der jedem Konfor­mismus entgegen an seinem eigen­stän­digen Lebens­ent­wurf festhielt.

Neben diesen Über­bleib­seln aus der Weimarer Zeit und dem Natio­nal­so­zia­lismus fielen in der Bundes­re­pu­blik vor allem in den 1970er Jahren einige wenige Männer auf, die sich vormals der radikalen Linken zurech­neten: Günter Maschke, der zunächst mit Che Guevara und der kuba­ni­schen Revo­lu­tion sympa­thi­sierte und sich nach seiner Rückkehr enttäuscht rechtem, reak­tio­nären Denken zuwandte und sich für die Werke von Carl Schmitt auch verle­ge­risch enga­gierte, Horst Mahler, der – aus dem Milieu der Burschen­schaften kommend – zur RAF kam, um im Gefängnis über die Lektüre Hegels – den er miss­ver­standen haben muss – zum rechts­ra­di­kalen Holo­caust­leugner zu werden, nicht zu vergessen auch der kürzlich in Dänemark verstor­bene Henning Eichberg, der u.a. als ehema­liges Mitglied des natio­nal­de­mo­kra­ti­schen Hoch­schul­bundes einer der Begründer des sog. „Ethno­plu­ra­lismus“ der „Neuen Rechten“ wurde, um nach Anfein­dungen in Deutsch­land nach Dänemark auszu­wan­dern, wo er bis zu seinem Tode eine führende Gestalt in der linken Sozia­lis­ti­schen Volks­partei wurde.

All diese Personen spielten in der alten Bundes­re­pu­blik und auch noch zwanzig Jahre später eine allen­falls marginale Rolle.

Das ist heute anders: Personen wie Björn Höcke, Götz Kubit­schek, Ellen Kositza, Rolf Peter Sieferle, Jürgen Elsässer sowie die Öster­rei­cher Martin Lichtmesz und – last but not least – Martin Sellner erregen Aufmerk­sam­keit und finden Gehör: parallel zum relativen Aufstieg von Pegida und der AfD. Dem entspre­chen Publi­ka­ti­ons­or­gane wie Elsässers „Compact“, der Zeit­schrift „Sezession“ und „Sezession im Netz“ sowie die ebenfalls im Netz publi­zierte „Blaue Narzisse“, nicht zu vergessen, die sechsmal im Jahr erschei­nende „edel­kon­ser­va­tive“ Hoch­glanz­zeit­schrift „Cato“.

Freilich unter­scheiden sich die neuen Rechts­in­tel­lek­tu­ellen in einem wesent­li­chen Punkt von den Rechts­in­tel­lek­tu­ellen der Weimarer Republik: während diese Vertreter eines aggres­siven, nach Außen gerich­teten, anti­de­mo­kra­ti­schen Expan­siv­na­tio­na­lismus waren, sind die heutigen Rechts­in­tel­lek­tu­ellen vor allem Sprecher eines auf die Bewahrung dessen, was sie als „eigene Kultur“ verstehen, gerich­teten Defen­siv­na­tio­na­lismus, der sich gerne auf ein basis­de­mo­kra­ti­sches, gegen die Insti­tu­tionen gerich­tetes Poli­tik­ver­ständnis beruft: „Wir sind das Volk!“ Dieses defensive Moment wird nicht zuletzt im Wahr­zei­chen der soge­nannten „iden­ti­tären Bewegung“, dem grie­chi­schen Buch­staben „Lambda“ deutlich: er steht für die grie­chi­sche Bezeich­nung „Lake­dai­mo­nioi“ – Name jenes grie­chi­schen Volkes, dessen drei­hun­dert Kämpfer sich im Jahre 480 vor der christ­li­chen Zeit­rech­nung bis zum letzten Mann gegen den Ansturm der Perser an den Ther­mo­pylen wehrte.

Daran aber wird schon deutlich – und das markiert die Differenz der neuen Rechts­in­tel­lek­tu­ellen zu jenen der Weimarer Republik – dass sie ganz und gar ein Produkt der doch auch von ihnen angeblich bekämpften Kultur­in­dus­trie sind. Die 300 der Ther­mo­pylen, die den Iden­ti­tären ihr Wahr­zei­chen gaben, wurden vor allem durch einen Holly­wood­film, dem 2007 entstan­denen Film „300“, der wiederum auf dem 1998 entstan­denen Comic „300“ beruhte. Nach­zu­tragen wäre noch, dass Hermann Göring nach der verlo­renen Schlacht bei Stalin­grad dieses Bild bemühte.

Freilich sind die neuen Rechts­in­tel­lek­tu­ellen noch in einem sehr viel weiter­ge­henden Sinne Produkte bzw. Nutzer der Kultur­in­dus­trie in ihrer aktu­ellsten Gestalt: der digitalen Kommu­ni­ka­tion, dem Appell an ein angeblich nonkon­for­mis­ti­sches Jugend­ideal sowie dem, was der Soziologe Andreas Reckwitz in einem soeben erschie­nenen bahn­bre­chenden neuen Buch als „Gesell­schaft der Singu­la­ri­täten“, als Gesell­schaft des Kultur­ka­pi­ta­lismus analy­siert hat. Ein auch nur kurzer Blick in die YouTube-Auftritte etwa von Martin Sellner oder von Ellen Kositza im „Kanal Schnell­roda“ zeigt, wie sehr sich diese Personen geschickt medial zu insze­nieren verstehen, wie sehr sie in Kleidung, Auftreten und Aussehen danach streben, der jeweils neuesten Jugend­mode in T‑Shirts und Hoodies zu entspre­chen, wie sehr sie bemüht sind, den hege­mo­nialen links­li­be­ralen Hinter­grund­kon­sens als spießig, veraltet oder – so der AfD-Vorsit­zende in Baden-Würt­tem­berg, Jörg Meuthen – als „versifft“ zu bezeichnen. Dem entspricht, dass Vertre­te­rInnen der nächstes Jahr auf fünfzig Jahre zurück­schau­enden 68’er in der Öffent­lich­keit gerne als „Altacht­und­sech­ziger“ bezeichnet werden. „Alt“ wie „veraltet“.

Die medialen Produkte und Prin­zi­pien dieser Neuen Rechten aber entspre­chen exakt dem, was Reckwitz als „Singu­la­ri­täten“ des spät­mo­dernen Kultur­ka­pi­ta­lismus bezeichnet hat. Mehr noch: sie sind als solche überhaupt nur im digi­ta­li­sierten Kultur­ka­pi­ta­lismus möglich, handelt es bei ihnen doch um poli­ti­sche Vinta­ge­pro­dukte: die vermeint­lich einzig­ar­tige, angeblich in sich homogene Herkunfts­kultur – der Deutschen oder des christ­li­chen Abend­landes – die in der politisch-medialen Vitrine, also im Internet und zumal in YouTube als selten und einmalig beworben werden.

Der normative Trug­schluss hinter dem so digi­ta­li­sierten iden­ti­tären Projekt besteht darin, dass seine Vertreter die urli­be­rale Unter­schei­dung zwischen politisch-mora­li­schen Prin­zi­pien und Entwürfen des guten Lebens ablehnen: liberale Rahmen­ord­nungen garan­tieren, dass alle – sofern sie die Grund­rechte anderer nicht einschränken – nach ihrer Fasson selig werden können: so deutsch, so christ­lich, so abend­län­disch wie sich die Familie Kubit­schek in Schnell­roda und im Netz exhi­bi­tio­nis­tisch präsen­tiert. Der poli­ti­sche Fehler des – so nur in der digitalen Welt möglichen – Defen­siv­na­tio­na­lismus der Iden­ti­tären besteht darin, zu verkennen, dass Gesell­schaften, Staaten keine Tugend- sondern Rechts­ge­mein­schaften sind. Das Recht aber, so schon der Philosoph der Aufklä­rung Immanuel Kant vor mehr als zwei­hun­dert Jahren, ist „der Inbegriff der Bedin­gungen unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allge­meinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“


Zum Thema gibt es auf LibMod auch ein Video-Interview mit Prof. Dr. Micha Brumlik.

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