Der Chaosflughafen: TLV – Tel Aviv Ben Gurion
Politisches Chaos um einen Flughafen gibt es jetzt auch in der einzigen Demokratie des Nahen Ostens. Der Impfweltmeister zeigt hier, dass andere Aspekte des Pandemiemanagements vollkommen außer Kontrolle geraten sind – und pragmatische Lösungen schwer zu finden.
Wer begreifen will, in was für einem Zustand sich der Staat Israel befindet, der muss sich einen einzigen Aspekt herauspicken, um einen Einblick zu erhalten: die Schließung, beziehungsweise Öffnung des Flughafens Ben Gurion. Es ist der einzige internationale Flughafen, den das kleine Land hat. Nur über ihn kommen Israelis hinein oder hinaus. Wenn er zu ist – dann ist man isoliert, eingesperrt. Oder – ausgesperrt. Am 24. Januar entschied die israelische Regierung den Flughafen zu schließen, um so die Einschleppung von Covid-19-Mutanten zu unterbinden. So weit, so gut. Dass man Ausländern die Einreise verweigerte, ist verständlich und das ist ja schon seit knapp einem Jahr so. Allerdings kam die aktuelle Ankündigung gerade mal 24 Stunden vor der Schließung. Und damit steckten Zehntausende Israelis, die sich im Ausland befanden, plötzlich fest. Sie konnten nicht mehr heim. Eine mehr als fragwürdige Entscheidung einer Regierung. Es gibt kein einziges Land auf der Welt, dass seinen eigenen Staatsbürger die Einreise verwehrt. Das macht nur Israel. Damit ist die Schutzfunktion des Staates für seine Bürger im Grunde aufgehoben.
Tausende gestrandet ohne Visum
In der Praxis standen die festsitzenden Israelis vor einer Reihe von Problemen: Sie mussten plötzlich länger in einem Land bleiben als ihr Visum es ihnen eigentlich erlaubte. Sie wussten nicht, wo sie unterkommen sollten, weil sie Hotels, Airbnb etc. nicht auf unbegrenzte Zeit finanzieren konnten. Von persönlichen Tragödien (Familientrennung, Rückkehr zum Job, Krankheiten und vieles mehr) gar nicht zu reden.
Als die israelische Regierung begriff, dass man da mal wieder unnötigerweise ein Problem kreiert hatte, entschied man sich für neue Richtlinien und Regelungen. Ein Komitee wurde eingerichtet, das Anträge zur Ein- und Ausreise prüfen und nach fragwürdigen Kriterien genehmigen sollte. Man führte „Rückführungsflüge“ ein. So gibt es eine Maschine nach Frankfurt und zurück, über die Israelis in Europa heim können – wenn ihnen das Komitee grünes Licht gibt. Und wenn diese Israelis eine Lösung finden, wie sie nach Frankfurt kommen. Denn sie können ja nicht normal in Deutschland einreisen, sie müssten ja zunächst in Quarantäne. Also bleibt ihnen nichts anderes übrig als von wo auch immer per Flugzeug einzureisen und im Transit zu verweilen. Und so sah man Bilder von Israelis, die ein, zwei Tage auf dem Flughafen Frankfurt verbringen und übernachten mussten, bis sie endlich ihren Flug hatten. Egal wie unangenehm diese Situation sein mag, diejenigen, die überhaupt nach Hause kamen, konnten sich privilegiert schätzen. Denn Tausende Israelis hatten weiterhin keine Chance auf einen Rückflug. Es hieß zwar stets, dass man in ein, zwei Wochen den Flughafen wieder aufmachen würde, doch dann wurde jeweils die Verlängerung der Schließung beschlossen, eine Salamitaktik, die die Regierung auch in vielen anderen Bereichen anwendet.
Elektronische Fußfesseln und Quarantäne-Hotels
Wie unnötig sich die israelische Regierung Probleme aufhalst, konnte man am Beispiel USA sehen. Für die „Rückführungsflüge“ aus den USA war zunächst allein die israelische EL AL zuständig. Doch dann protestierten amerikanische Airlines, dass sie solche Flüge nicht auch durchführen durften, das widerspräche bestimmten Flugabkommen, die es zwischen den USA und Israel gibt. Selbst Präsident Biden mischte sich ein – und schon machte Jerusalem einen Rückzug und gab den Amerikanern die Erlaubnis in Tel Aviv landen zu dürfen.
Das Chaos und Durcheinander geht aber noch weiter. Das Land war nicht in der Lage, die Ankunft und die Quarantäne- und Testpläne vernünftig zu gestalten. Mehrmals in der Vergangenheit hatte die Regierung verfügt, dass Einreisende in staatlich geführte Quarantäne-Hotels müssen, dann wurde das wieder geändert, die Menschen durften doch nach Hause gehen, dann doch wieder Hotels und so ging das nonstop hin und her. Jetzt, mit der Schließung des Flughafens und den allmählich doch eintrudelnden Israelis, wurde wieder die Hotel-Regelung eingeführt. Mit etlichen Ausnahmen, so dass nur ein kleiner Teil der Ankömmlinge tatsächlich ihre Quarantäne im Hotel und nicht daheim absitzen mussten. Inzwischen hat die Regierung ein neues Tool gefunden, das sich derzeit in einer Testphase befindet: elektronische Fußfesseln, so dass man zwar nach Hause darf, aber überwacht wird, ob man die Quarantäne auch wirklich einhält. Ob daraus eine konstante Regelung wird, weiß kein Mensch, möglicherweise wird das Ganze gerichtlich kassiert, falls sich herausstellt, dass es nicht rechtens ist. Aber das wäre typisch für Entscheidungsfindung der Regierung: erst hektischer Aktionismus, dann ungeordneter Rückzug...
Manche sind kurz vor der Wahl gleiche als andere
Der eigentliche Skandal brach dann vor einigen Tagen aus. Ein israelischer Fernsehsender zeigte, dass das oben erwähnte Komitee überwiegend ultraorthodoxen Israelis die Genehmigung zur Einreise erteilt hatte. Damit schien der israelischen Öffentlichkeit schlagartig klar zu werden, was tatsächlich am „geschlossenen“ Flughafen abläuft: kommen dürfen Israelis, die dem Pro-Netanyahu Lager zugerechnet werden können. Denn am 23. März wird in Israel mal wieder gewählt, die orthodoxen Parteien stehen fest zum israelischen Premier Benjamin Netanjahu. Man braucht jede Wählerstimme! Die potentiell „Linken“ läßt man draußen. Der Bericht entfachte soviel Empörung, dass sich die Regierung nun zum schnellen Handeln gezwungen sah. Seit Anfang März ist der Flughafen wieder offen, es können jetzt alle wieder bis zur Wahl zurückkommen, wenngleich eine Quote festgelegt wurde, wie viele pro Tag maximal einreisen dürfen. Plötzlich war man auch in der Lage halbwegs vernünftige Quarantäne- und Testregularien festzulegen und Geimpfte davon auszunehmen.
Chag Pessach Sameach!
Wie es weitergeht? Das weiß im Augenblick kein Mensch. Sicher ist: zum jüdischen Pessachfest, das am 27. März beginnt, wird der Flughafen sicherlich wieder für sieben Tage geschlossen. Und ob danach alles wieder normal weitergeht oder ob die Regierung die eigene Bevölkerung in ihren bürgerlichen Freiheiten weiter willkürlich einschränken wird, bleibt abzuwarten. Doch es ist großartig, dass es das Virus gibt. Damit lässt sich mutwillige oder dümmliche Fehlplanung bestens entschuldigen.
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