Ralf Fücks zum Ukraine-Krieg im Interview mit dem ZDF – „Die Ukraine ist im Wettlauf mit der Zeit“

Er weiß, wie die ukrai­ni­sche Haupt­stadt Kiew vor dem Krieg war. Ralf Fücks war mehrere Male dort, hat in der Ukraine Freunde, Bekannte und auch Kontakte zur Regierung. Jetzt sei die Stadt „beklem­mend still“ und „merk­würdig leer“.

Gerade ist er wieder dorthin gereist – mitten ins Kriegs­ge­biet -, für ihn eine Frage der Soli­da­rität. Im ZDFheute-Interview erzählt er von seinen Eindrü­cken und davon, was die Ukrainer ihm mit auf den Weg gegeben haben.

ZDFheute: Sie sind gerade mit ihrer Frau Marie­luise Beck im Zug auf der Rückreise von Kiew. Wie erleben Sie diese Zugfahrt? Inwiefern spürt man dabei den Krieg?

Ralf Fücks: Ich empfinde die Rückfahrt als relativ entspannt im Unter­schied zu unserer Hinreise. Als wir mit dem Nachtzug von Lemberg nach Kiew fuhren, gab es ständig Luftalarm. Der Zug stand zum Teil still und wurde umge­leitet. Das Risiko sind die russi­schen Luft­an­griffe, die nicht kalku­lierbar sind. In der West­ukraine ist es noch relativ ruhig, auch wenn es in der letzten Woche zwei große Rake­ten­an­griffe auf Lemberg gegeben hat.

ZDFheute: Sie kennen Kiew von früheren Reisen. Wie haben Sie die Stadt dieses Mal wahrgenommen?

Fücks: Kiew war vor dem Krieg eine sehr quirlige, lebendige Metropole mit viel öffent­li­chem Leben, vielen Cafés und Restau­rants. Aber jetzt war die Stadt beklem­mend still und auch merk­würdig leer. In den ersten zwei Wochen des Krieges, als die russi­schen Truppen versuchten, Kiew im Sturm zu erobern, haben sehr viele Menschen, vor allem Frauen und Kinder, die Stadt verlassen.

ZDFheute: Haben Sie Angst gehabt bei Ihrem Besuch?

Fücks: Natürlich fühlt man sich etwas unbe­hag­lich, wenn die Sirenen heulen. In Lemberg sind wir bei Luftalarm noch in den Schutz­keller gegangen. Das haben wir in Kiew nicht mehr getan, weil die Ukrainer das auch nicht tun.

Das ist nichts im Vergleich dazu, was die Ukrainer jetzt aushalten müssen. Außerdem ist es nicht das erste Mal, dass wir in eine Kriegs­re­gion gefahren sind. Wir waren schon während des Balkan­kriegs in Bosnien.

ZDFheute: Haben Sie auch Zerstö­rung in der Stadt gesehen?

Fücks: In der inneren Stadt gibt es ein acht­stö­ckiges Einkaufs­zen­trum, das durch einen Rake­ten­an­griff zerstört worden ist. Das ist nur noch eine Ruine. Die Kämpfe und auch die heftigen Bombar­die­rungen spielen sich vor allem in den Außen­be­zirken und Vorstädten ab. Im Großraum Kiew gibt es massive Zerstörung.

ZDFheute: Was hat Sie zu der Reise nach Kiew bewogen?

Fücks: Meine Frau und ich haben viele Freunde und Bekannte in der Ukraine, auch Kontakte ins Parlament und zur Regierung. Die Reise war also eine Frage der Soli­da­rität, ein Zeichen: Wir lassen euch nicht im Stich. Und natürlich wollten wir uns ein genaueres Bild machen und auch die Forde­rungen und Erwar­tungen der Ukrainer an die deutsche Politik mitnehmen.

ZDFheute: Wen haben Sie getroffen?

Fücks: Wir haben eine Vielzahl von Abge­ord­neten aus unter­schied­li­chen Frak­tionen getroffen, mit einem stell­ver­tre­tenden Minister, einigen Intel­lek­tu­ellen und mit NGOs gesprochen.

Das Zweite ist verschärfter ökono­mi­scher Druck auf Russland. Es gibt eine klare Forderung: Entzieht dem russi­schen Regime die finan­zi­ellen Ressourcen für diesen Krieg. Die Ukraine kann nicht warten, bis sich Deutsch­land in drei oder vier Jahren von russi­schen Ener­gie­lie­fe­rungen frei­ge­macht hat.

Die Ukraine ist in einem Wettlauf mit der Zeit, weil sie jeden Tag Angriffe der russi­schen Armee auf die Infra­struktur, auf Kraft­werke, auf Betriebe verkraften muss, weil jeden Tag Soldaten und Zivi­listen sterben und ganze Städte wie Mariupol in Ruinen verwan­delt werden.

Ein dritter Punkt ist eine verbind­liche euro­päi­sche Beitritts­per­spek­tive. Die Ukraine gehört zur euro­päi­schen Gemein­schaft. Das ist auch ein wichtiges poli­ti­sches Signal, um die Moral in der Ukraine zu stärken. Die Ukrainer haben zu Recht das Gefühl, dass sie für ganz Europa kämpfen. Dass sie gerade die Fußsol­daten sind, mit denen die euro­päi­schen Grund­werte vertei­digt werden.

ZDFheute: Was haben Sie von Flücht­lingen mitbekommen?

Fücks: Die große Flücht­lings­welle fand in den ersten zwei Wochen des Krieges statt. Aus Kiew flüchten nicht mehr so viele Menschen. Es sind ja schon mehr als drei Millionen Menschen in Polen und anderen euro­päi­schen Ländern. Inzwi­schen gibt es sogar Infor­ma­tionen, dass einige wieder zurück­kommen. Auch weil die Familien getrennt sind, die Männer im wehr­fä­higen Alter dürfen nicht ausreisen. Frauen und Kinder kehren zurück, sobald die unmit­tel­bare Kriegs­ge­fahr in ihrem Heimatort vorbei ist.

Ukrai­ni­sche Mili­tär­ex­perten haben bestätigt, dass die russi­schen Truppen ihre Stel­lungen zwar vor Kiew oder im Norden des Landes nicht räumen, um dort weiter ukrai­ni­sche Truppen zu binden, aber dass sie jetzt eine neue Offensive im Süden und Südosten vorbe­reiten mit dem Ziel, eine neue Grenz­linie zu ziehen, die den gesamten Donbass und eine Land­brücke zur Krim umfasst.

Das Interview führte Michael Claus.