Israel­feind­schaft mit gutem Gewissen

Über die Entsorgung unserer Verant­wortung gegenüber dem jüdischen Staat

Ein Gastbeitrag von Ralf Fücks in der WELT+ zur aktuellen Israel-Debatte, den Bestre­bungen zur Entsorgung der beson­deren deutschen Verant­wortung gegenüber dem jüdischen Staat („Ende des Schuld­kults“) und den langen Linien der „linken“ Israelfeindschaft.

 

Kriege sind Hochzeiten der Lüge und zugleich Stunden der Wahrheit. Das gilt auch für das deutsch-israe­lische Verhältnis. Alle Feier­stunden, alles Reden von der beson­deren deutschen Verant­wortung verdeckten nur mühsam die Fremdheit gegenüber dem jüdischen Staat. Wir lebten in unter­schied­lichen Realitäten, geogra­phisch, politisch und mental. Israel unsere Illusionen von einer Welt überzustülpen, in der das Völkerrecht herrscht und alle Konflikte durch Dialog und Kompromiss gelöst werden können, war ein groteskes Missverständnis. Auch Angela Merkels Diktum, Israels Sicherheit sei Teil der deutschen Staatsräson, war nie eine reale Verpflichtung. Israel wusste immer, dass es im Ernstfall auf sich gestellt ist. Eng wird es aller­dings ohne Rückversicherung durch die USA.

Seit dem Gaza-Krieg haben sich die Risse im Verhältnis zu Israel zu einem veritablen Dammbruch ausge­weitet. Sein Auslöser – der trium­phale Überfall der Hamas mit 1200 ermor­deten Israelis, einer endlosen Reihe genozi­daler Grausam­keiten und 250 entführten Geiseln – wird allen­falls noch pflicht­schuldig erwähnt. Was dieser Schock für Israel bedeutet, welche Traumata und welche Entschlos­senheit zur Vertei­digung er ausgelöst hat, bleibt unver­standen. In weiten Teilen der Öffentlichkeit ist Israel der Täter. Antise­mi­tische Übergriffe nehmen rapide zu. Es gibt scharen­weise Boykott­aufrufe, Offene Briefe und Kundge­bungen gegen Israel. Gestern „Solidarität mit Palästina“, heute „Hände weg vom Iran“. Bis in bürgerliche Milieus gilt Israel als notori­scher Kriegs­ver­brecher und Brand­stifter. Wohl wahr, die Anti-Israel-Manie ist keine deutsche Spezialität. In anderen Ländern ist sie noch heftiger. Aber wir sind nun mal ein beson­derer Fall.

Quer durch das politische Spektrum erhebt sich der Ruf, die histo­rische Befan­genheit gegenüber dem jüdischen Staat abzuschütteln. Keine „Zwangssolidarität“ mit Israel! Als ob es die je gegeben hätte. Kein Tag vergeht ohne Kritik an wirklichen oder vermeint­lichen Menschen­rechts­ver­let­zungen Israels. Millionen von frisch gebackenen Völkerrechtlern sind sich einig in seiner Verur­teilung. Dass Deutschland sich der inflationären Verur­teilung des jüdischen Staates durch die UN entge­gen­stellt, ist eher Ausnahme als Regel. Mit Waffen­lie­fe­rungen sind wir sowieso zurückhaltend – mit der löblichen Ausnahme der U- Boote, die Teil der nuklearen Lebens­ver­si­cherung Israels sind.

Als Israel 1967 dem Angriff einer arabi­schen Koalition unter Führung des ägyptischen Präsidenten Nasser („Wir werden die Juden ins Meer treiben“) zuvorkam, erklärte Willy Brandt im Bundestag, Deutschland bleibe strikt neutral, wenngleich dies keine „moralische Indif­ferenz oder Trägheit des Herzens“ bedeute. Eine ziemlich treffende Beschreibung. Im folgenden Jom Kippur-Krieg (1973) geriet Israel zeitweise in eine verzwei­felte Lage. Dennoch forderte die sozial­li­berale Bundes­re­gierung von den USA, ihre Waffen­lie­fe­rungen über deutsche Häfen und Flugplätze einzustellen.

Will sagen: Es gab schon immer eine Kluft zwischen Sonntags­reden und Realpo­litik gegenüber Israel. Bedin­gungslose Solidarität gab es nie und kann es zwischen Staaten auch nie geben. Aber die jetzige Hyper­kritik hat eine neue Qualität. Sie allein mit dem überharten

Vorgehen Israels im Gazastreifen zu erklären, greift zu kurz. Es gibt einen Unter­schied ums Ganze zwischen der Kritik an unverhältnismäßiger Gewalt Israels im Krieg gegen einen Feind, der seine Vernichtung geschworen hat, und der syste­ma­ti­schen Dämonisierung eines Landes, das immer noch zur demokra­ti­schen Welt gehört.

Ja, es ist übel, welche elimi­na­to­ri­schen Parolen von Netan­yahus Koali­ti­ons­partnern zu hören sind. Und es ist inakzep­tabel, wenn Hunger als Kriegs­waffe einge­setzt wird. Aber alles das erklärt nicht die obsessive Verur­teilung Israels und die Ignoranz gegenüber der realen Bedrohung, die der jüdische Staat seit seiner Gründung ausge­setzt ist.

Der Dammbruch kommt nicht aus heiterem Himmel. An Universitäten und in Teilen der Medien wird Israel schon lange allein durch das Prisma der Besatzung betrachtet und als Koloni­al­staat gebrand­markt. Der Antise­mi­tismus mancher Einwan­de­rer­mi­lieus paart sich mit der Verdammung Israels durch die postko­lo­niale Linke. Auch in der Kultur­szene gehören Apartheid-Vorwürfe und Boykott­kam­pagnen zum Spielplan. „Antizio­nismus“ ist die Chiffre für Israel­feind­schaft mit gutem Gewissen.

Die deutsche Nachkriegs­linke sah Israel als progres­sives Projekt. Die links­ra­di­kalen Ausläufer der Studen­ten­be­wegung wechselten die Perspektive. Für sie war Israel ein Vorposten des westlichen Imperia­lismus. Ihre Solidarität galt den diversen Fraktionen der „palästinensischen Befrei­ungs­be­wegung“ und ihrem bewaff­neten Kampf gegen Israel. Es blieb nicht bei Worten. Am 9. November 1969, dem Jahrestag der Pogrom­nacht von 1938, schei­terte ein Bomben­an­schlag der „Tupamaros Westberlin“ auf das jüdische Gemein­de­zentrum in der Fasanen­straße nur knapp. Die indirekte Recht­fer­tigung lieferte Dieter Kunzelmann, ein Idol der Berliner links-alter­na­tiven Szene, wenige Tage danach. Die Linke müsse ihren „Judenknax“ abwerfen. „Wenn wir endlich gelernt haben, die faschis­tische Ideologie des Zionismus zu begreifen, werden wir nicht mehr zögern, unseren simplen Philo­se­mi­tismus zu ersetzen durch Solidarität mit der Fatah“. Das unter­scheidet sich nur in Nuancen vom neu-rechten Aufruf, sich endlich vom „deutschen Schuldkult“ zu verab­schieden. Nichts entlastet die deutsche Seele so sehr wie Israel zum Schur­ken­staat zu erklären und des Völkermords zu bezichtigen.

Als der damalige grüne Parteichef Christian Ströbele während des ersten Golfkriegs sagte:

„Die iraki­schen Raketen­an­griffe sind die logische, fast zwingende Konse­quenz der Polimk Israels“ war das noch ein Skandal. Heute ist es gängige Auffassung, dass Israel selbst schuld ist, wenn es angegriffen wird und wir deshalb keinen Finger zu seiner Vertei­digung rühren sollten.

Dass Friedrich Merz wagte zu sagen: „Israel macht für uns die Drecks­arbeit“, lässt hoffen, dass die deutsch-israe­lische Ennremdung nicht unumkehrbar ist. Aller­dings zeigt die Reakmon darauf, dass ein Guoeil unserer meinungs­bil­denden Eliten nicht bereit ist, vom hohen Ross ihrer morali­schen Überlegenheit abzusteigen. Dabei spricht Merz nur eine unbequeme Wahrheit aus. Wie jeder Krieg ist auch der Militärschlag gegen den Iran eine dreckige Angele­genheit. Wer sie aus guten Gründen wagt, um eine existen­zielle Bedrohung abzuwenden, macht sich die Hände schmutzig. Stao Israel dafür zu schelten, sollten wir dem jüdischen David nach Kräqen beistehen, in unserem ureigenen Interesse. Mit einem Iran, dem die Grenzen aufge­zeigt wurden, lässt sich besser verhandeln.

Textende

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