„Man muss Ökologie, Soziales und Ökonomie zusammen denken, sonst fährt Klima­po­litik gegen die Wand.“

Foto: Anne Hufnagl

Klima­po­litik kann sich nicht nur an den Hochrech­nungen der Klima­for­schung orien­tieren. Sie muss wirtschaft­liche Faktoren ebenso einbe­ziehen wie die Lebens­rea­lität der Menschen. Ralf Fücks im Tages­spiegel-Interview über Lehren aus dem geschei­terten Volks­ent­scheid in Berlin und den Aufbruch in eine ökolo­gische Moderne.

Herr Fücks, beim Berliner Volks­ent­scheid Klima­neu­start ging es um das Mensch­heits­thema schlechthin, doch nur ein Drittel ging wählen. Ist der Mehrheit die Zukunft des Planeten egal?

Vielen Berli­ne­rinnen und Berlinern war wohl die Tragweite dieses Volks­ent­scheids gar nicht bewusst, dass es nämlich darum ging, die Stadt innerhalb von sieben Jahren komplett umzubauen und sich zum globalen Vorreiter der Klima­po­litik aufzu­schwingen. Daraus würde ich nicht ableiten, dass allen, die nicht zur Wahl gegangen sind oder mit Nein gestimmt haben, die Zukunft des Planeten egal ist.

Sind die Initia­toren des Volks­ent­scheids nicht die wahren Realisten, wenn wir auf die Warnungen der Klima­for­scher schauen?

Ich habe da ambiva­lente Gedanken. Es stimmt, dass wir angesichts der sich verschär­fenden Klima­krise unsere Anstren­gungen verdoppeln müssen.

Aber wir werden den Übergang in eine klima­neu­trale Gesell­schaft nicht erreichen, wenn wir Klima­schutz so absolut setzen, dass er keine Rücksicht mehr nimmt auf die Lebens­rea­lität der Mehrheit und auf wirtschaft­liche und soziale Faktoren. Klimarea­lismus ist nicht eindimensional.

Das werfen Sie dem Volks­ent­scheid vor?

Er hat ein extrem ambitio­niertes Ziel formu­liert, das in dieser kurzen Zeitspanne nicht zu reali­sieren ist. Wir reden von der kompletten Strom­ver­sorgung durch erneu­erbare Energien, dem kompletten Ausstieg aus fossilen Energien im Gebäu­de­be­stand, im Verkehr und in der Berliner Industrie – ein paar Betriebe gibt es ja noch.

Das Ziel war überambitioniert?

Die Initia­toren haben die Zeit unter­schätzt, die es braucht, um eine hochkom­plexe Indus­trie­ge­sell­schaft umzubauen. Sie haben nicht verstanden, dass nicht nur das Klima ein sehr fragiles System ist, sondern auch die Gesell­schaft. In ihr kann man nicht beliebig herum­fuhr­werken, ohne dass es zu massiven Verwer­fungen kommt.

In den Tabellen der Klima­for­scher finden sie keine Antwort darauf, wie man die Energie­ver­sorgung, die Mobilität und die Gebäu­de­sub­stanz einer Millio­nen­stadt und die dahin­ter­ste­henden Produk­ti­ons­pro­zesse klima­neutral gestalten kann.

Man muss das Dreieck von Ökologie, Sozialem und Ökonomie zusammen denken, sonst fährt Klima­po­litik gegen die Wand.

Was schlagen Sie vor, um die Klima­ziele zu erreichen?

Ich halte den Ansatz für proble­ma­tisch, der einzig über den Ausstieg aus fossilen Energien und jahres­scharfe CO₂-Reduk­ti­ons­ziele definiert wird. Der Engpass liegt in den verfüg­baren Alternativen.

Denn der Ausstieg wird nur so weit statt­finden, wie die Alter­na­tiven verfügbar sind; das gilt für den Strom wie für den Verkehr oder für energie­in­tensive Industriebetriebe.

Das heißt?

Wir müssen eine Dynamik für klima­neu­trale Produkte und Techno­logien erzeugen. Den Druck auf Bürge­rinnen und Bürger und Unter­nehmen immer weiter zu erhöhen, weil die Klima­krise sich verschärft, ist ein Irrweg. Das erzeugt eher Abwehr als Verän­de­rungs­be­reit­schaft. Auch das hat der Volks­ent­scheid gezeigt.

Wir können uns nicht aus der indus­tri­ellen Moderne verab­schieden. Wir müssen nach vorne gehen – in eine ökolo­gische Moderne. Die Botschaft, wir müssen uns jetzt massiv einschränken, ist ökolo­gisch nicht zielführend und politisch fatal.

Die Letzte Generation will mit Straßen­sper­rungen und zivilem Ungehorsam die Menschen aufrütteln, damit sie der Politik beim Klima­schutz Druck machen. Geht der Plan auf?

Das geht nach hinten los. Sie nehmen Bürger in Geiselhaft für ihre Ziele. Wer fährt schon zum Vergnügen auf der Berliner Stadt­au­tobahn? Es kommt darauf an, den öffent­lichen Verkehr attrak­tiver zu machen und den Umstieg auf Elektro­mo­bi­lität voran­zu­treiben. Die Verteu­felung des Autos und des Fliegens schreckt die Leute ab und hilft auch dem Klima nur wenig.

Wir können die CO₂-Emissionen nicht durch eine kollektive Fastenkur auf null bringen. Der Schlüssel liegt in einer neuen indus­tri­ellen Revolution, einem funda­men­talen Umbau von Produktion, Energie­system und Verkehr. Das braucht Zeit. Wenn man versucht, Klima­neu­tra­lität zu erzwingen, zerstört man die Akzeptanz für Klimapolitik.


 

Das Interview führte Hans Monat für den Tages­spiegel, wo es zu erst erschienen ist.