NARRATIV-CHECK
Was hinter radikalisierenden Botschaften steckt.
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NARRATIV-CHECK
Was hinter radikalisierenden
Botschaften steckt.
Apokalypse now what
How to deal with
Apokalypse und Verschwörungstheorien –
wie wir damit umgehen können
In den letzten Jahren suchten vermehrt Menschen Rat, die in ihrem Umfeld mit apokalyptischem Denken konfrontiert sind. Wie gehen Beratungsstellen mit diesem Thema um? Der Autor Tobias Meilicke leitet die Beratungsstelle „veritas – Beratungsstelle für Betroffene von Verschwörungserzählungen“ in Berlin.
von Tobias Meilicke
Worum es geht
Das Konzept der Apokalypse ist heute fester Bestandteil von politischen Mobilisierungskampagnen verschiedenster Akteur*innen, beispielsweise in esoterischen, religiösen, fundamentalistischen und extremistischen Milieus. Kurz gesagt stellt die Apokalypse die Steigerung des Wortes Krise dar und beschreibt eine Zeit des Umbruchs bis zum Untergang. Wer sich als Eingeweihte*r begreift, vermag es, die Zeichen für Untergang und dessen (dämonische) Verursacher*innen zu erkennen – und die Apokalypse zu verhindern. Deutliche Überschneidungen gibt es zu sogenannten Verschwörungstheorien: In der Corona-Pandemie verbreitete sich u. a. die Verschwörungstheorie von der „tödlichen Impfung“, mit der angeblich ganze Bevölkerungen ausgelöscht werden sollten.
Auch rund um den Krieg in der Ukraine existieren Verschwörungstheorien, die diesen etwa als Schlacht zwischen Gut und Böse lesen. Putin gilt entsprechend der russischen Staatspropaganda als Kämpfer für das Gute, für traditionelle Werte und gegen „ukrainische Nazis“; der Westen wiederum als Aggressor, der den Dritten Weltkrieg und eine > Neue Weltordnung (s. a. > Great Reset) herbeiführen wolle.
Aus der Beratungspraxis
Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass sich in den vergangenen Jahren zahlreiche Menschen an Beratungsstellen für Weltanschauungen gewandt haben, die zum Beispiel bei Angehörigen apokalyptische Endzeitvorstellungen, verschwörungstheoretisches Denken und damit verbundene Ängste beschreiben. In der Beratungsarbeit haben wir beobachtet, dass apokalyptische Vorstellungen häufig mit einem missionarischen Aufklärungsbedürfnis einhergehen, dem das private Umfeld oft mit Ablehnung begegnet. Es wurde auch berichtet, dass einige Verschwörungsgläubige horrende Summen ausgeben für Produkte wie haltbare Lebensmittel und Prepper-Zubehör, die ihnen etwa in Kriegszeiten das Überleben sichern sollen. In Einzelfällen besteht der Wunsch nach Waffen, um sich im Notfall verteidigen zu können.
Unter Freund*innen und in der Familie führt dies oft zu Irritationen und Streit. Angehörige teilen dabei häufig eine Erfahrung: Rationale Gegenargumente haben bei Verschwörungsgläubigen wenig Überzeugungskraft. So zerbrechen langjährige Beziehungen. Für die Betroffenen sind diese Beziehungsabbrüche selten gut, denn so rutschen sie tiefer in den Kaninchenbau des Endzeitdenkens und in eine Bestätigungsspirale unter Gleichgesinnten.
Unsere Erfahrung
Um diese Beziehungsabbrüche zu verhindern, sollte mit Betroffenen nicht über die Inhalte von Verschwörungstheorien gesprochen werden, sondern über die mit ihnen einhergehenden Gefühle von u. a. Angst, Ohnmacht oder Wut. Hier heißt es: Empathisch sein und unter Umständen auch eigene Unsicherheiten in Bezug auf das Weltgeschehen offenlegen. Dabei müssen persönliche und gesellschaftliche Grenzen, zum Beispiel gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit betreffend, klar benannt werden. Empathisch zu sein gilt es in Bezug auf das „Leiden“ von Menschen – nicht gegenüber deren Hass.
Gemeinsam kann überlegt werden, wie mit den Gefühlen von Wut oder Ohnmacht ein Umgang gefunden werden kann, beispielsweise durch Aktivismus für statt gegen etwas. Dies war gerade in der Corona-Pandemie zu beobachten. Viele Menschen kompensierten ihr Ohnmachtserleben, indem sie sich organisierten und Einkäufe für Rentner*innen erledigten oder diese mit Briefen vor Einsamkeit zu bewahren suchten, anstatt gegen die Regierung auf die Straße zu gehen oder gar Gewaltakte gegen politisch Verantwortliche zu planen. So können Selbstwirksamkeitserfahrungen entstehen, die eine „konstruktive“ Alternative ermöglichen: ein persönliches Wachsen an der Situation statt destruktives verschwörungstheoretisches Endzeitdenken oder Angst und gegebenenfalls ein Distanzierungsprozess von menschenfeindlichen Ideologien.
Veritas bietet seit 2021 kostenlose, vertrauliche und einzelfallorientierte Beratung für Betroffene von Verschwörungserzählungen an. Mehr Informationen finden Sie u. a. auf veritas-berlin.de
GLOSSAR
Great Reset
Diese Verschwörungserzählung greift auf eine Initiative des Weltwirtschaftsforums und seines Gründers Klaus Schwab für eine postpandemische Weltordnung zurück, die im Sinne einer teilweise antisemitischen konspirativen Erzählung umgedeutet wird. In dieser beherrscht eine reiche mächtige Elite die Welt oder plant eine Neue Weltordnung..
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Neue Weltordnung
ist ein Oberbegriff für Verschwörungserzählungen über die Unterwerfung der Menschheit durch eine totalitäre Weltregierung. Überwachung oder Aufhebung der Freiheitsrechte sind Merkmale der Verschwörungserzählung. Sie beinhaltet auch antisemitische Motive. 1991 veröffentlichte der christliche Rechte Pat Robertson das Referenzbuch „The New World Order“, laut dem die „Hochfinanz“, Illuminati und Freimaurer die USA bedrohen.