NARRATIV-CHECK
Was hinter radikalisierenden Botschaften steckt.
.
NARRATIV-CHECK
Was hinter radikalisierenden
Botschaften steckt.
Parallelwelten
Interview
„Es geht immer um’s Ganze“ –
islamistische Influencer in sozialen Medien
modus|zad untersucht neue Entwicklungen extremistischer Szenen und Akteure. Für die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) verfasst das Zentrum für angewandte Deradikalisierungsforschung regelmäßig Monitorings der Plattformen Youtube und Tiktok zum Schwerpunktthema > Islamismus. Projektmitarbeiter Friedhelm Hartwig spricht über die Herausforderungen von islamistischen Online-Inhalten.
Herr Hartwig, Sie setzen sich mit islamistischen Inhalten und Kanälen in sozialen Medien auseinander. Inwieweit entstehen hier „Parallelwelten“?
Hartwig: Islamistische Influencer nutzen gezielt soziale Medien, um antidemokratische Botschaften zu verbreiten. Die Algorithmen der Plattformen unterstützen dort die Entstehung von radikalisierten Räumen. Wer Informationen zum Islam in den sozialen Medien sucht, gelangt schnell in eine Filterblase, in der gleiche Meinungen zu theologischen und gesellschaftspolitischen Fragen widerhallen. Unsere Analysen zeigen, dass islamistische Akteure unterschiedlicher Strömungen die Deutungshoheit zum Islam auf populären Plattformen wie Youtube oder Tiktok gewonnen haben. Zumeist konzentrieren sie sich auf religiöse Belehrungen. Einige Kanäle, die der in Deutschland verbotenen islamistischen Bewegung Hizb ut-Tahrir nahestehen, behandeln auch politische und gesellschaftliche Themen.
Welche problematischen Botschaften verbreiten islamistische Influencer?
Akteure wie „Muslim Interaktiv“ oder „Realität Islam“ propagieren eine radikale Ablehnung der Demokratie, etablierter Medien, der Wissenschaft oder zivilgesellschaftlicher Organisationen. Besonders scharf werden andersdenkende Muslim*innen und islamische Verbände angegriffen, die sich gesellschaftlich engagieren. Ein wiederkehrendes Motiv ist die Aufforderung, sich aktiv von der Gesellschaft abzugrenzen und eine religiös geprägte Gegenkultur zu schaffen. Begründet wird dies mit einer angeblich umfassenden Verschwörung gegen „den Islam“. Die Vorstellung dahinter: Wichtige geistesgeschichtliche Entwicklungen wie der Liberalismus vergifteten muslimisches Denken. Gelegentlich ist vom „Kulturkampf“ die Rede oder sogar von Vorzeichen eines endzeitlichen Kampfes der Gläubigen gegen die Ungläubigen. In der islamistischen Filterblase dominieren selbstbestätigende und polarisierende Reaktionen. Die wenigen kritischen oder differenzierenden Äußerungen werden scharf angegriffen.
Warum sind islamistische Erzählungen in sozialen Medien so wirksam?
Sehr verbreitet sind Themen, die Emotionen stark anheizen. Und es geht immer ums Ganze. Islamistische Akteure nutzen populistische Stilmittel. Häufig identifizieren sie eine Krise und bieten eine einseitige Diagnose mit pauschalen Schuldzuweisungen. Es folgt eine einzige, absolut gesetzte Lösung. Der Ton ist autoritär und oft legitimiert durch eine Theologie der Angst. Sehr beliebt ist auch ein kurzes Frage-Antwort-Format, wobei die teils komplexen Fragen im Stil ja/ nein, erlaubt/ verboten beantwortet werden. Autoritätsgläubigkeit ersetzt das kritische selbständige Informieren und Nachdenken.
Was braucht es, um das Vertrauen in eine pluralistische Gesellschaft aufrechtzuerhalten?
Viele Themen greifen existierende Probleme und persönliche Betroffenheit auf, wie zum Beispiel antimuslimischen Rassismus oder den Nahost-Konflikt. Eine verständnisvolle und empathische Kommunikation etwa mit Jugendlichen, die online mit diesen Inhalten konfrontiert sind, ist daher wesentlich. Zu einer Sensibilisierung für islamistische Narrative trägt beispielsweise unser transparentes und anschauliches bpb-Basismonitoring bei, das auf einem konstanten wechselseitigen Austausch mit Fachkräften der Prävention, politischen Bildung und Sozialarbeit basiert. Es gilt zudem als allgemeine Aufgabe, eine überzeugende lebenswerte Gesellschaft zu gestalten, die demokratische Ideale verwirklicht. Hierbei schließe ich die Verantwortung von Plattformbetreibern mit ein.
GLOSSAR
Islamistische Influencer, Islamismus
Islamistische Influencer verbreiten auf Social-Media-Plattformen wie Tiktok, Instagram oder Youtube ein absolutes Islamverständnis, das auf alle gesellschaftlichen und politischen Lebensbereiche angewendet wird und die Politik der Religion unterordnet. Mit dem Rückgriff auf ein strikt dualistisches und anti-pluralistisches Weltbild werden abweichende Überzeugungen und Lebensweisen abgelehnt. Islamistische Influencer geben vereinfachende Antworten auf komplexe theologische und gesellschaftspolitische Fragen.
.