Pogrom der Hamas und asymmetrischer Krieg
„Was am 7. Oktober geschehen ist, hat absolut nichts mit der Besatzung zu tun“ – Richard C. Schneider über Ignoranz, Empathielosigkeit und das Fehlen eines moralischen Kompasses in Teilen der europäischen Linken.
Das Szenario ist bekannt: Solidarität mit Israel am Anfang, irgendwann kippt die Stimmung, dann wird Israel zum Sündenbock und ist nicht nur an allem Schuld, sondern das Böse schlechthin. So läuft das seit vielen Jahren vor allem im linken Milieu ab, aber auch in anderen Kreisen, wenn wieder einmal die „Spirale der Gewalt“ sich im Nahen Osten zu drehen beginnt, wie das dann lapidar genannt wird.
„Vor allem in Deutschland ist die Rechnung simpel: Die Schwachen sind die Guten, die Starken die Schlechten“
Das ist nicht nur in Deutschland so, sondern auch in vielen anderen europäischen Ländern, inzwischen sogar in den USA. Diejenigen, die sich im Kriegsfall besonders echauffieren, haben selbst natürlich noch nie Krieg erlebt. Sie wissen weder, was es heißt, angegriffen zu werden noch, wie Kriegsführung funktioniert. Vor allem in Deutschland ist die Rechnung simpel: Die Schwachen sind die Guten, die Starken die Schlechten, eine Lehre, die man aus der eigenen Geschichte, der Shoah, gezogen hat. Im Zusammenhang mit Israel wird das schnell Ironie. Die Argumentationslogik lautet dann: Die Israelis sind verantwortlich für das Unglück, das über sie hereinbricht, sie sind ja die Besatzungsmacht. Doch das ist zu kurz gedacht.
„Was am 7. Oktober geschehen ist, hat absolut nichts mit der Besatzung zu tun“
Ja, die Besatzung ist falsch. Und ja, die israelischen Regierungen der letzten Jahrzehnte – und das waren überwiegend Regierungen unter Premier Benjamin Netanyahu – haben viele Fehler gemacht, rückten immer weiter nach rechts und möchten die besetzten Gebiete am liebsten annektieren. All das stimmt. Doch es erklärt nicht die Barbarei des Terrors, den islamistischen Gruppen seit jeher verüben.
Was am 7. Oktober geschehen ist, hat absolut nichts mit der Besatzung zu tun. Niemand, wirklich niemand kann die brutale Ermordung und das Verbrennen von Babys rechtfertigen. Das Vergewaltigen von Frauen, die Verstümmelung von Menschen, das Abschlachten von Senioren. Von der Geiselnahme gar nicht zu reden. Solche Formen des palästinensischen Terrorismus hat es schon immer gegeben, lange vor der Eroberung der Gebiete, die seit 1967, seit dem 6‑Tage-Krieg, „besetzte Gebiete“ genannt werden. Das Pogrom von Hebron 1929, bei dem an einem Tag 67 Juden in der Stadt abgeschlachtet wurden, ist nur ein Beispiel. Die jüdische Gemeinde der Stadt hat zu dem Zeitpunkt über 800 Jahre friedlich mit seinen muslimischen Nachbarn zusammengelebt. Warum 67 jüdische Bewohner der Stadt ermordet wurden? Weil wieder einmal das Gerücht umging, die Juden wollen Al-Aksa erobern. Es ist dieselbe falsche Anschuldigung (heute würde man sagen: Fake News), die die Hamas auch jetzt für ihren Angriff am 7.Oktober als Rechtfertigung nutzte.
Auch das Argument und der Vergleich, dass Israel viele Zivilisten beispielsweise in den Gaza-Kriegen tötet, ist schief. Ja, es werden bei den Luftangriffen Zivilisten getötet und das bedeutet auf der palästinensischen Seite viel Leid, das soll hier keinesfalls in irgendeiner Form kleingeredet werden. Aber es steckt nicht eine erklärte Absicht dahinter.
Und genau da beginnt das Elend und die Problematik des asymmetrischen Krieges.
Zunächst muss festgehalten werden, dass Israel das Recht hat zu existieren. Das ist längst nicht mehr common sense, vor allem nicht in progressiven Kreisen. Allein der Slogan „From the river to the sea, Palestine will be free“, der auf jeder anti-israelischen Demo inzwischen völlig gedankenlos skandiert wird, beinhaltet einen Genozid. Oder aber das wundersame und damit völlig unrealistische plötzliche Verschwinden von knapp 10 Millionen Menschen.
Wenn also Israel das Recht hat zu existieren – und allein, dass man so einen Satz schreiben muss, zeigt, dass dies für viele keine Selbstverständlichkeit ist – dann hat dieser Staat auch das Recht sich zu verteidigen, völlig unabhängig, welche politischen Fehler er gemacht hat. Es herrscht Krieg und Feindschaft zwischen zwei Völkern, ja. Und in einem solchen Krieg sind militärische Ziele legitime Ziele für Angriffe, das gilt für beide Seiten. Wenn dabei auch Zivilisten ums Leben kommen, ist das eine Tragödie, aber ist dann sogar vom Kriegsrecht abgedeckt.
In einem asymetrischen Krieg hat aber die Seite, die als Staat eine sichtbare, weil uniformierte Armee hat, von vornherein nicht nur einen moralischen Nachteil, sondern obendrein auch noch die Pflicht, sich an das Kriegsrecht halten zu müssen, im Gegensatz zum nichtstaatlichen Feind, der ganz bewusst das genaue Gegenteil macht. Er agiert und versteckt sich aus und in zivilen Gebieten (ein Kriegsverbrechen!), er greift zivile Ziele des Feindes an, und zwar absichtlich (ein Kriegsverbrechen!).
Die israelische Armee hat nicht die Absicht, Zivilisten zu töten – die Hamas schon
Die israelische Armee versucht mit verschiedenen Mitteln und Methoden, die Zahl der zivilen Todesopfer zu begrenzen. Wie gut oder schlecht das gelingt, darüber kann diskutiert werden. Doch klar ist, dass das Militär nicht die Absicht hat Zivilisten zu töten, die Hamas aber, wie auch der Blindeste spätestens seit dem 7. Oktober sehen muss, eben schon.
Sterben palästinensische Babys bei einem israelischen Luftangriff auf Gaza? Ja. Und das Leid ist ungeheuerlich. Und natürlich muss die Frage gestellt werden, ob die Armee nicht noch mehr tun könnte, um Zivilisten zu schützen. Solche Fragen und Kritik muss das Militär, muss der Staat und seine Regierung aushalten und sich gefallen lassen. Doch gleichzeitig muss die andere Seite gefragt werden: Warum versteckt ihr euch in zivilem Gebiet und gebt euer eigenes Volk dem Bombardement des Feindes preis, warum benutzt ihr eure eigenen Leute als menschliche Schutzschilde (auch das übrigens ein Kriegsverbrechen)?
Ein Pogrom an Zivilisten hat nichts mit dem Kampf um Unabhängigkeit zu tun
Doch diese Fragen werden in bestimmten Kreisen nicht oder nicht mehr gestellt, weil es bequemer ist in schwarz/weiß Kategorien zu denken, anstatt die Komplexität eines asymmetrischen Krieges zu begreifen und sehr eindeutig festzustellen, was einfach nur Barbarei ist und eben nicht Teil des „Freiheitskampfes“, den man ja befürworten mag. Die Forderung, dass die Palästinenser ebenso ein Anrecht auf ein würdiges Leben in Freiheit haben wie die Israelis, ist im Namen der Menschenrechte nicht nur legitim, sondern vor allem: selbstverständlich. Aber in dieser Selbstverständlichkeit sollte auch beinhaltet sein, dass ein gezieltes und konsequent durchgeführtes Pogrom an Zivilisten, an Kindern, ein ungeheuerliches Verbrechen ist und absolut nichts mit dem Kampf um die eigene Unabhängigkeit zu tun. Ebenso wenig die Entführung von Kindern und Alten und anderen „non-combatants“, wie das genannt wird.
Der Teil der deutschen und europäischen Linken, der das nicht einsehen will, hat drei Probleme: das Fehlen eines moralischen Kompasses, das Fehlen jeglicher Erfahrung mit Krieg und seinen Implikationen, und das Fehlen jeglicher Empathie für jüdische Opfer. Letzteres hat eine lange Geschichte in Europa. Das ist nicht wirklich neu.
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