Stell­schraube Strom­preis – und was die Industrie jetzt außerdem braucht

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Die deutsche Industrie befindet sich in einer struk­tu­rellen Krise. Insbe­sondere energie­in­tensive Unter­nehmen leiden unter vergleichs­weise hohen Strom­preisen, verschärft durch den russi­schen Angriffs­krieg gegen die Ukraine. Paul Münnich von Agora Industrie erklärt, wie die Energie­preise wieder sinken können und warum der Umstieg der Industrie auf Erneu­erbare Energien gerade in geopo­li­tisch unsicheren Zeiten das Gebot der Stunde sein sollte.

Neue Lösungen für neue Herausforderungen

Die Klagen aus der deutschen Wirtschaft waren zuletzt unüber­hörbar: Vor allem fossile Geschäfts­mo­delle befinden sich seit dem russi­schen Angriffs­krieg gegen die Ukraine Anfang 2022 in der Krise. Gegenüber den Preis­spitzen im Jahr 2022 sind die Erdgas­preise zwar wieder stark zurück­ge­gangen, aber weiterhin rund doppelt so hoch wie noch vor der Energie­krise. Im inter­na­tio­nalen Vergleich liegen sie damit deutlich über den Preisen von Wettbe­werbern wie beispiels­weise den USA. Das fossile Geschäfts­modell der Vergan­genheit hat aufgrund der hohen Import­ab­hän­gigkeit und der geopo­li­tisch unsicheren Lage keine Perspektive, auch ohne Klima­krise. Deutsch­lands Zukunft als Indus­trieland liegt daher in einer klima­neu­tralen und damit weniger abhän­gigen Wirtschaft.

Der Stand­ort­vorteil von einem Land wie Deutschland, mit struk­turell höheren Energie- und Lohnkosten, besteht in seiner exzel­lenten Forschung und Entwicklung, quali­fi­zierten Fachkräften, den vielfäl­tigen und verzweigten Wertschöp­fungs­ketten, im Rechts­staat und vor allem auch dem Zugang zum wichtigen europäi­schen Binnen­markt. Diese Ausgangslage sollte Politik und Wirtschaft zur Erneuerung der Industrie nutzen. Einer­seits, um durch frühzei­tiges Handeln wichtige Anteile an zukünf­tigen klima­neu­tralen Märkten zu sichern. Aber insbe­sondere auch, um fossile Abhän­gig­keiten zu verringern und damit europäische Handlungs­au­to­nomie zu stärken. Eine kluge Klima­po­litik verbindet den Schutz unserer Lebens­grundlage mit Wirtschaft­lichkeit und geopo­li­ti­scher Resilienz.

Nachhaltige Biomasse und CO2-armer Wasser­stoff können einen Teil der fossilen Importe ersetzen, aber der Großteil der zukünf­tigen Indus­trie­en­ergie wird durch klima­neu­tralen Strom bereit­ge­stellt werden. Rund 90 Prozent des indus­tri­ellen Energie­be­darfs lassen sich mittel­fristig direkt elektri­fi­zieren und effizient mit Strom decken, wie eine Analyse von Fraun­hofer ISI für Agora Industrie zeigt. Mit einem hohen Erneu­er­baren-Anteil und dem Energie­bin­nen­markt haben Deutschland und Europa eine gute Basis, doch damit dieses Potenzial auch wirtschaftlich mobili­siert werden kann, muss der Strom­preis sinken. Kurzfristig kann es helfen, die Übertra­gungs­netz­ent­gelte mit Mitteln aus dem Bundes­haushalt zu deckeln oder die Absenkung der Strom­steuer zu entfristen. Um die Strom­preise struk­turell und langfristig zu senken, muss aber beim Beschaf­fungs­preis angesetzt werden, also beim Preis ohne Netzent­gelte, Umlagen und Steuern. Dafür gibt es drei Hebel:

  1. Kein Nachlassen beim Ausbau erneu­er­barer Energie
    Unstrittig ist, dass erneu­er­barer Strom aus Wind und Photo­voltaik die kosten­güns­tigste Strom­quelle ist. Laut der Inter­na­tional Renewable Energy Agency sind 85 Prozent der global neu zugebauten Strom­erzeu­gungs­leistung im Jahr 2023 erneu­erbare Energien gewesen. Der Strom­markt funktio­niert durch den Abgleich von Angebot und Nachfrage. Liefern Photo­voltaik und Windkraft nicht genug Strom, um die Nachfrage zu decken, springen teurere fossile Kraft­werke ein und bestimmen den Markt­preis. Der Ausbau von Windkraft und Photo­voltaik entkoppelt das Strom­system zunehmend von fossilen Energie­preisen und senkt die Strom­kosten struk­turell, das zeigt zuletzt auch die Jahres­aus­wertung für das Jahr 2024 von Agora Energie­wende.
  2. Mehr Markt wagen, um erneu­erbare Energien auszubauen
    Der direkte Strom­bezug von erneu­er­baren Kraft­werken über langfristige Liefer­ver­träge (PPA) ist für Unter­nehmen eine attraktive Möglichkeit, Strom zu einem günstigen Fixpreis einzu­kaufen, typischer­weise für einige Jahre. Anschließend muss der Energie­er­zeuger den Strom ander­weitig vermarkten, beispiels­weise über den Strom­markt. Der Business Case von erneu­er­baren Kraft­werken wird jedoch von Unsicher­heiten bezüglich des dann geltenden Strom­preises und des im Wandel befind­lichen Strom­markt­de­signs geschwächt, was zu einem Preis­auf­schlag bei Grünstrom-PPAs führt. Diese Risiken hängen in erster Linie von politi­schen Entschei­dungen ab und sollten daher auch politisch übernommen werden: Die anfäng­liche noch nicht geför­derte Vermarktung sollte gestärkt werden, indem eine nachfol­gende Absicherung einge­führt wird, die einen zuvor verein­barten Durch­schnitts­strom­preis garan­tiert. Zu welchem Zeitpunkt diese Absicherung beginnt und mit welchem Strom­preis, wird dabei über ein Gebots­ver­fahren bestimmt. Unser Vorschlag für ein neues Inves­ti­ti­ons­in­strument für Wind- und Solar­an­lagen zeigt, wie Markt­kräfte für eine hohe Kosten­ef­fi­zienz und zur Senkung von Strom­kosten genutzt werden können.
  3. Flexiblen Strom­ver­brauch in der Industrie möglich machen
    Von Smart Home, über das Elektroauto bis hin zum Heimspeicher gibt es viele Möglich­keiten, seinen Strom­ver­brauch in Zeiträume zu verschieben, in denen mehr günstiger Strom aus erneu­er­baren Quellen verfügbar ist. Was im Privat­haushalt funktio­niert, geht oft auch in der Industrie – ganz ohne die Kernpro­duktion nach dem Wetter auszu­richten. Unsere Studie ‚Indus­trielle Energie­fle­xi­bi­lität ermög­lichen‘ zeigt: Die indus­tri­ellen Flexi­bi­li­täts­po­ten­ziale über einen Zeitraum von bis zu vier Stunden entsprechen rund 20 Prozent der durch­schnitt­lichen Last im deutschen Strom­system. Der Anreiz für mehr Flexi­bi­lität durch günstige Preise am Strom­markt wird derzeit noch durch eine aus der Zeit gefallene Regelung der Strom­netz­ent­gelte konter­ka­riert. Unter­nehmen mit einem besonders großen Strom­ver­brauch erhalten Netzentgelt-Rabatte von bis zu 90 Prozent, wenn sie ihren Strom möglichst gleich­mäßig verbrauchen – ein Relikt aus Zeiten eines überwiegend fossilen Strom­systems. Diese Netzentgelt-Rabatte sollten schritt­weise so refor­miert werden, dass sie es Unter­nehmen ermög­lichen, vom günstigen Strom in immer mehr Stunden zu profitieren.

Wirtschafts­krise braucht indus­trie­po­li­ti­sches Maßnahmenpaket

Damit die Wirtschaft wieder Fahrt aufnimmt, muss die auf Erneu­erbare ausge­richtete Energie­po­litik von einem indus­trie­po­li­ti­schen Maßnah­men­paket begleitet werden: Aktuell sind Strom und Wasser­stoff recht teuer und die CO2-Preise noch vergleichs­weise gering. Inves­ti­ti­ons­ent­schei­dungen in der Industrie werden aber für Jahrzehnte getroffen. Wenn Inves­ti­tionen in fossile Prozesse fließen, besteht die Gefahr von stranded assets, also Anlagen, die dann später frühzeitig still­gelegt werden müssen, weil sie sich mit höheren CO2-Preisen nicht mehr rechnen. Deutschland hat sich das Ziel der Klima­neu­tra­lität 2045 gesetzt und nun brauchen die Unter­nehmen die Sicherheit, dass sich klima­neu­trale Inves­ti­tionen langfristig lohnen.

Eine solche Sicherheit können die Klima­schutz­ver­träge bieten, die verein­facht und zu Innova­ti­ons­ga­rantien weiter­ent­wi­ckelt werden. Solche Innova­ti­ons­ga­rantien sichern die Entwicklung des CO2-Preises ab und sollten ausge­weitet werden – insbe­sondere auch auf kleinere Unternehmen.

Ergänzend kann eine steuer­liche Inves­ti­ti­ons­prämie von 15 Prozent für Energie­ef­fi­zienz-Maßnahmen einge­führt werden. Inves­ti­tionen in Energie­ef­fi­zienz steigern die Wettbe­werbs­fä­higkeit, verringern die Abhän­gigkeit von fossilen Importen und kurbeln die Konjunktur an.

Gleich­zeitig sollte der europäische Binnen­markt gestärkt werden, etwa indem hier Absatz­märkte für klima­freund­liche Grund­stoffe skaliert werden. Verbind­liche Nachhal­tig­keits­kri­terien, Quoten für den Einsatz emissi­ons­armer und rezyklierter Grund­stoffe wie Stahl, sowie embodied carbon-Grenz­werte für Gebäude, die festlegen wie viel CO2 beim Bau und Abriss entstehen dürfen, erhöhen die Nachfrage nach grünen Produkten und schaffen so Planungs­si­cherheit. Auf Endpro­dukt­ebene sind die Mehrkosten meist gering: Die Fertigung eines Autos mit klima­neu­tralem Stahl bedeutet eine Kosten­stei­gerung von etwa 1 Prozent. Durch die Skalierung von noch nicht etablierten Produk­ti­ons­pro­zessen und Märkten sowie durch den Hochlauf der CO2- und Wasser­stoff­wirt­schaft lassen sich diese Mehrkosten weiter senken.

Mit den obenge­nannten Maßnahmen kann die zukünftige Bundes­re­gierung die Wirtschaft stärken und den Pfad hin zur Klima­neu­tra­lität erfolg­reich weiter­gehen. Auch inter­na­tional kann sie auf gemeinsame Zielset­zungen und Standards für die Indus­trie­trans­for­mation hinwirken. Handels­ab­kommen und Partner­schaften der EU sollten genutzt werden, um klima­freund­liche Märkte zu skalieren.

Eine kluge Klima­po­litik nutzt die Stärken der deutschen Industrie und verringert die Abhän­gigkeit von fossilen Importen. Es wäre nicht das erste Mal, dass Innova­tionen aus Europa global den Wandel vorantreiben.

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