Wie Putin die Krise in Sri Lanka ausnutzt
In Sri Lanka haben Demonstranten den Präsidentenpalast gestürmt, auch weil die Preise für Weizen und Benzin in Folge des Ukraine-Kriegs ins Unermessliche gestiegen sind. Jetzt nutzt Russland die Krise, um Sanktionen des Westens zu unterlaufen und neue Partner in Asien zu gewinnen.
Menschen, die begeistert in den Pool der gestürmten Präsidentenvilla springen, Straßenproteste und lange Schlangen vor Geschäften und Tankstellen – die Bilder aus Sri Lanka sind schockierend. Die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs sind in dieser Krise besonders sichtbar. Steigende Weizen-Preise und teurer Treibstoff belasten die ohnehin gebeutelte Wirtschaft des Landes. In Sri Lanka zeigt sich der Dominoeffekt einer ehemals wirtschaftlich global vernetzen Welt, die durch Krieg Versorgungsengpässe und dadurch politische Krisen erlebt. Ausgerechnet Moskau versucht nun, als Helfer einzuspringen und seinen Einfluss in der Region zu festigen.
20 Millionen Tonnen Weizen hängen in der Ukraine fest. Ein Teil davon hätte auch nach Sri Lanka geliefert werden sollen, wäre kein Krieg ausgebrochen und hätte Russland die Ausfuhr nicht blockiert. Auf Russland und die Ukraine entfällt zusammen fast ein Drittel der weltweiten Weizenexporte. Die USA sehen Russland indirekt verantwortlich für die Situation in Sri Lanka. „Wir sehen die Auswirkungen der russischen Aggression in der ganzen Welt. Sie mag zur Situation in Sri Lanka beigetragen haben“, sagte der amerikanische Außenminister Antony Blinken am Sonntag. Er rief Russland dazu auf, die Weizenexporte freizugeben, um ähnliche Krisen zu vermeiden. „Was wir auf der ganzen Welt sehen, ist eine wachsende Ernährungsunsicherheit, die durch die russische Aggression gegen die Ukraine erheblich verschärft wurde“.
Bereits seit März bahnt sich das Chaos in Sri Lanka an. Immer wieder gab es Proteste gegen die Regierung. Der südasiatische Staat steckt in seiner schwersten Wirtschaftskrise seit 70 Jahren. Fehlende Tourismuseinnahmen wegen Corona, Steuernachlässe für Großunternehmen und eine hohe Staatsverschuldung haben dazu geführt, dass das Land heute quasi insolvent ist. Seit der russischen Invasion in der Ukraine schnellte die Weizen- und Energiepreise in die Höhe, was der sri-lankischen Wirtschaft einen weiteren Schlag versetzte. Zu spüren bekommt dies vor Allem die Bevölkerung. Als Präsident Gotabaya Rajapaksa am Montag seinen Rücktritt ankündigte, wurde dies in der Hauptstadt Colombo mit Feuerwerk gefeiert. Am Tag zuvor hatte ein Mob den Präsidentenpalast gestürmt und die Residenz des Premierministers angezündet.
Für Russland bietet diese selbst erzeugte Krise nun die Gelegenheit, den eigenen Einfluss auszubauen. Denn die Regierung des Inselstaats hat kürzlich angekündigt, günstiges russisches Öl kaufen zu wollen. Damit schließt es sich anderen Ländern in der Region an, die das bereits tun. Indien etwa kaufte bereits vor Monaten russisches Öl mit Preisnachlass. Als Grund nannte die indische Finanzministerin, dass sie die Energiesicherheit ihres Landes an erste Stelle setze. Im UN-Sicherheitsrat enthält sich Indien, genau wie Sri Lanka, bisher der Sanktionen, auch weil es fast 70 Prozent seiner militärischen Ausrüstung aus Russland importiert und dadurch abhängig von Moskau ist. Auch China kauft günstiges russisches Öl. Chinesische Importe stiegen im Mai gegenüber dem Vormonat um 28 Prozent. Dies ist nicht weiter verwunderlich, da sich die russisch-chinesische Freundschaft während des Kriegs verfestigt hat und Russland unter Analysten mittlerweile als „Junior-Partner“ Chinas gilt. Die westlichen Sanktionen verlieren durch diese neuen Öl-Großkunden an Wirkung.
Doch die Abnehmerländer des russischen Öls befinden sich in einem Dilemma: Einerseits benötigen sie günstiges Öl für ihre Bevölkerungen, die weitaus ärmer sind als in Europa, andererseits riskieren sie die Missbilligung des Westens, der an der Seite der Ukraine steht. „Diese Länder werden beim G20-Gipfeltreffen in Indonesien im November gezwungen sein, Partei zu ergreifen wenn sie sich für Russland entscheiden und es den Krieg verliert“, sagt Peter Timmer von der Harvard-Universität zu WELT.
Doch es ist nicht nur Öl, mit dem Russland sich als Helfer in der Not inszenieren will. So bot Moskau laut des Premierministers von Sri Lanka an, Weizen zu liefern. Experte Timmer warnt jedoch vor einer damit einhergehenden stärkeren Abhängigkeit von Moskau. Stattdessen schlägt er vor:„In Asien gibt es genug Reisvorräte, um die nächsten 12 Monate ohne eine Ernährungskrise zu überstehen“, sagt Timmer. Indien, China und die ASEAN-Länder hätten das Potenzial, 30 Millionen Tonnen Weizen mit Reis zu ersetzen. Dies würde den Preis von Reis zwar leicht in die Höhe treiben, jedoch hätte die Welt mehr Weizen zur Verfügung, was insbesondere in ärmeren Ländern in Nord- und Subsahara-Afrika Hungersnot vermeiden könnte.
Sowohl Indien als auch Russland haben Sri Lanka laut Angaben der Regierung angeboten bald Weizen zu liefern. Indien tut dies trotz eines Exportembargos für Weizen, vielleicht um seinen Einfluss in Sri Lanka zurückzugewinnen. Diese Entwicklung ist Teil eines neuen Protektionismus-Trends und steht in einer Linie mit dem Palmölstopp aus Indonesien, dem Hühnerfleisch-Exportstopp in Malaysia und dem schon seit einigen Jahren Trend des „Decoupling“ der USA und China. Immer mehr Länder koppeln sich ab von der globalen Weltwirtschaft und betreiben bilaterale Politik – mit Grundnahrungsmitteln als neue Währung.
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