Kriegsgefahr in Nahost: Wie sich Israel vorbereitet
Im Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und Iran könnte Israel zum Ziel eines Vergeltungsschlages werden. Unser Kolumnist Richard C. Schneider berichtet, wie sich die Bürger auf ein mögliches Bombardement vorbereiten. Auch das Militär rüstet auf. Aber reicht das aus, um Israel zu schützen?
Homeland – jeder, der Netflix abonniert hat, kennt diesen Begriff von der gleichnamigen Serie. „Homeland“ lässt sich nicht so einfach ins Deutsche übersetzen. Es bedeutet nicht „Heimatland“, eher „Hinterland“, eine Mischung aus Heimat und dem Land „hinter“ der Front, zumindest, was früher als Front verstanden wurde, als es noch Kriege zwischen Staaten und Armeen in Uniform gab. Im Zeitalter der asymmetrischen Kriege ist das Homeland der Weichteil eines jeden Staates. Dieser kämpft noch immer mit einer uniformierten Armee gegen einen Feind, der nicht mehr staatlich ist, der von zivilem Gebiet aus agiert und im Kampf keine Uniform trägt. Und dieser Feind zielt auf die verwundbarste Stelle eines Staates: auf ziviles Gebiet.
Israel unternimmt seit Jahren etliche Anstrengungen, um sein „Homeland“ so gut wie nur möglich zu schützen: In Neubauten müssen alle Wohnungen mindestens ein Bunkerzimmer haben, in älteren Häusern sind das meistens die Treppenhäuser oder die Tiefgaragen. Es gibt zahlreiche öffentliche Bunker. Doch noch immer sind nicht alle Bürger des Landes geschützt, es gibt noch viel zu tun und es geschieht nur langsam. Ja, das Raketenabwehrsystem Israels ist wahrscheinlich das Beste weltweit. Gerade eben haben die Israelis bekannt gegeben, dass sie bei der Raketenabwehr mit Laserkanonen einen Durchbruch geschafft haben, das „konventionelle“ Iron Dome System, das sich in den letzten Kriegen schon hervorragend bewährt hat, wurde jetzt nochmal verbessert. Doch hundertprozentige Sicherheit können solche Systeme niemals garantieren.
Israel als Ziel iranischer Vergeltungsschlägen gegen die USA
Israel hat keinen konventionellen Feind mehr. Ägypten und Jordanien haben Friedensverträge mit dem Staat und selbst wenn sie das nicht hätten, sie würden es nicht wagen, sich mit dem israelischen Militär anzulegen. Syrien hat ganz andere Probleme als Israel, die libanesische Armee ist ein Witz und die weiter entfernten arabischen Länder haben überhaupt kein Interesse ihre Luftwaffe in Richtung Israel fliegen zu lassen. Sie suchen eher die Kooperation mit Israel, wenngleich oft noch heimlich.
Aber da ist der Iran. Und da sind seine Stellvertreter in Gaza, im Irak, in Syrien und im Libanon. Es ist vor allem die Hizbollah im Libanon, die Israel bedroht. Mit rund 120 000 Raketen könnte sie Israel flächendeckend bombardieren. Und sehr wahrscheinlich würde – im Fall eines Krieges – die Hizbollah versuchen, so viele Raketen wie nur möglich pro Tag abzufeuern, um das israelische Abwehrsystem zu überfordern, und weil man weiß, daß die israelische Luftwaffe versuchen wird, in kürzester Zeit mit massiven Bombardements die Raketen bereits am Boden zu zerstören.
Beide Seiten bereiten sich seit Jahren auf dieses Szenario vor. Und die Militärs in Israel warnen immer wieder die Bevölkerung, daß dieser Krieg wohl anders sein werde als alle Kriege zuvor. Daß die Zerstörungen in Israel horrend sein könnten, daß viele Menschen getötet würden, Zivilisten wohlgemerkt.
Seit der Tötung von Kassem Soleimani ist die Gefahr dieses Krieges gewachsen. Israel versucht zwar, sich aus der aktuellen Krise zwischen Teheran und Washington herauszuhalten, aber Premier Netanyahu wird nicht müde, Trump für seine Tat zu applaudieren. Iran dagegen macht zwar in erster Linie den USA Drohungen, aber auch Israel als Ziel des Hasses und möglicher Vergeltungsanschläge wird immer wieder erwähnt, wie kürzlich auch bei der aggressiven Rede von Hizbollah-Führer Hassan Nasrallah in Beirut.
Interimsregierung schwächt Israel
Die israelischen Geheimdienste geben zu, daß die Lage sehr, sehr schwierig einzuschätzen ist. Man geht nicht davon aus, daß Teheran oder die Hizbollah im Augenblick Israel im Fadenkreuz haben. Die schiitische Achse weiß, daß Israel – anders als etwa die Saudis – mit großer Heftigkeit zurückschlagen würden. Libanon dürfte im Falle eines Krieges ein Trümmerfeld werden und Netanyahu hat bereits vor zwei Jahren bei der Münchner Sicherheitskonferenz erklärt, daß Irans Städte nicht mehr sicher seien, sollten israelische Städte, sollte vor allem Tel Aviv angegriffen werden. Das Regime in Teheran weiß, daß mit Israel nicht zu spaßen ist. Und im Augenblick richtet sich der Hass in erster Linie auf Trumps USA und vor allem richtet sich die Aufmerksamkeit darauf, die Macht im Land zu erhalten angesichts der Proteste iranischer Bürger.
Natürlich könnten die Mullahs ihre Stellvertreter in den umliegenden Ländern – wie schon in der Vergangenheit – auf Israel ansetzen. Aber macht das im Augenblick Sinn? Das erklärte Ziel ist, die US-Truppen aus dem Nahen Osten zu vertreiben. Ob das gelingt, ist eine Frage, aber dass sich das schiitische Bündnis darauf konzentrieren dürfte, ist klar, wobei Teheran nach der Tötung Soleimanis gewarnt ist – der US-Präsident ist unberechenbar. Auch da wird Iran vorsichtig und verdeckt vorgehen.
Auch wenn die israelischen Experten nicht davon ausgehen, daß Israel unmittelbar bedroht ist, so sagen alle durchweg dasselbe: die Gefahr eines Krieges ist 2020 größer denn je. Vor allem, wenn sich Entwicklungen plötzlich verselbständigen und nicht mehr kontrollierbar sind. Während ich diese Zeilen schreibe, wird bekannt, daß Israel iranische Militärziele in Syrien bombardiert hat. Dabei sollen drei Menschen umgekommen sein. Solche Angriffe, die Israel immer wieder durchführt, um Irans Absicht zu durchkreuzen, sich in Syrien unmittelbar in der Nachbarschaft zum jüdischen Staat militärisch festzusetzen, können jeden Augenblick zu einer Gegenreaktion führen, die dann wiederum eine Reaktion provoziert und so weiter. Und schon ist der Krieg da.
Im Alltag ist in Israel davon nichts zu spüren. Die Menschen gehen aus, leiden eher unter dem schlechten Wetter der letzten Wochen, den Regenstürmen, die den Nahen Osten überfallen haben und selbst in Tel Aviv zu massiven Überschwemmungen geführt haben. Einige machen Witze darüber, der Regen sei prima, da könnte nicht Krieg geführt werden. Doch unten drunter, wenn man mit den Menschen länger spricht, dann erfährt man eben doch, wie groß die Sorgen der Israelis sind, daß alles aus den Fugen gerät, und das noch dazu in einer Zeit, in der es keine funktionierende, reguläre Regierung gibt. Am 2. März wählt Israel zum dritten Mal innerhalb eines Jahres. Und es ist zu befürchten, daß auch diesmal kein eindeutiges Ergebnis zu erwarten ist. Natürlich – sollte die Nation in existentieller Gefahr sein, dann würden alle schnell zusammenrücken, auch die gegnerischen Parteien. Aber bis dahin können viele Entscheidungen, auch Budgetentscheidungen für das Militär, nicht gefällt werden, weil die verantwortlichen Komitees nicht zusammentreten können. Es gibt ja derzeit kein Parlament.
Und so schaut man gebannt auf die Entwicklungen im gesamten Nahen Osten. Die Armee bereitet sich sowieso auf den möglichen Krieg vor. Und die Menschen? Die hoffen, daß es so schlimm nicht kommen wird. Aber die Sicherheitsräume in den Wohnungen – die sind vorbereitet. Man weiß nie.
Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spendentool. Sie unterstützen damit die publizistische Arbeit von LibMod.
Wir sind als gemeinnützig anerkannt, entsprechend sind Spenden steuerlich absetzbar. Für eine Spendenbescheinigung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adressdaten bitte an finanzen@libmod.de
Verwandte Themen
Newsletter bestellen
Mit dem LibMod-Newsletter erhalten Sie regelmäßig Neuigkeiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.