NARRATIV-CHECK
Was hinter radikalisierenden Botschaften steckt.
.
NARRATIV-CHECK
Was hinter radikalisierenden
Botschaften steckt.
Apokalypse now what
Sonderfall
Welche Funktionen hat die Apokalyptik in der ökologischen Krise? –
Zwei Beispiele
von Jennifer Stevens
Der Klimawandel ist eine globale Herausforderung. Eine Annäherung findet häufig über den Begriff der „Apokalypse“ statt. Klimaaktivist:innen zum Beispiel unterstreichen mit dem Verweis hierauf die Dringlichkeit ihrer Anliegen. Anderen dient der Hinweis auf ebendiese apokalyptische Deutung dazu, Klimapolitik als realitätsfern erscheinen zu lassen.
Die Weltmetropole New York verdunkelt, die Freiheitsstatue in Rauch gehüllt. Dieses bekannte Filmmotiv ist mit den verheerenden Waldbränden in Kanada zur Realität geworden. Und es ist nur eines der unzähligen Phänomene, die die katastrophalen Auswirkungen des Klimawandels ins öffentliche Bewusstsein drängen. Angesichts von Extremwetterlagen, Dürren und Überschwemmungen sowie des rasanten Artensterbens ist immer wieder von einer „Klima-Apokalypse“ und dem „Ende der Welt, wie wir sie kennen“ die Rede. Die „Apokalypse“ ist zum Medium für verschiedene weltanschauliche Verarbeitungen der ökologischen Krise geworden und stellt als politischer Kampfbegriff alles andere als eine politische Randerscheinung dar.
1) Unterstellung apokalyptischer Deutung als Diskreditierung
Häufig dient in der aktuellen, polarisierten Debatte die Unterstellung apokalyptischer Deutungen der Diskreditierung klimapolitischer Ziele. Hierfür ist der religiöse Ursprung der Apokalyptik förderlich, die eine göttliche Erlösung am Ende der Geschichte beschwört. Werden in diesem Sinne die Mahnungen vor dem Klimawandel als „apokalyptisch“ bezeichnet, erscheinen sie als „realitätsferne Panikmache“ von Untergangsprophet:innen – wodurch im Umkehrschluss die realen Bedrohungen der ökologischen Katastrophe verharmlost oder geleugnet werden. Klimapolitische Forderungen können so als „romantische Verklärungen“, als Sehnsucht nach Rettung, die nicht von dieser Welt ist, heruntergespielt oder in Abrede gestellt werden. Die Möglichkeit oder sogar die Notwendigkeit eines aktiven gesellschaftlichen Umgestaltungsprozesses zur Wahrung unserer natürlichen Existenzgrundlage werden durch diese fatalistische Haltung von vornherein ausgeschlossen.
2) Apokalyptik zur Verdeutlichung politischer Anliegen
Gleichzeitig malen verschiedene politische Bewegungen Untergangsszenarien aus, um ihren Anliegen Geltung und Reichweite zu verschaffen. Im Vergleich zu Katastrophen, die territorial und zeitlich beschränkt sind, soll das Zurückgreifen auf apokalyptische Vorstellungswelten das planetare und historische Ausmaß der Naturzerstörung unterstreichen. Die Attraktivität der Apokalypse schließlich liegt in der umfassenden Repräsentationskraft einer weltlichen Untergangsdrohung, eines Untergangs der Zivilisation. Zum Ausdruck kommt dies etwa in der Selbstbezeichnung eines Bündnisses von Klimaaktivist: innen als > Letzte Generation. Die ökologische Apokalyptik hat sich hier aus einem engen religiösen Rahmen gelöst: Anstatt die Krise als göttliche Strafe zu beschwören, wird sie als menschengemacht und beeinflussbar verstanden. Die Vorstellung vom Ende der Zivilisationsgeschichte eröffnet die Möglichkeit, zum Handeln, zur Beförderung oder Abwendung des Untergangs aufzurufen.
Der erste Ansatz, bei dem ein zivilisatorischer Zusammenbruch eher begrüßt wird, beschränkt sich dabei nicht auf zum Beispiel einen ökofaschistischen Rechtsextremismus, der auf die völkische Restitution einer vermeintlich natürlich gegebenen Ordnung zielt. Die Vorstellung, dass ein westlicher Lebensstil zu Recht in den Untergang führe, findet auch im linken Spektrum Zuspruch, wo im gesellschaftlichen Zusammenbruch die Chance für eine kommunitaristische, spirituell-naturverbundene Organisation kleiner Gemeinschaften gesehen wird.
Zumeist aber fungiert die ökologische Apokalyptik als Mahnung oder Warnung – mit dem Ziel, die drohende Zerstörung der Naturgrundlage abzuwenden. Die Naherwartung einer ökologischen Katastrophe kann auch hier in den Dienst antiliberaler und antidemokratischer Weltanschauungen treten, denn angesichts des sich schließenden Zeitfensters werden staatsautoritäre Lösungen als einziges Mittel gegen den Klimawandel propagiert.
Jennifer Stevens ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am DFG-Graduiertenkolleg „Modell Romantik“ an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Sie promoviert zur Entstehung und Entwicklung moderner Endzeitvorstellungen.
GLOSSAR
Letzte Generation
Politische Projekte nutzen apokalyptische Erzählungen, um die Dringlichkeit ihrer Anliegen zu unterstreichen. Als „Letzte Generation“ vor einem unumkehrbaren Klimakollaps bezeichnet sich etwa ein klimaaktivistisches Bündnis. Auch die rechtsextreme „Identitäre Bewegung“ nutzt die Apokalyptik, um die Drohkulisse vom imaginierten Untergang des „Abendlandes“ (> Großer Austausch) zu verstärken.