Israel: Zurückhaltung ja – aber nur noch sehr bedingt
Der Iran hat mit seinem direkten Angriff auf Israel ein Tabu gebrochen, die Appeasement-Politik des Westens ist gescheitert. Was verändert sich im Nahen Osten nach dem Angriff des Iran und Israels Gegenschlag? Eine Analyse von Richard C. Schneider.
Anders als bei Olaf Scholz‘ „Zeitenwende“ hat im Nahen Osten tatsächlich eine echte Zeitenwende begonnen. Nach dem Luftangriff auf ein Gebäude des iranischen Botschaftskomplexes in Damaskus, bei dem zwei hohe Generäle und mehrere Offiziere der iranischen Revolutionsgarden getötet wurden – ein Angriff, für den Israel offiziell keine Verantwortung übernommen hat – reagierte die Islamische Republik das erste Mal mit einem direkten Angriff von eigenem Territorium auf Israel.
Mehr als 300 Drohnen, ballistische Raketen und Marschflugkörper wurden auf den jüdischen Staat abgefeuert, 99 % dieser Waffensysteme konnte in einer gemeinsamen Aktion von saudischen, jordanischen, US-amerikanischen und israelischen Kampfpiloten und ebenso von dem hervorragenden Luftabwehrsystem der Israelis abgeschossen werden.
Insofern könnte man meinen „ist ja nichts passiert“. Noch dazu hatte das iranische Regime auf verschiedenen Kanälen wissen lassen, dass man keine zivilen Gebiete angreifen werde. Ein beduinisches Kind wurde von herumfliegenden Bruchstücken einer iranischen Rakete schwer verletzt, doch ansonsten blieb Israel unversehrt.
Alliierte Abwehr des iranischen Angriffs
Die internationale Staatengemeinschaft zögerte nicht, Premier Benjamin Netanyahu massiv unter Druck zu setzen, nur ja keinen Gegenangriff zu starten, wie er angekündigt hatte. Doch es war offensichtlich, dass Israel es nicht einfach dabei belassen konnte, bombardiert zu werden. Auch wenn US-Präsident Biden Netanyahu geradezu eintrichtern wollte, dass Israel eigentlich einen Punktsieg eingefahren habe: Eine alliierte Aktion gegen den Angriff Teherans, sogar mit arabischen Partnern, und eine perfekt funktionierende Raketenabwehr. Best of all worlds, sollte man meinen.
Israel musste reagieren, nahm aber Rücksicht auf die Einwände der USA
Natürlich nicht. Im Nahen Osten ist es ein Zeichen der Schwäche, wenn man nicht reagiert. Es lädt zu neuen Angriffen ein. Insofern war klar, dass auch das Flehen der US-Amerikaner nur bedingt erfolgreich sein würde, die Mahnungen einer deutschen Außenministerin erst recht nicht. Dennoch nahm Israel Rücksicht auf Washingtons Einwände, und das nicht zu seinem Schaden. Ein massiver Gegenangriff hätte nicht nur einen „all-out war“ mit Teheran ausgelöst, sondern auch die stille militärische Partnerschaft mit den sogenannten „moderaten“ arabischen Staaten gefährdet. Die aber wird man auch in Zukunft noch brauchen.
Israels Botschaft: „Wir können noch viel mehr als ihr“
Israels Gegenschlag war also sehr begrenzt und verursachte, nach jetzigem Stand, lediglich Sachschaden. Und doch hatte er es in sich. Die Drohnen, die zum Angriff auf ein Militärlager in der Nähe von Nuklearanlagen bei Isfahan aufstiegen, waren innerhalb Irans gestartet. Und die Rakete, die bei Isfahan einschlug, war technologisch so ausgerüstet, dass Irans Radaranlagen diese nicht sehen konnte. Mit größter Präzision wurde eine Raketenabwehranlage zerstört. Die Botschaft war klar: Wir können noch viel mehr als ihr, mit sehr viel weniger Aufwand als ihr und wir können euch so treffen, dass ihr es nicht einmal bemerkt, wenn wir angreifen.
Die israelische Regierung handelte strategisch klug – bis auf den Nationalen Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir
Der Schritt war strategisch sicher klug und richtig. Allein auch deshalb, weil die israelische Regierung stumm blieb – bis auf den unverantwortlichen Nationalen Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir, der auf X ein Tweet absetzte: „Lahm“. Dafür wurde er von vielen gerüffelt. Denn Israel will keinesfalls irgendwas zu dem Angriff sagen, damit die Iraner nicht erneut reagieren müssen. Deeskalation ist also das Stichwort. Das Regime in Teheran scheint es dankend anzunehmen. Es sei nichts gewesen, man habe alles im Griff, etc.
Rückkehr zum „Schattenkrieg“?
Also wieder alles beim Alten? Kehrt man jetzt zum sogenannten „Schattenkrieg“ zurück? Das ist die große Frage und wahrscheinlich ist die Antwort eher: nein. Denn Iran hat ein Tabu gebrochen mit seinem direkten Angriff auf Israel. Was geschieht zukünftig, wenn Jerusalem weiter gezielte Tötungen von hohen iranischen Militärs durchführt? Was geschieht, wenn Israels Armee hochsensible Positionen der Iraner oder ihrer Proxies in Syrien, Irak, Libanon oder anderswo bombardiert? Wird der Iran dann erneut Israel direkt angreifen? Wird Teheran nun versuchen Israel gleichsam zu erpressen, nach dem Motto, tut nichts, sonst legen wir richtig gegen euch los?
Der israelische Geheimdienst scheint wieder versagt zu haben
Das ist sehr gut möglich. Und Israel wird sich gut überlegen müssen, wie es zukünftig strategisch und militärisch weiter vorgehen will. Beim Angriff auf die Generäle und Offiziere scheint der israelische Geheimdienst wieder einmal geschlafen und nicht geahnt zu haben, wie das Regime reagieren wird. Eine zweite „Faschla“, wie man in Israel sagt, ein zweites Versagen nach dem 7. Oktober. Oder – wie viele Freunde und Feinde Netanyahus vermuten – war der Angriff sozusagen kalkuliert? Wollte „Bibi“, dass der Iran angreift und er sich damit aus der internationalen Isolation herausziehen könnte? Das wird vermutlich wohl für immer Spekulation bleiben.
Das iranische Atomprogramm ist und bleibt eine Bedrohung – nicht nur für Israel
Sicher ist: Noch einmal passiert das Israel nicht. Man wird nun bei jedem Angriff davon ausgehen, dass der Iran direkt reagiert. Das aber könnte für Israel sogar ein strategischer Vorteil werden. Netanyahu könnte versuchen, die Geschehnisse zu bestimmen, einen Angriff auf Israel aus Teheran zu provozieren, um alle Wege und Mittel frei zu haben, das autoritäre Regime zu attackieren. Denn das iranische Nuklearprogramm war, ist und bleibt eine Bedrohung für Israel und alle sunnitischen Staaten, ja, für die ganze Welt.
Die Appeasement-Politik hat nichts gebracht
Insofern zeigt sich nach den vergangenen zwei Wochen, dass die Appeasement-Politik gegenüber dem Iran, insbesondere auch die deutsche, nichts gebracht hat. Dass die bisherigen Sanktionen wirkungslos sind und auch die geplanten neuen Sanktionen nichts bewirken werden. Und dass die EU auch weiterhin nicht in der Lage ist, die Revolutionsgarden auf die Terrorliste zu setzen, macht die Europäer in den Augen der Iraner zu Kasperln in der Arena der internationalen Politik.
Die internationalen Forderungen an Israel nach Zurückhaltung sind fragwürdig
Die internationalen Forderungen an Israel, sich doch bitte zurückzuhalten, sind fragwürdig. Man sollte diese zuallererst an das iranische Regime richten. Den Vorwurf an Israel, mit dem Bombardement in Damaskus provoziert zu haben und obendrein internationales Recht – die Unantastbarkeit diplomatischer Vertretungen – verletzt zu haben, könnte man zumindest mit dem Hinweis auf das vom Iran abgenickte Attentat auf die israelische Botschaft in Buenos Aires ergänzen, bei dem in den frühen 1990er Jahren 29 Menschen getötet und 242 verletzt wurden.
Das iranische Regime arbeitet seit Jahrzehnten an der Vernichtung Israels
Man könnte weiter erwidern, dass die getöteten Offiziere in Damaskus sich mit der Hizbollah-Führung nicht zu Kaffee und Kuchen trafen, sondern um das weitere Vorgehen im Krieg gegen Israel zu besprechen. Schließlich ist dies Teil der Ideologie der Islamischen Revolution: „Tod Israel“. Daran arbeitet Teheran seit Jahrzehnten, nicht zuletzt auch deshalb hat das Regime seine Proxies an den Grenzen zum jüdischen Staat aufgebaut, finanziert und bewaffnet.
Ein „all-out war“ kann und wird wohl eines Tages kommen
Es herrscht Krieg zwischen Iran und Israel – wobei Israel, das muss man fairerweise sagen, historisch niemals irgendein Interesse hatte, den Iran anzugreifen. Erst mit dem radikalen Anti-Zionismus von Ayatollah Chomeini, mit der immer wieder formulierten Absicht, Israel von der Landkarte zu tilgen, musste Israel reagieren. Der Vernichtungswille ist einseitig gewesen und ist es immer noch. Wenn der Iran Israel in Ruhe lassen würde, wäre der Konflikt sofort beigelegt. Aber er wird bleiben. Ob im Schatten oder bei Licht – das wird sich zeigen. Ab jetzt ist nichts mehr undenkbar. Ein „all-out war“ kann und wird wohl eines Tages kommen. Und wenn es tatsächlich ums Überleben ginge, wird die Welt Israel nicht mehr anflehen können, sich zurückzuhalten.
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