NARRATIV-CHECK
Was hinter radikalisierenden Botschaften steckt.
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NARRATIV-CHECK
Was hinter radikalisierenden
Botschaften steckt.
Parallelwelten
Drei Fragen an
Julia Smirnova
Julia Smirnova arbeitet als Senior Analyst für die Digital Analysis Unit am Institute for Strategic Dialogue (ISD) in London. Sie untersucht die Verbreitung von Desinformation, Propaganda, Verschwörungsmythen und extremistischen Ideologien im Internet. Zuvor war sie als Journalistin tätig, unter anderem als Russlandkorrespondentin der Tageszeitung Welt.
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Frau Smirnova, Sie beschäftigen sich seit Jahren mit russischer Desinformation. Was macht sie aus und wo findet sie statt?
Smirnova: Eigentlich macht > Desinformation – also die absichtliche Verbreitung von falschen Behauptungen – nur einen Teil von russischen Einflusskampagnen aus. Breiter gefasst sprechen wir von Informationsmanipulation, ein Begriff, der sich vor allem auf Verhalten und Taktiken fokussiert. Dazu gehört die künstliche Verstärkung bestimmter politischer Meinungen durch Zehntausende Bots in sozialen Medien. Ein zentrales Ziel russischer Einflussoperationen in Europa besteht darin, die Solidarität mit der Ukraine zu untergraben. Dafür verbreiten russische staatliche und pro-russische Accounts massenhaft erfundene Geschichten und negative Meinungen über den Präsidenten Wolodymyr Selenskyj oder ukrainische Geflüchtete. Als Teil der Operation „Doppelgänger“ etwa wurden bei Facebook Tausende Anzeigen gekauft, die in Deutschland Ängste um die Wirtschaftslage hervorrufen oder die Ukraine diffamieren sollten. Schon vor Beginn des großangelegten Angriffs auf die Ukraine versuchte Russland, die öffentliche Meinung in Europa mit Staatsmedien und verdeckten Kampagnen zu beeinflussen.
Wichtig ist dabei: Die russische Propaganda versucht nicht, ein kohärentes Weltbild zu vermitteln. Sie ist häufig widersprüchlich, spricht das linke wie rechte politische Lager an und versucht, die Menschen zu verwirren, ihnen das Gefühl zu vermitteln, etablierten Medien und Parteien sei nicht zu trauen.
Warum ist Informationsmanipulation gefährlich für eine demokratische Öffentlichkeit?
Ein langfristiges Ziel des Kremls ist es, Unsicherheit und Chaos im Westen zu verbreiten und demokratische Institutionen zu diskreditieren. Russische Staatsmedien verstärken systematisch polarisierende, migrationsfeindliche und demokratieskeptische Stimmen. Schon während der Covid-19-Pandemie gab der finanziell gut ausgestattete deutschsprachige Ableger des russischen Staatssenders, > RT DE, regelmäßig Covid-Skeptiker:innen und Verschwörungsideolog:innen eine Bühne und etablierte sich so in diesem Milieu. Es besteht auch ein symbiotisches Verhältnis zwischen der russischen Propaganda und Teilen der rechtsextremen und verschwörungsideologischen Szene in Deutschland – sie verstärken sich gegenseitig, übernehmen ideologische Elemente oder diffamierende Begriffe wie „Lügenpresse“. Letztlich arbeiten sie so gemeinsam an der Zersetzung der demokratischen Öffentlichkeit.
Und was hilft gegen Propaganda und systematische Informationsmanipulation?
Es gibt kein Wundermittel. Doch demokratische Gesellschaften können viel gegen systematische Informationsmanipulation unternehmen. Social-Media-Unternehmen kommt dabei eine besondere Sorgfaltspflicht zu: Sie sollen systemische Risiken ihrer Plattformen bewerten und sicherstellen, dass autoritäre Staaten sie nicht missbrauchen. Um dem entgegenzuwirken und Online-Plattformen stärker in die Verantwortung zu nehmen, ist 2024 in der EU der > Digital Services Act in Kraft getreten.
Wichtig sind Programme zur Stärkung der Medienkompetenz aller Altersgruppen. Und es gilt, den klassischen und regionalen Journalismus zu stärken – vor allem, weil derzeit neue Technologien traditionelle Finanzierungsmodelle von Medien schlagartig verändern. Generell gilt: Wer etablierten Medien grundsätzlich misstraut und sich vor allem aus sozialen Medien informiert, neigt in Deutschland eher dazu, russischer Desinformation zu glauben. Die Stärkung des Vertrauens in demokratische Prozesse und Qualitätsmedien ist deshalb zentral im Kampf gegen Propaganda.
GLOSSAR
Desinformation
Als Desinformation wird die Verbreitung von Falschinformationen mit einer Absicht wie Täuschung oder Beeinflussung bezeichnet. Auch eine systematische Verzerrung durch frei erfundene, aus dem Zusammenhang gerissene, künstlich verstärkte oder unterschlagene Informationen fällt darunter. Eine Methode der Desinformation ist PLURV, also der Bezug auf Pseudo-Expertinnen und ‑Experten, logische Trugschlüsse, unerfüllbare Erwartungen, Rosinenpickerei und Verschwörungserzählungen für einen bestimmten Zweck.
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Digital Services Act (DSA)
ist eine Gesetzgebung für das Internet. Seit 2024 regelt der DSA die Aktivitäten von Anbietern digitaler Dienste innerhalb der EU. Sehr große Plattformen und Suchmaschinen mit mehr als 45 Millionen Nutzerinnen und Nutzern pro Monat müssen demnach neue Transparenzregeln und Beschwerdemöglichkeiten umsetzen, um Verbraucherinnen und Verbraucher besser zu schützen sowie Grundrechte im Internet und Grundregeln für digitale Diensteanbieter zu garantieren.
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RT DE
wurde 2014 gegründet und ist der deutschsprachige Ableger des russischen Staatssenders RT. Er folgt der politischen Agenda des Kreml. Fokus der Berichterstattung ist die Behauptung der Dysfunktionalität Deutschlands und der liberalen Demokratien. Die Berichterstattung ist geprägt von Informationsmanipulation, von verzerrten und falschen Darstellungen. RT DE zählt zu den „Alternativmedien“. Die Verbreitung von RT ist seit 2021 europaweit verboten, der Sender aber weiter erreichbar.
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