Die AfD auf dem abstei­genden Ast nach den Verlusten bei der Bundestagswahl?

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Anders als in anderen Ländern Europas konnten die radikalen Ränder des poli­ti­schen Spektrums nicht von den Abwehr­maß­nahmen gegen die Pandemie profi­tieren. Wieso die AFD nicht zulegte analy­siert Prof. Dr. Lothar Probst.

1. Ausgangs­si­tua­tion

Schon in den ersten Monaten der Corona-Pandemie bildeten sich – nicht nur in der Bundes­re­pu­blik – Gegen­be­we­gungen, die die von Regie­rungen ergrif­fenen Lockdown-Maßnahmen als unnötig und voll­kommen überzogen ablehnten. Daraus entwi­ckelte sich mit fort­schrei­tender Pandemie ein buntes Bündnis aus Corona-Leugnern, Anhängern von Verschwö­rungs­er­zäh­lungen, Impf­geg­nern und verun­si­cherten Bürgern, die durch regel­mä­ßige Demons­tra­tionen, Kund­ge­bungen und Aktionen auf sich aufmerksam machten.  Als soge­nannte Quer­den­ker­be­we­gung griff dieses Bündnis in den sozialen Netz­werken mit zum Teil abstrusen und system­feind­li­chen Thesen in den poli­ti­schen Diskurs über die Corona-Politik ein. Bei ihren Aufmär­schen in vielen Städten Deutsch­lands wurden bewusst Regel­ver­stöße gegen rechts­staat­liche Auflagen in Kauf genommen, und die Grenze zu gewalt­tä­tigen Angriffen auf Anders­den­kende und staat­liche Insti­tu­tionen wurde mehrfach über­schritten. Neonazis und rechte Grup­pie­rungen versuchten zwar von Anfang an, diese hete­ro­gene Bewegung zu instru­men­ta­li­sieren, aber es wäre zu einfach, sie einfach im rechten Spektrum zu verorten. Gleich­wohl gab und gibt es vielfache inhalt­liche, perso­nelle und orga­ni­sa­to­ri­schen Verbin­dungen und Über­schnei­dungen der Quer­den­ker­be­we­gung zur Reichs­bür­ger­szene und zur rechts­po­pu­lis­ti­schen AfD, die die Quer­den­ker­be­we­gung als will­kom­menes Rekru­tie­rungs­feld und Reservoir ihrer Partei ansah. Nicht zufällig knüpften führende Prot­ago­nisten dieser Bewegung an Sprach­bilder an, die schon vorher von der AfD in ihrer Kritik an den Verhält­nissen der Bundes­re­pu­blik verwendet wurden. Dazu gehörte der Vorwurf, dass sich die Bundes­re­pu­blik in eine Diktatur verwan­delt habe und die Politik die Bürger einem gigan­ti­schen Feld­ver­such der Covid-Impfungen aussetzen wolle. Auffällig ist auch der Opfer­my­thos, den die Quer­den­ker­be­we­gung bemüht, indem sie sich auf eine Stufe mit den jüdischen Opfern des Natio­nal­so­zia­lismus stellt. Damit gingen zugleich eine Verharm­lo­sung des Holocaust und eine unter­grün­dige anti­se­mi­ti­sche Hetze einher.

Im Westen der Republik lag ein Schwer­punkt der Quer­den­ker­be­we­gung ausge­rechnet im grün-regierten Baden-Würt­tem­berg. Im ersten Jahr der Corona-Pandemie kam es dort zu mehr als 700 Demons­tra­tionen gegen die Corona-Maßnahmen der Bundes­re­gie­rung. Nicht zufällig sagte Alice Weidel bei der Vorstel­lung des AfD-Wahl­pro­gramms am 8. Februar 2021 in Stuttgart etwas voll­mundig, dass die AfD in Baden-Würt­tem­berg bestens gerüstet sei und sich auf eine breite Resonanz in der Gesell­schaft stützen könne. Und weiter hieß es: „Dazu gehören für mich auch Bürge­be­we­gungen, die gegen die gegen­wär­tigen Corona-Einschrän­kungen protes­tierten. Ich warne davor, die Gegner dieser Einschrän­kungen in eine bestimmte Ecke zu drängen – in der könnten sie sich nämlich ganz schnell auch selbst wieder­finden“ (aus einer Pres­se­er­klä­rung der AfD Baden-Würt­tem­berg). Im Bundestag forderten AfD-Abge­ord­nete immer wieder eine sofortige Been­di­gung der Corona-Maßnahmen, weigerten sich zum Teil Masken aufzu­setzen und schleusten Corona-Leugner in den Bundestag, die dort Abge­ord­nete bedrohten. Teilweise versuchten AfD-Politiker auch, einen Zusam­men­hang zwischen Zuwan­de­rung und Verbrei­tung des Corona-Virus herzu­stellen. Außer im Südwesten verfing die Propa­ganda der AfD vor allem in den südlichen ostdeut­schen Bundes­län­dern, wo die Quer­den­ker­be­we­gung ebenfalls einen starken Zulauf erlebte und immer wieder auch gewalt­tä­tige Proteste gegen die Corona-Politik der Bundes- und Landes­re­gie­rungen statt­fanden. Im März 2021, zum Auftakt der Bundes­tags­wahl, kündigten Alice Weidel und Alexander Gauland dann eine Kampagne mit dem Titel „Aufbruch für Deutsch­land – Raus aus der Wirt­schafts- und Lock­down­krise“ an. Und in ihrem Bundes­tags­wahl­pro­gramm forderte die AfD eine sofortige Been­di­gung von Lockdown-Maßnahmen, eine Abschaf­fung der Masken­pflicht und eine Aufhebung des „Zwangs“, sich testen oder impfen zu lassen, um sich bei der Quer­den­ker­be­we­gung anzubiedern.

2. Warum ist es der AfD nicht gelungen, von der Quer­den­ker­be­we­gung zu profitieren?

Es über­rascht vor dem Hinter­grund der beschrie­benen perso­nellen und inhalt­li­chen Über­schnei­dungen zwischen der Quer­den­ker­be­we­gung und der AfD, dass die Partei wider Erwarten von diesem Bewe­gungs­im­puls nicht profi­tieren konnte, sondern sogar Verluste bei der Bundes­tags­wahl zu verzeichnen hatte. Die Strategie, sich nach dem Abebben der Flücht­lings­zu­wan­de­rung die Corona-Politik und die Quer­den­ker­be­we­gung als Kata­ly­sator für ein gutes Bundes­tags­wahl­er­gebnis zu erschließen, ist zumindest in den west­li­chen Bundes­län­dern nicht aufge­gangen. Mit 8,2 Prozent blieb die Partei in der alten Bundes­re­pu­blik deutlich hinter ihren Erwar­tungen zurück. Die Gründe dafür sind viel­fäl­tiger Natur.

  • Neben der AfD hatte sich vor allem die FDP als Kriti­kerin des Corona-Manage­ments der Großen Koalition hervor­getan, ohne – wie große Teile der AfD – die grund­sätz­liche Gefähr­lich­keit des Corona-Virus zu leugnen. Damit konnte die FDP im Unter­schied zur AfD vor allem bei jüngeren und formal gebil­de­teren Wählern im Westen punkten.
  • Im Umfeld der Quer­den­ker­be­we­gung bildeten sich Grup­pie­rungen mit Eigen­in­ter­essen heraus, die in Konkur­renz zur AfD traten und sich nicht von der AfD parla­men­ta­risch vertreten lassen wollten. Dazu zählte vor allem „die Basis“ (Basis­de­mo­kra­ti­sche Partei Deutsch­land), die sich bereits im Juli 2020 gründete und mit den zuneh­menden Protesten der Quer­den­ker­be­we­gung einen schnellen Mitglie­der­zu­wachs zu verzeichnen hatte. Bei der Bundes­tags­wahl erhielt „die Basis“ fast 630.000 Stimmen (1,4 Prozent) – Stimmen, die der AfD fehlten.
  • Die AfD war in der Frage, wie man sich zur Corona-Pandemie verhalten soll, gespalten. Intern gab es Macht­kämpfe um die richtige Strategie im Umgang mit der Pandemie. Zunächst warnten führende AfD-Politiker vor dem Virus und warfen der Regierung Untä­tig­keit vor, um es anschlie­ßend zu baga­tel­li­sieren und die getrof­fenen Maßnahmen der Regierung als Zwangs­maß­nahmen zu geißeln. Außerdem gab es Abge­ord­nete und Politiker der AfD, die grund­sätz­lich jegliche Maßnahme gegen das Corona-Virus ablehnten, während andere durchaus bereit waren, einen Teil der ergrif­fenen Maßnahmen mitzu­tragen. Die AfD war dadurch in der Quer­den­ker­be­we­gung nicht für alle Akteure ein glaub­wür­diger Partner.
  • Die AfD wurde in diesem Zusam­men­hang von den Bürgern nicht nur als wider­sprüch­lich wahr­ge­nommen, sondern sie war mit ihrer Corona-Politik unter großen Teilen der Bevöl­ke­rung auch isoliert. Die Regierung konnte sich während der Pande­mie­zeit immer auf eine klare Unter­stüt­zung durch eine Mehrheit der Bevöl­ke­rung stützen, zumal zu den ergrif­fenen Maßnahmen auch viele wirt­schaft­liche Hilfen gehörten, die die Krise abfe­derten und vielen über schwie­rige Zeiten hinweg­halfen – wie etwa die Kurz­ar­beits­re­ge­lungen oder die Hilfen für bedrohte Branchen. Das konter­ka­rierte die Beschwö­rungen der AfD vom Zusam­men­bruch der indus­tri­ellen Struktur Deutsch­lands infolge der Lockdown-Maßnahmen.
  • Die AfD hatte kein über­zeu­gendes Gesund­heits­kon­zept zur Eindäm­mung der Pandemie. Außer vagen Vorstel­lungen über den Aufbau von natio­nalen Produk­ti­ons­stätten für Anti­bio­tika und dem Betonen der Frei­wil­lig­keit des Impfens, hatte die AfD den Wählern weder im Bereich der Präven­tion noch der effek­tiven Bekämp­fung des Corona-Virus etwas anzubieten.
  • Auf ihrem Programm­par­teitag zur Bundes­tags­wahl hatte eine Mehrheit der Dele­gierten der AfD einen Austritt Deutsch­lands aus der EU befür­wortet und dies im Wahl­pro­gramm fest­ge­schrieben. Eine derart weit­ge­hende euro­pa­feind­liche Politik kommt jedoch bei vielen West­wäh­lern, die sich in anderen Fragen durchaus eine Wahl der AfD vorstellen können, nicht gut an.
  • Nach außen bot die Partei seit Längerem ein Bild der Zerris­sen­heit. Innerhalb der Führungs­riege brachen immer wieder Macht­kämpfe aus, die auf Partei­tagen den Eindruck vermit­telten, dass die AfD aus zwei Parteien besteht – eine, die eine system­feind­liche Politik nach dem Vorbild von Björn Höcke vertritt und eine, die sich zumindest den Anschein gibt, sich innerhalb der Vorgaben des parla­men­ta­ri­schen Systems an der Politik zu betei­ligen. Die Kritik von Jörg Meuthen an Mitglie­dern seiner Partei tat ihr Übriges, um Teilen der AfD die Poli­tik­fä­hig­keit abzusprechen.

 

3. Im Westen schwach, im Osten stark – warum man die AfD nicht abschreiben sollte

Gleich­wohl zeigen die Unter­schiede zwischen Ost und West, dass man trotz der Verluste der AfD bei der Bundes­tags­wahl 2021 die Partei nicht vorschnell abschreiben sollte. Im Osten konnte sie sich gegenüber der Bundes­tags­wahl 2017 nicht nur auf hohem Niveau behaupten, sondern teilweise sogar noch zulegen. Betrachtet man die ostdeut­schen Flächen­staaten zusammen, wurde die AfD zweit­stärkste Partei nach der SPD.

 

Tab. 1 Bundes­tags­wahl­er­gebnis der AfD in Ost und West in %

Bundes­ge­biet Westliche Bundes­länder Östliche Bundes­länder
10,3 8,2 19,1

 

In Thüringen und Sachsen wurde sie sogar stärkste Partei mit Wahl­er­geb­nissen von jeweils knapp unter 25 Prozent. Während sie in Sachsen und Bran­den­burg unter ihrem Wahl­er­gebnis von 2017 blieb, konnte sie in Thüringen noch leicht zulegen und sich in den anderen ostdeut­schen Bundes­län­dern weit­ge­hend behaupten.

 

Tab. 2 Bundes­tags­wahl­er­gebnis der AfD in den ostdeut­schen Bundes­län­dern (ohne Berlin)

Bundes­land Wahl­er­gebnis 2017 in % Wahl­er­gebnis 2021 in % Platz unter den Parteien über 5 %
Bran­den­burg 20,2 18,1 2
Meck­len­burg-Vorpom­mern 18,6 18,0 2
Sachsen-Anhalt 19,6 19,6 3
Sachsen 27,0 24,6 1
Thüringen 22,7 24,0 1

 

In 14 vorwie­gend länd­li­chen und struk­tur­schwa­chen Wahl­kreisen der beiden Bundes­länder gelang es ihr außerdem, Direkt­man­date zu gewinnen. Vor allem konnte sie auch in jüngere Wähler­schichten vorstoßen und bei den Wählern der Alters­ko­horten unter 30 punkten. In Sachsen-Anhalt war die AfD bei den unter 30-jährigen mit Stim­men­an­teilen von mehr als 20 Prozent stärkste Partei vor den Grünen und der FDP. Das zeigt, dass mit der AfD insbe­son­dere in Ostdeutsch­land auch zukünftig zu rechnen ist. Poli­tik­wis­sen­schaftler attes­tieren ihr dort inzwi­schen Volks­par­tei­en­cha­rakter und sehen in ihr eine Partei erfolg­rei­cher ostdeut­scher Inter­es­sen­re­prä­sen­ta­tion, deren program­ma­ti­sches Angebot auf eine positive Resonanz unter ostdeut­schen Wähler*innen stößt. Aller­dings dürfte die Stärke der AfD weniger einer kohä­renten Corona-Strategie zu verdanken sein, als vielmehr der Tatsache, dass es ihr gelungen ist, unter Teilen der Ostdeut­schen mit ihrer Kritik am west­deut­schen Poli­ti­kestab­lish­ment eine diskur­sive Hoheit zu gewinnen, die sich u.a. aus der Stili­sie­rung als Opfer der west­deut­schen Mehr­heits­ge­sell­schaft speist. Begüns­ti­gend kommt hinzu, dass die AfD von der demo­gra­phi­schen Struktur vieler Land­striche im Osten profi­tiert. Während ihre Wahl­er­geb­nisse in ostdeut­schen Groß­städten wie Leipzig, Dresden und Chemnitz unter dem Durch­schnitt liegen, kann sie vor allem in länd­li­chen und abge­hängten Regionen mit einer struk­tu­rell über­al­terten und über­wie­gend männlich domi­nierten Bevöl­ke­rung hohe Wahl­er­geb­nisse erzielen. Auch die geringe religiöse Bindung der Ostwäh­ler­schaft kommt ihr entgegen. Ob sich die AfD vor diesem Hinter­grund, wie selbst innerhalb der Partei einige befürchten, immer mehr zu einer Lega Ost entwi­ckelt und sich spaltet, wird aller­dings erst die Zukunft zeigen.

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