„China behandelt uns wie dumme kleine Kinder. Aber wir lassen das mit uns machen“
Weil er einen kritischen Film über China drehte, wurde der Tibeter Dhondup Wangchen gefoltert und saß sechs Jahre im Gefängnis. Heute fordert er einen Komplettboykott der Winterspiele in Peking. Und ein Treffen zwischen Olaf Scholz und dem Dalai Lama.
Ernüchternd sei der Termin gewesen, sagt Dhondup Wangchen. Der Tibeter hat das Büro des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB) in Berlin besucht, um mit einem Vereinssprecher über Olympia 2022 in China zu reden – und über die Menschenrechtsverletzungen in der Volksrepublik. Aber der Sprecher habe Ignoranz und Desinteresse an seiner Geschichte an den Tag gelegt, sagt Dhondup Wangchen. Er habe behauptet, er könne nicht wissen, was in China wirklich vor sich gehe. Und auf die von der Oberfläche verschwundene Tennisspielerin Peng Shuai angesprochen, die wahrscheinlich von den Behörden zum Abtauchen gezwungen wurde, habe er nur gebrummt, man habe sich ja bereits positioniert, einem deutschen Athleten könne so etwas aber nicht widerfahren.
Der DOSB ist die Dachorganisation des deutschen Sports, bei den Olympischen Winterspielen 2022 in China wird er seine Athleten als „Team Deutschland“ auflaufen lassen. Eigentlich wäre er gut beraten, Menschen wie Dhondup Wangchen genau zuzuhören, um zu vermeiden, dass der autokratisch regierte Parteistaat das „Team Deutschland“ für seine Inszenierung als demokratischer Musterstaat instrumentalisiert. Aber daran scheint er nicht viel Interesse zu haben.
Dabei kennt Dhondup Wangchen die dunklen Seiten des chinesischen Staats genau. Zum einen ist er Tibeter. Er gehört damit einer Volksgruppe an, deren Religion und Sprache in der Volksrepublik unterdrückt werden. Zum anderen hat er erlebt, welche Show Peking für Olympia aufführt. 2008, kurz vor den Olympischen Sommerspielen in China, die unter dem Motto „Eine Welt, ein Traum“ stattfanden, drehte er einen Dokumentarfilm, in dem er tibetische Mönche, Arbeiter und Bauern nach ihrem Leben unter chinesischer Führung befragte. Der Film heißt „Leaving fear behind“, auf YouTube wurde er mit dem Untertitel hochgeladen: „The film China doesn’t want you to see“.
Der Film ist für den chinesischen Parteistaat nicht schmeichelhaft, er hört sich nicht nach „Eine Welt, ein Traum“ an. Dafür ließen die Behörden Dhondup Wangchen büßen. Für sechs Jahre steckten sie ihn ins Gefängnis. Erst 2014 kam er wieder frei, heute lebt er im Asyl in den USA. Und versucht die Welt auf die Menschenrechtsverletzungen in China aufmerksam zu machen.
An einem kalten Dezembermorgen sitzt Dhondup Wangchen im Berliner Büro des Vereins Tibet Initiative. Es gibt dampfenden Kaffee und Weihnachtsgebäck, draußen hat Schnee die Straßen bedeckt. Er trägt das schwarze Haar kurz, um seinen Hals hat er sich einen Wollschal gewickelt. Vielleicht ist es die Arbeit auf tibetischen Feldern, vielleicht das Gefängnis, aber der 47-Jährige wirkt älter, als er ist.
Dhondup Wangchen reist derzeit durch Europa. In Frankreich, Belgien und den Niederlanden war er schon, jetzt ist Deutschland dran. Seine Mission: Der Welt zu erklären, wie China die Menschenrechte verletzt. Und Regierungen von einem Boykott von Olympia 2022 zu überzeugen. Dafür trifft er Menschenrechtspolitiker und Sportfunktionäre. Bei Ersteren ist das Interesse meist hoch, bei Letzteren fast immer verschwindend gering.
Seine Mission, der Welt zu erklären, wie China die Menschenrechte verletzt, hat seit seinem Dokumentarfilm aus dem Jahr 2008 nicht an Relevanz verloren. Im Gegenteil: „In Tibet ist die Situation noch viel schlimmer als damals“, sagt er: „Die Region ist zu einem Gefängnis geworden.“ Laut einem aktuellen Bericht der Organisation Tibet Action Institute zwingen die chinesischen Behörden drei von vier tibetischen Schülern in Internate, wodurch fast eine Million Kinder im Alter von sechs bis 18 Jahren von ihren Familien getrennt sind. Dem Institut zufolge sind die Internate ein Eckpfeiler einer Kampagne, die auf die Auslöschung der tibetischen Identität abzielt.
Mit Zahlen und Fakten wie diesen hofft Dhondup Wangchen dann die Unterstützer der Spiele umzustimmen. In Deutschland ist das etwa die Allianz-Versicherung. Der Versicherungskonzern ist einer der Sponsoren von Olympia 2022. „Die Ethnie der Tibeter soll vernichtet werden“, sagt er: „Diese Spiele finanziell zu unterstützen, ist, als drückte man China die Waffen für diese Vernichtung in die Hand.“
Der deutsche Kanzler sollte den Dalai Lama treffen!
In Deutschland ist das aber auch die Regierung. Die USA, Australien und Großbritannien haben inzwischen einen diplomatischen Boykott der Olympischen Spiele angekündigt. Von der Ampel-Koalition ist nichts dergleichen zu hören. Zwar schloss Außenministerin Annalena Baerbock (Die Grünen) in einem Interview mit der taz einen Boykott nicht aus. Aber auf Nachfragen reagiert die Regierung ausweichend. „Ich fordere die deutsche Regierung dazu auf, die Spiele zu boykottieren, nicht nur diplomatisch, sondern komplett“, sagt Dhondup Wangchen. Und an Kanzler Olaf Scholz (SPD) gerichtet fügt er hinzu: „Und der deutsche Kanzler sollte den Dalai Lama treffen. Das ist doch das Mindeste.“
Sechs Jahre saß Dhondup Wangchen im Gefängnis. An diesem Dezembermorgen in Berlin beschreibt er, wie er von den Gefängniswärtern gefoltert wurde, gefesselt, den Kopf verhüllt, sieben Tage lang, ohne Essen und ohne Schlaf. Und wie er unter Folter Geständnisse abgeben musste. Dabei wusste er nicht einmal, wofür.
Wenn er jetzt mit Politikern und Funktionären in Europa spricht, versucht Dhondup Wangchen oft am Beispiel von Peng Shuai zu erklären, was in China passiert. Die Tennisspielerin bezichtigte einen ehemaligen Spitzenpolitiker der Vergewaltigung. Seitdem ist sie – abgesehen von wenigen Auftritten, die inszeniert wirkten – von der Oberfläche verschwunden. Beobachter gehen davon aus, dass sie zum Rückzug aus der Öffentlichkeit gezwungen wurde. Dhondup Wangchen findet, dass der Fall Peng Shuai den Umgang der Volksrepublik mit ihren Kritikern zeigt: Sie lässt sie einfach verschwinden.
Aber die Volksrepublik hat einen in der Sportwelt mächtigen Verbündeten: das Internationale Olympische Komitee (IOC), das die Olympischen Spiele organisiert. Im November telefonierte IOC-Präsident Thomas Bach nach Angaben seines Komitees mit Peng Shuai. Demnach habe die Tennisspielerin ihm mitgeteilt, dass sie in Sicherheit sei und es ihr gut gehe. Sie wolle nur gerade ihre Ruhe haben.
Über die Bereitschaft von Sportfunktionären wie Thomas Bach, sich zu Marionetten eines autokratisch regierten Staates zu machen, kann Dhondup Wangchen nur sprachlos den Kopf schütteln. „China behandelt uns wie dumme kleine Kinder“, sagt er: „Aber wir lassen das mit uns machen.“
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