Nachruf auf John Kornblum
Ein Nachruf auf den Gründungsgesellschafter des Zentrums Liberale Moderne
John Kornblum war gelebte Geschichte. Geboren noch während des zweiten Weltkriegs, umspannte sein politisches Leben den Kalten Krieg und das Ende des sowjetischen Imperiums, den demokratischen Aufbruch in Mittel-Osteuropa und die Kriege im zerfallenden Jugoslawien, die Abrüstungsdiplomatie und die russischen Kriege gegen die Ukraine. Er stand wie kaum ein anderer für die deutsch-amerikanischen Beziehungen und blieb Deutschland zeitlebens verbunden.
Manchmal hatte man den Eindruck, dass er die Deutschen besser kannte als wir selbst – die Tendenz, uns die Welt schönzufärben, die Anfälligkeit für deutsch-russische Sentimentalität, die antiwestliche Tiefenströmung und die zwischen Bewunderung und Verachtung schwankende Ambivalenz im Verhältnis zu Amerika.
Seine Affinität für Deutschland hatte familiäre Wurzeln. Die Großeltern waren Ende des 19. Jahrhunderts aus Ostpreußen in die USA ausgewandert. Er war sich dieser deutsch-amerikanischen Traditionslinie sehr bewusst. Für ihn war die transatlantische Allianz sehr viel mehr als ein Sicherheitsbündnis. Es beruhte auf der Geistesverwandtschaft zwischen den demokratischen Bestrebungen in Europa und der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung. Nüchterne Realpolitik war ihm ein Mittel, die liberalen Werte zu verteidigen. Er glaubte an die Stärke der Demokratie und die Anziehungskraft der Freiheit. Gleichzeitig hatte ihn seine Erfahrung gelehrt, dass nur Stärke den Frieden gegenüber gewaltbereiten Mächten sichern kann.
John trat bereits als junger Mann in den diplomatischen Dienst der Vereinigten Staaten ein. Seine erste Auslandsmission führte ihn als Vizekonsul nach Hamburg. Deutschland blieb sein zentrales Betätigungsfeld. Er war dabei, als Ronald Reagan 1987 an der Berliner Mauer seinen berühmten Appell „Mr. President, tear down this wall“ an Gorbatschow richtete. Realpolitik hieß eben nicht, sich mit dem Status quo zu arrangieren. Wenn sich die Gelegenheit zur Veränderung bot, musste man sie nutzen.
Als Anfang der 90er Jahre die Hoffnung auf ein vereintes, friedliches Europa einen ersten brutalen Rückschlag erfuhr, ernannte ihn Bill Clinton zum Sonderbotschafter für Bosnien. Es dauerte drei blutige Jahre, bis die internationale Gemeinschaft sich zu einer militärischen Intervention aufraffte, um den ersten ethnischen Vernichtungs- und Vertreibungskrieg auf europäischem Boden seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu beenden. John war maßgeblich an den Verhandlungen um das Friedensabkommen von Dayton beteiligt.
1997 wurde er – endlich – zum amerikanischen Botschafter in Deutschland ernannt. Man konnte sich keinen Besseren denken. Er konnte sich kritische Anmerkungen und Erwartungen an die Adresse der deutschen Politik leisten, weil sie von Empathie getragen waren. Das transatlantische Bündnis blieb für ihn der Eckpfeiler der europäischen Sicherheitsarchitektur. Zugleich wurde er nicht müde, mehr sicherheitspolitische Verantwortung Deutschlands einzufordern. Er sah voraus, dass die Asymmetrie zwischen Bürden und Vorteilen früher oder später zu Konflikten zwischen Washington und Berlin führen musste.
Nach seinem Abschied aus dem diplomatischen Dienst blieb er beruflich und politisch in Berlin aktiv, eine feste Größe in den außen- und sicherheitspolitischen Debatten. Als wir ihn 2017 fragten, ob er sich als Gesellschafter an der Gründung des „Zentrum Liberale Moderne“ beteiligten wollte, war er sofort mit an Bord. Er verstand vielleicht besser als wir, dass die liberalen Demokratien in eine neue Phase der Gefährdung von innen und außen eingetreten waren. Von innen durch populistische, in der Wolle autoritär und nationalistisch gefärbte Parteien und Führerfiguren, von außen durch Morgenluft witternde autoritäre Mächte mit Russland, China und dem Iran an der Spitze. Auch das war für ihn eine transatlantische Herausforderung, die nur gemeinsam zu bewältigen war.
Er machte sich zunehmende Sorgen, dass Deutschland ökonomisch und politisch außer Tritt geraten könnte. Ökonomisch, weil wir den Anschluss an die digitale Revolution zu verpassen drohen; politisch weil wir uns mit dem Mentalitätswechsel zu einer robusten Sicherheitspolitik so schwer tun. Die Ukraine war für ihn der Lackmustest auf die Handlungsfähigkeit des Westens. John blieb bis zuletzt ein wacher, streitbarer Geist mit einem großen historischen Horizont. Seine letzte Lebensphase verbrachte er krankheitsbedingt mit seiner Frau in Tennessee. Er wäre gern noch einmal nach Berlin zurückgekehrt, doch es sollte nicht mehr sein. Am 21. Dezember ging er auf seine letzte Reise. Seine Stimme fehlt, gerade jetzt.
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