Dekar­bo­ni­sierung der Zement­in­dustrie: Erwar­tungen an die Bundesregierung

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Die Zement­in­dustrie zählt zu den wichtigsten, aber auch emissi­ons­reichsten Branchen weltweit. Der Anteil an den globalen CO2-Emissionen beträgt rund 7 bis 8 Prozent. Auch wenn in Zukunft aufgrund einer stärkeren Nutzung von anderen Baustoffen und innova­tiver Verfahren der Anteil an Zement im Bauwesen zurück­gehen wird, wird er immer noch eine zentrale Rolle spielen. Die Reduktion von CO2 bei dessen Herstellung ist also von großer Bedeutung, stellt aber auch eine enorme Heraus­for­derung dar. Frauke Eustermann, Fachre­fe­rentin Nachhal­tiges Bauen bei der Klima­schutz- und Umwelt­or­ga­ni­sation Bellona Deutschland, gibt einen Überblick, welche techno­lo­gi­schen Innova­tionen und gezielten politi­schen Maßnahmen nötig sind.

Heraus­for­de­rungen der Zementindustrie

Beson­der­heiten des Prozesses

Die Zement­her­stellung erfordert extrem hohe Tempe­ra­turen von bis zu 1.450 °C, die tradi­tionell durch die Verbrennung fossiler Brenn­stoffe wie Kohle oder Erdgas erzeugt werden. Um die CO2-Emissionen in diesem energie­in­ten­siven Prozess zu reduzieren, sind alter­native Energie­quellen erfor­derlich. Die Substi­tution fossiler Brenn­stoffe durch erneu­erbare Energien oder Biomasse kann die Emissionen der Zement­pro­duktion erheblich senken. Dies erfordert massive Anpas­sungen an bestehende Produk­ti­ons­pro­zesse und eine stabile Energieversorgung.

Ein bedeu­tender Teil der CO2-Emissionen in der Zement­pro­duktion resul­tiert jedoch aus dem chemi­schen Prozess der Kalzi­nierung. Dabei wird Kalkstein bei hohen Tempe­ra­turen zu Klinker verar­beitet, wodurch Kohlen­dioxid freige­setzt wird. Dieser Prozess ist für etwa 60 % der gesamten Emissionen in der Zement­in­dustrie verant­wortlich. Da es sich um prozess­be­dingte Emissionen handelt, ist Carbon Capture and Storage (CCS) derzeit die einzige techno­lo­gisch verfügbare Option für deren signi­fi­kante Reduktion und damit eine Schlüs­sel­tech­no­logie zur Dekar­bo­ni­sierung der Branche.

Reduktion durch Carbon Capture and Storage

Dabei wird CO2 direkt an der Punkt­quelle technisch abgeschieden und anschließend permanent in tiefen­geo­lo­gi­schen Forma­tionen gespei­chert. Moderne Verfahren wie die Aminwäsche, Calcium Looping-Verfahren oder Oxyfuel-basierte Prozesse ermög­lichen eine effiziente CO2-Abscheidung mit Abschei­de­raten von über 90% im Zementwerk. Je nach Techno­logie stellen umfassend benötigte Umbauten und der substan­ziell gestei­gerte Strom­bedarf Heraus­for­de­rungen dar.

Neben der Reduktion von Emissionen durch CCS kann die Techno­logie auch zur Schaffung von Negative­mis­sionen beitragen: Wenn in Zement­werken biogene Reststoffe als Brenn­stoff genutzt werden und das dabei entste­hende CO2 abgeschieden wird (Bio-CCS), kann – je nach Zusam­men­setzung des CO2-Stoff­stroms – in geringem Umfang auch aktiv CO2 aus der Atmosphäre entzogen werden.

Regula­to­rische Unsicherheiten

Ob die Nutzung von abgeschie­denem CO2 in Produkten als Klima­schutz­maß­nahme gelten darf, hängt wesentlich davon ab, ob die gesamte Prozess­kette auf Erneu­er­baren basiert, das CO2 dauerhaft gespei­chert wird oder in geschlos­senen Kreisläufen zirku­liert, und eine trans­pa­rente Bilan­zierung über den gesamten Lebens­zyklus gegeben ist.

Ein spürbarer Anstieg an Bürokratie, insbe­sondere im Bereich des Umwelt‑, Klima­schutz- und Immis­si­ons­schutz­rechts betrifft u.a. die Geneh­migung von Anlagen zur CO2-Abscheidung sowie die Zulassung alter­na­tiver Brenn­stoffe. Ein weiterer Unsicher­heits­faktor für die Industrie ist die künftige Gestaltung des Emissi­ons­handels (EU-ETS), da noch offen ist, wie schnell die kosten­losen CO2-Zerti­fikate auslaufen.

 

Erwar­tungen an die nächste Bundesregierung

Schaffung eines klaren regula­to­ri­schen Rahmens

Die Bundes­re­gierung sollte gemeinsam mit der Zement­in­dustrie einen langfris­tigen und verbind­lichen Plan zur Dekar­bo­ni­sierung entwi­ckeln. Dies umfasst klare Reduk­ti­ons­ziele, eine CO2-Bepreisung und Förder­pro­gramme für klima­freund­liche Techno­logien. Das Label „Cement Carbon Class“ (CCC) sollte bei Aufträgen der öffent­lichen Beschaffung konse­quent Anwendung finden.

Carbon Management-Strategie und Änderung des Gesetzes zur Kohlendioxid-Speicherung

Die neue Regierung sollte schnellst­möglich eine am Klima­nutzen der Techno­logie orien­tierte Carbon Management-Strategie (CMS) sowie der Bundestag das KSpTG ( Kohlen­dioxid-Speiche­rungs- und ‑Trans­port­gesetz) verab­schieden. Die CMS muss klare Regeln für sinnvolle CCS-Anwendungsfälle, mindestens in der Kalk- und Zement­in­dustrie sowie der thermi­schen Abfall­ver­wertung, festlegen. Die Förderung einzelner CCS-Projekte ist für deren Hochlauf aufgrund absehbar zu niedriger Preise für den Emissi­ons­handel zwingend erfor­derlich. Differenzverträge sind ein geeig­netes Mittel zur tiefgrei­fenden Dekar­bo­ni­sierung. Sie sollten fortge­setzt und so optimiert werden, dass sie weniger bürokra­tie­auf­wendig sind, um so den Zugang zu erleichtern.

Standards für CO2-armen Zement

Als sogenanntes Supple­mentary Cemen­ti­tious Material (SCM) kann z. B. kalzi­nierter Ton zur Herstellung von CO2-armem Kompo­sit­zement beitragen. Da Tonmi­nerale weltweit nahezu unbegrenzt verfügbar sind, bietet diese Alter­native großes Potenzial. Momentan läuft die Markt­ak­zeptanz jedoch zögerlich, da Bauun­ter­nehmen an bewährten Materialien festhalten – auch weil bestehende Normen und Bauvor­schriften stark auf herkömm­liche, CO2-intensive Zement­arten ausge­richtet sind. Neue Werkstoffe erfordern aufwendige Tests und Zerti­fi­zie­rungen, während Unsicher­heiten zur langfris­tigen Leistungs­fä­higkeit die Zurück­haltung verstärken.

Es braucht einen unter­stüt­zenden Regulie­rungs­rahmen und angepasste Standards, die sich auf die Verwendung (Festigkeit, Trockenzeit, etc.) beziehen, damit die Zemente oder Betone besser für einen konkreten Verwen­dungs­zweck einge­setzt werden können und nicht nach Klinkeranteil.

Ausbau der CO2-Infrastruktur

Nicht alle Zement­werke sind in den großen indus­tri­ellen Clustern Deutsch­lands ansässig. Je nach Entfernung zur CO2-Pipeline und den verfüg­baren Trans­port­op­tionen ist ein Anschluss an das Trans­port­netzwerk früher oder später möglich. Der Anschluss an das CO2-Trans­portnetz wird damit für die Zement­in­dustrie zur wettbe­werbs­po­li­ti­schen Frage­stellung. Die Politik darf nicht davor zurück­schrecken, die nötigen Koordi­na­tions- und Planungs­auf­gaben zu übernehmen – auch bei der essen­zi­ellen Etablierung eines trans­na­tio­nalen, europäi­schen CO2-Markts.

Der erfolg­reiche Aufbau eines CO2-Trans­port­netzes erfordert in der Anfangs­phase gezielte Absiche­rungs­me­cha­nismen, um die mit der komplexen CCS-Prozess­struktur verbun­denen Risiken zu minimieren. Da die ersten angeschlos­senen Unter­nehmen die Kosten für Aufbau und Betrieb des Netzes nicht allein tragen können, sind finan­zielle Unter­stüt­zungs­in­stru­mente wie ein Amorti­sa­ti­ons­konto sinnvoll, um eine faire Lasten­ver­teilung zu gewähr­leisten und Inves­ti­tionen zu fördern. Zudem benötigen die ersten CCS-Projekte („First Mover“) besondere Absiche­rungen, da Abscheidung, Transport und Speicherung nicht immer gleich­zeitig verfügbar sind. Um frühzeitige Inves­ti­tionen zu erleichtern, sollte die Bundes­re­gierung gezielte Mecha­nismen zur Risiko­ab­si­cherung einführen.

Die Bundes­re­gierung muss den Ausbau von CO2-Speichern sowohl Offshore als auch Onshore beschleu­nigen, um zeitnah Injek­ti­ons­ka­pa­zi­täten bereit­zu­stellen. Dabei sollte die marine Raumplanung mit anderen Klima­in­fra­struk­turen, insbe­sondere Offshore-Windenergie, abgestimmt werden, um Synergien zu nutzen und geeignete Speicher­stätten frühzeitig zu identi­fi­zieren. Eine strenge Befristung von Lizenzen für die Explo­ration in der deutschen Außen­wirt­schaftszone kann beispiels­weise verhindern, dass Unter­nehmen Speicher­po­ten­ziale blockieren, ohne sie tatsächlich zu erschließen. Zudem sollten etwaige Carbon Management-Strategien der Bundes­länder mit der Planung reali­sier­barer Onshore-Speicher verbunden werden. Dadurch lassen sich Infor­ma­tionen über verfügbare Kapazi­täten und poten­zielle Risiken, insbe­sondere durch alte Bohrlöcher, gewinnen. Dies schafft eine belastbare Grundlage für die langfristige Onshore- und Offshore-CO2-Speicherung in Deutschland.

Öffent­liche Beschaffung als Hebel nutzen

Ein entschei­dender Faktor für die Markt­durch­dringung klima­freund­licher Baustoffe ist die öffent­liche Beschaffung. Deutschland hat im Vergleich zu anderen Ländern eine niedrige öffent­liche Nachfrage nach klima­freund­lichem Zement, was unter anderem am großen Inves­ti­ti­onsstau bei Infra­struk­tur­pro­jekten liegt. Die Umsetzung dieser Projekte mit grünen Materialien würde den notwen­digen Push im Bereich der grünen Leitmärkte geben. Dazu muss die Bundes­re­gierung verpflich­tende nachhaltige Umwelt­kri­terien in der öffent­lichen Vergabe etablieren.

Sie sollte ambitio­nierte Vorgaben für Zement in dem Verga­be­trans­for­ma­ti­ons­gesetz sowie der Allge­meine Verwal­tungs­vor­schrift zur Beschaffung klima­freund­licher Leistungen (AVV Klima) auf Grundlage der Kriterien des Labels CCC erlassen. Des Weiteren sollte eine anspruchs­volle, aber auch realis­tische Regelung getroffen werden, ab welchem Zeitpunkt nur noch Zement aus den ambitio­nierten Label­klassen zum Einsatz kommt.

Recycling und Kreis­lauf­wirt­schaft ausbauen

Eine Reduktion des Zement­be­darfs durch effizi­entere Nutzung und Recycling von Beton sollte ein elemen­tarer Aspekt der Dekar­bo­ni­sierung sein. Innovative Recycling­ver­fahren für Altbeton befinden sich noch in der Entwick­lungs­phase, bieten jedoch großes Potenzial. Momentan scheitert ein Teil des Recyclings an recht­lichen Hürden, was einen unhalt­baren Zustand darstellt. Klare recht­liche Rahmen­be­din­gungen sind notwendig, wie die Anpassung der DIN-Normen für Beton und der Baustellen- und Abfallverordnung.

Wettbe­werbs­fä­higkeit dank inter­na­tio­naler Zusammenarbeit

Da die Zement­in­dustrie global agiert, müssen nationale Maßnahmen mit inter­na­tio­nalen Standards harmo­ni­siert werden. Die Bundes­re­gierung sollte sich für einheit­liche CO2-Preise und inter­na­tionale Klima­initia­tiven in der Zement­branche einsetzen, um Wettbe­werbs­ver­zer­rungen zu vermeiden.

Ein geeig­netes Instrument ist der Carbon Border Adjus­tment Mechanism (CBAM), der als entschei­dender Mecha­nismus die deutsche Zement­in­dustrie vor unfairer Konkurrenz schützen kann. Die Bundes­re­gierung muss darauf achten, dass der CBAM fair, prakti­kabel und effektiv umgesetzt wird. Gleich­zeitig sollte sie Anreize für klima­freund­liche Inves­ti­tionen setzen und den inter­na­tio­nalen Dialog für eine weltweite CO2-Bepreisung vorantreiben.

Im Rahmen des Clean Indus­trial Deal wurde die Einführung eines Zement­labels auf EU-Ebene angekündigt. Hier ist eine schnelle und klare Definition erfor­derlich. Die Bundes­re­gierung sollte sich aktiv dafür einsetzen, dass die europäische Regelung auf dem deutschen Label CCC basiert, was eine praxisnahe und ambitio­nierte Umsetzung sicher­stellen und die Wettbe­werbs­fä­higkeit klima­freund­licher Zement­pro­dukte stärken würde.

Weitere Forde­rungen für eine zukunfts­ge­richtete Politik, die den Klima­schutz und die Indus­trie­trans­for­mation voran­treibt, finden sich in der Roadmap von Bellona Deutschland.

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