Ralf Fücks im NZZ-Interview: „Putin wird sich nicht mit einer Blockfreiheit zufriedengeben“
Führende deutsche Politiker hätten das Ausmaß des russischen Revanchismus noch immer nicht verstanden, sagt Ralf Fücks. Sollte sich Olaf Scholz mit seiner zögerlichen Haltung durchsetzen, müsste Kyjiw einen russischen Diktatfrieden akzeptieren, glaubt der Gründer des Berliner Think-Tanks Zentrum Liberale Moderne.
Ein Interview von Hansjörg Friedrich Müller
NZZ: Herr Fücks, Sie haben mir im Vorfeld dieses Gesprächs erzählt, Sie seien über ein Interview mit dem Berliner Politologen Herfried Münkler gestolpert, das in dieser Zeitung erschienen ist. Münkler forderte darin eine neutrale Ukraine mit europäischen Sicherheitsgarantien. Ist er ein Realist, während Sie ein Idealist sind?
Ralf Fücks: Das halte ich für eine falsche Gegenüberstellung. Am Anfang des Krieges war er kein Realist, sondern Defaitist: Damals prophezeite er einen raschen Zusammenbruch der Ukraine, weil er wie viele vermeintliche Militärexperten deren Kampfkraft unterschätzte und die Stärke der russischen Armee überschätzte. Münkler ist aber auch kein Realist im Hinblick auf die Kriegsziele Russlands: Wladimir Putin wird sich nicht mit einer Blockfreiheit der Ukraine zufriedengeben. Sein Ziel ist es, die Ukraine «heim ins Reich» zu holen. Mehr noch: Er will die Osterweiterung der Nato revidieren und fordert den Abzug der amerikanischen Atomwaffen aus Europa. Faktisch würde dies zu einer militärischen Dominanz Russlands über Europa führen. Nicht zuletzt verkürzt Münkler internationale Politik auf reine Machtpolitik ohne jede normative Dimension. Es ist aber in unserem ureigenen Interesse, eine normative Friedensordnung in Europa und darüber hinaus zu verteidigen.