Klima­wende braucht Zuversicht

Foto: Anne Hufnagl

Warum wir die Klima­trans­for­mation als Aufbruch in die ökolo­gische Moderne begreifen sollten: Ralf Fücks im Interview der FAS über grünes Wachstum, Ökoka­pi­ta­lismus und die Sackgasse der Militanz.

Herr Fücks, im Kampf um den Braun­koh­leort Lützerath haben Führungs­figuren der Klima­be­wegung eine klare Abgrenzung von links­ra­di­kalen, gewalt­a­ffinen Gruppen verweigert. Droht nach Lützerath eine Radikalisierung?

Die überwie­gende Mehrheit der Klima­ak­ti­visten hat mit Gewalt nichts am Hut. Es gibt aber einen starken Druck, „sich nicht spalten zu lassen“, statt einen klaren Trennungs­strich zu militanten Aktionen zu ziehen. Unter dem Strich hat sich die Bewegung mit Lützerath einen Bären­dienst erwiesen. Da war jugend­licher Größenwahn im Spiel – den kenne ich aus meiner eigenen Biografie. Man hat sich verhoben an einem Konflikt, den man nicht gewinnen konnte. Der apoka­lyp­tische Duktus – Lützerath bleibt oder die Welt geht unter – wirkt auf viele befremdlich und ist in der Sache ja auch nicht haltbar. Wenn man Wider­stand aufbaut, der für die Polizei möglichst schwer zu brechen sein soll, geht man das Risiko einer Eskalation ein. Umso wichtiger ist Klarheit in der Gewalt­frage. Hier führt jede Zweideu­tigkeit auf eine gefähr­liche Rutschbahn.

Woher kommt dieser apodik­tische Sofor­tismus in der Klimabewegung?

Wenn man die Klima­frage so intoniert, dass wir nur noch wenige Jahre haben, um den Untergang der Menschheit zu verhindern, hat das eine immanente Tendenz zur Radika­li­sierung. Wenn es um das Überleben der Gattung geht, dann scheint fast jeder Wider­stand legitim. Die Aktivisten der „Letzten Generation“ – und nicht nur sie – beschwören eine existen­zia­lis­tische Konstel­lation herauf, in der es um Alles oder Nichts geht. Eine Position der Verzweiflung kann in Resignation oder in Militanz kippen. Deshalb ist es so wichtig, eine klare Grenz­linie zur Gewalt zu ziehen.

Das ist bis heute nicht passiert.

Die aller­meisten Aktivisten sehen sich in der Tradition des gewalt­freien Wider­stands. So sind sie auch aufge­wachsen, viele kommen aus Ökopax-Familien. Es ist eine andere Generation als Ende der 1960er‑, Anfang der 1970er-Jahre, damals gab es eine Freude am Spiel mit der Gewalt. Gewalt ist auch ein Macht­gefühl. Davon geht eine starke Anzie­hungs­kraft aus, vor allem auf junge Männer. Gewalt­be­reite Männlichkeit, eine Art linker Machismo, war Kult: der bewaffnete Befrei­ungs­kampf der Dritten Welt, Che Guevara, Stadt­gue­rilla. Das ist jetzt anders. Deshalb hoffe ich, dass die Immun­kräfte gegen das Abkippen in Gewalt stärker sind. Trotzdem ist es wichtig, dass dieje­nigen, die innerhalb der Bewegung über Autorität verfügen, eine klare Sprache sprechen.

Der Aachener Polizei­prä­sident, der den Lützerath-Einsatz geleitet hat, ist Grüner. Wie ist das heute mit den „Bullen­schweinen“?

Die Grünen decken in diesem Konflikt die ganze Bandbreite ab. Man kann sagen, sie sind die wahre Volks­partei: Vom Polizei­prä­si­denten bis zum Wider­stands­lager. Die Polizei ist heute stärker in der Demokratie verankert. Aber die alten Klischees sind nicht verschwunden. In der Medien­arbeit der Lützerath-Aktivisten wurden Gewalt­ex­zesse der Polizei herauf­be­schworen, die sich als stark überzeichnet entpuppten – als wollte man die Polizei in die Rolle der Prügel­garde drängen, damit die Legiti­mation der eigenen Sache wächst.

Welche Antwort kann die Demokratie mit ihren langsamen Verfahren den Aktivisten geben, für die jeder Kompromiss Verrat ist?

Rechts­staat, Demokratie und Gewalt­freiheit sind Garanten der Zivilität, ein Wert an sich, den es zu vertei­digen gilt. Demokratie ist niemals nur Mittel zum Zweck, allen­falls zum Zweck der Freiheit und der Menschen­würde. Sie ist auch keineswegs immer langsam – in Krisen­zeiten können Demokratien schnell und entschieden handeln. Angesichts der Klima­krise ist die zentrale Frage, wie die Riesen­aufgabe des Umbaus einer modernen Indus­trie­ge­sell­schaft gelingen kann. Das muss man als Fortschritts- und Aufbruchs­ge­schichte erzählen. Viele Aktivisten sind aber gefangen im Katastro­phismus und der Negation. Die „Letzte Generation“ verficht die Utopie der Still­legung, eine Art perma­nenter Klima-Lockdown. Die Idee, nur das Schrumpfen könne uns retten, ist in der Ökobe­wegung weit verbreitet.

Degrowth, also gelenkte Wirtschafts­schrumpfung, als Monstranz der Klimabewegung?

Degrowth ist die neue Klima­re­ligion. Dagegen müssen wir ein anderes Konzept setzen: Klima­trans­for­mation als Aufbruch zu einer ökolo­gi­schen Indus­trie­ge­sell­schaft, die nicht mehr auf Raubbau an der Natur beruht und Raum gibt für bald zehn Milli­arden Menschen mit ihren Bedürf­nissen und Ambitionen. Degrowth ist eine Form von Reali­täts­flucht angesichts der realen Wachs­tums­dy­na­miken, mit denen wir im globalen Süden konfron­tiert sind. Es geht nicht um den Rückbau der indus­tri­ellen Moderne, sondern um den Sprung in eine postfossile Zukunft. Das ist keine Fata Morgana. In den fortge­schrit­tenen Indus­trie­ge­sell­schaften hat die Entkop­pelung von Wirtschafts­wachstum und Natur­ver­brauch bereits begonnen. Wir verzeichnen in Deutschland einen Rückgang der CO2-Emissionen um knapp 40 Prozent seit 1990 bei steigendem Sozial­produkt – Außen­han­dels­ef­fekte einberechnet.

Trotzdem wird der Kampf gegen den Kapita­lismus mittler­weile von vielen in der Ökobe­wegung in einem Atemzug mit dem Kampf gegen den Klima­wandel genannt. Woher kommt die Begeis­terung für alte Ideen, die sich als zutiefst menschen­feindlich erwiesen haben?

Das ist ein Rätsel, das mich auch um­treibt: Woher kommt diese von Generation zu Generation vererbte Begeis­terung für Antika­pi­ta­lismus? Die gängigen Klischees vom Kapita­lismus sind vulgär: nackte Profitgier und Berei­cherung einer kleinen Elite ohne Rücksicht auf Mensch und Natur. Das perfekte Feindbild. Starke Feind­bilder geben starke Identität. Als ich politisch aktiv wurde hieß das: Kapita­lismus führt zu Faschismus und Krieg, deshalb weg mit ihm!

War die Wurzel antiamerikanisch?

Die Einstellung zu Amerika schwankte zwischen Faszi­nation und Verdammung. Roman­tische Kritik der „seelen­losen Moderne“ hat in Deutschland eine lange Tradition. Die Aversion gegen „Konsum­terror“ und Markt­wirt­schaft findet sich links wie rechts, auch in der „konser­va­tiven Revolution“ war dieses Denken stark ausgeprägt …

. . . und in der Gründungs­ge­neration der Grünen.

Auch dort. Im linken Spektrum gibt es eine Renais­sance des Ökoso­zia­lismus mit staat­licher Lenkung von Produktion und Konsum. Das Gefähr­liche daran: Man braucht letztlich ein autori­täres Regime, um die radikale Wende zum Weniger zu erzwingen. Freiwillig wird eine massive Absenkung des Lebens­stan­dards nicht funktio­nieren. Wenn unser Sozial­produkt drastisch schrumpfen soll, hat das ja Konse­quenzen für alles: Inves­ti­tionen, Löhne, soziale Leistungen, Rente, das Bildungs­system. Degrowth unter­gräbt die Demokratie, ohne das Klima zu retten.

„Freiheit“ ist gerade zur Floskel des Jahres gekürt worden. Welchen ­Stellenwert haben freiheit­liche Ideen bei uns?

Es gibt in Deutschland ein stark ausge­prägtes Kollek­tiv­denken, gepaart mit einem Primat der Gleichheit. Das sitzt tief in der Wolle. In der Klima­frage begründet sich die Einschränkung der Freiheit mit der Vertei­digung der Freiheit: Wir vertei­digen die Lebens­chancen und damit auch die Freiheits­op­tionen der künftigen Genera­tionen, in dem wir uns heute radikal einschränken und Freiheiten begrenzen müssen. Es ist kein Zufall, dass Luisa Neubauer – ein Genie symbo­li­scher Aktionen – Hans Jonas’ „Prinzip Verant­wortung“ in Lützerath in die Kameras gehalten hat. Die Botschaft lautet: Aus dem Prinzip der kollek­tiven Verant­wortung, die auch die Zukunft einschließt, müssen wir die indivi­duelle Freiheit begrenzen. Freiheit schrumpft auf die Einsicht in die ökolo­gische Notwen­digkeit. Die Wissen­schaft hat festge­stellt, was wir jetzt tun müssen. Und das bestimmt sowohl den Korridor der Politik wie des indivi­du­ellen Lebens. Das ist eine sehr verfüh­re­rische Argumentation.

Ist es nicht einfach nur floskelhaft, wenn im Kapita­lismus wohlbe­hütet aufge­wachsene Kinder dem Anti­kapitalismus frönen?

Da spricht das schlechte Gewissen über ein Leben im Wohlstand. Die radikalen Ausläufer der Ökobe­wegung, die auf die Wende zum Weniger setzten, sind auch eine Bußbe­wegung nach dem Motto „Wir haben uns gegen die Natur versündigt“. Zwar ist unsere Gesell­schaft heute überwiegend hedonis­tisch einge­stellt. Aber darunter gibt es dieses Protes­tan­tisch-Ökocal­vi­nis­tische, die Verdammnis von Luxus und das Gebot tugend­hafter Selbst­kon­trolle. Das verbindet sich dann mit Glaubens­sätzen, die auf den berühmten Bericht an den Club of Rome zu den „Grenzen des Wachstums“ zurück­gehen. Aus dieser Sicht ist das Wirtschafts­wachstum die Ursache des Übels, das wiederum vom Kapita­lismus voran­ge­trieben wird. Deshalb sei Kapita­lismus nicht mit Ökologie vereinbar. Das ist das ewige Mantra.

Dagegen setzten Sie: Wachstum und Kapita­lismus zur Lösung der Klimakrise?

Grünes Wachstum! Das ist ja gerade das Paradox: Wir brauchen ein Mehr an ökono­mi­scher Dynamik, nicht weniger. Der Klima­wandel erzwingt eine gewaltige Inves­ti­tions- und Innova­ti­ons­of­fensive für den kompletten Umbau des Energie­systems, des indus­tri­ellen Produk­ti­ons­ap­parats und des Verkehrs. Nicht Entschleu­nigung, sondern beschleu­nigter Struk­tur­wandel ist angesagt. Die inter­na­tionale Energie­agentur geht davon aus, dass etwa 50 Prozent der Techno­logie, die wir brauchen, um Klima­neu­tra­lität zu erreichen, heute bereits voll verfügbar sind. Die anderen 50 Prozent sind entweder in der Entwicklung oder müssen noch erforscht werden. Zu glauben, dass die Energiewelt von 2050 nur aus Solar­panels und Windrädern besteht, ist naiv.

Unser Schicksal ist techni­scher Natur?

Technik ist nicht alles. Es geht auch um eine andere Politik und ein neues Verständnis von Wohlstand. Aber des Pudels Kern ist eine neue wissen­schaftlich-technische Revolution. Wir können die ökolo­gische Krise der Moderne nur mit den Mitteln der Moderne überwinden.

Und dann machen die anderen Länder mit? Eine Art Geleitzug der Vernunft?

Genau, man muss eine globale Dynamik ökolo­gi­scher Innovation erzeugen. Deutschland ist nicht der Nabel der Welt. Aber wir haben gute Voraus­set­zungen, Vorreiter einer umwelt­freund­lichen Indus­trie­ge­sell­schaft zu sein. Wir haben eine gut ausge­baute Wissen­schafts­land­schaft, eine tolle Ingenieurs­kultur, ein hohes Umwelt­be­wusstsein in der Gesell­schaft. Die ökolo­gische Trans­for­mation des Kapita­lismus hat längst begonnen. Weltweit arbeiten immer mehr Wissen­schaftler an innova­tiven Problem­lö­sungen, immer mehr Unter­nehmen inves­tieren enorme Summen in Klima­neu­tra­lität. In Europa, den USA und China werden gigan­tische staat­liche Förder­pro­gramme aufgelegt. Irgendwo gibt es dann einen kriti­schen Punkt, wo es zum Take-off der grünen indus­tri­ellen Revolution kommt. Für ein zukunfts­ängst­liches Schrumpf­ger­manien inter­es­siert sich im Rest der Welt kein Mensch.

Die Grünen waren in ihren Ursprüngen eine Partei der Technik­skepsis. Wie ist das heute?

Die Grünen waren zu Beginn auf das destruktive Potential des techni­schen Fortschritts fixiert. Sie sind seither einen weiten Weg gegangen, aber es gibt immer noch Techno­logien, deren Ablehnung zur grünen DNA gehört. Was die Atomenergie betrifft, würde ich raten: Wir sollten offen bleiben für neue Entwick­lungen auch auf diesem Feld. Das gilt auch für die Kernfusion. Bei der Gentechnik hat es diverse Locke­rungs­ver­suche gegeben, dann ein Rollback, nun dominiert bei diesem Thema wieder die alte Fundamentalopposition.

Wie gefährlich kann der Lützerath-Konflikt für die Grünen werden?

Ich vermute, dass Lützerath letztlich eine Fußnote bleiben wird. Der Konflikt hat Ausein­an­der­set­zungen geschärft, die geführt werden müssen, um den Kurs zu klären. Die Grünen sind jetzt verant­wortlich für die gesamte Gesell­schaft. Eine Partei mit der Ambition, die politische Führung der Republik zu übernehmen, kann sich nicht von parti­ku­laren Bewegungen abhängig machen. Sie darf den Faden zur außer­par­la­men­ta­ri­schen Klima­op­po­sition nicht abreißen lassen, sie muss im Dialog mit ihr bleiben und sie auch als Schwung­kraft nutzen, um Politik zu verändern. Aber die Grünen können ihr politi­sches Handeln nicht von sozialen Bewegungen diktieren lassen.

Die These, die Grünen erlebten mit Lützerath ein Hartz-IV-Szenario, ­teilen Sie nicht?

Nicht solange die Grünen politi­scher Motor der Klima­po­litik bleiben und ihre Politik besser erklären, als Gerhard Schröder das bei Hartz IV getan hat. Basta-Politik geht nach hinten los.

 

Das Interview wurde am 29.01.2023 in der Frank­furter Allge­meinen Sonntags­zeitung veröffentlicht.

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