Klimawende braucht Zuversicht
Warum wir die Klimatransformation als Aufbruch in die ökologische Moderne begreifen sollten: Ralf Fücks im Interview der FAS über grünes Wachstum, Ökokapitalismus und die Sackgasse der Militanz.
Herr Fücks, im Kampf um den Braunkohleort Lützerath haben Führungsfiguren der Klimabewegung eine klare Abgrenzung von linksradikalen, gewaltaffinen Gruppen verweigert. Droht nach Lützerath eine Radikalisierung?
Die überwiegende Mehrheit der Klimaaktivisten hat mit Gewalt nichts am Hut. Es gibt aber einen starken Druck, „sich nicht spalten zu lassen“, statt einen klaren Trennungsstrich zu militanten Aktionen zu ziehen. Unter dem Strich hat sich die Bewegung mit Lützerath einen Bärendienst erwiesen. Da war jugendlicher Größenwahn im Spiel – den kenne ich aus meiner eigenen Biografie. Man hat sich verhoben an einem Konflikt, den man nicht gewinnen konnte. Der apokalyptische Duktus – Lützerath bleibt oder die Welt geht unter – wirkt auf viele befremdlich und ist in der Sache ja auch nicht haltbar. Wenn man Widerstand aufbaut, der für die Polizei möglichst schwer zu brechen sein soll, geht man das Risiko einer Eskalation ein. Umso wichtiger ist Klarheit in der Gewaltfrage. Hier führt jede Zweideutigkeit auf eine gefährliche Rutschbahn.
Woher kommt dieser apodiktische Sofortismus in der Klimabewegung?
Wenn man die Klimafrage so intoniert, dass wir nur noch wenige Jahre haben, um den Untergang der Menschheit zu verhindern, hat das eine immanente Tendenz zur Radikalisierung. Wenn es um das Überleben der Gattung geht, dann scheint fast jeder Widerstand legitim. Die Aktivisten der „Letzten Generation“ – und nicht nur sie – beschwören eine existenzialistische Konstellation herauf, in der es um Alles oder Nichts geht. Eine Position der Verzweiflung kann in Resignation oder in Militanz kippen. Deshalb ist es so wichtig, eine klare Grenzlinie zur Gewalt zu ziehen.
Das ist bis heute nicht passiert.
Die allermeisten Aktivisten sehen sich in der Tradition des gewaltfreien Widerstands. So sind sie auch aufgewachsen, viele kommen aus Ökopax-Familien. Es ist eine andere Generation als Ende der 1960er‑, Anfang der 1970er-Jahre, damals gab es eine Freude am Spiel mit der Gewalt. Gewalt ist auch ein Machtgefühl. Davon geht eine starke Anziehungskraft aus, vor allem auf junge Männer. Gewaltbereite Männlichkeit, eine Art linker Machismo, war Kult: der bewaffnete Befreiungskampf der Dritten Welt, Che Guevara, Stadtguerilla. Das ist jetzt anders. Deshalb hoffe ich, dass die Immunkräfte gegen das Abkippen in Gewalt stärker sind. Trotzdem ist es wichtig, dass diejenigen, die innerhalb der Bewegung über Autorität verfügen, eine klare Sprache sprechen.
Der Aachener Polizeipräsident, der den Lützerath-Einsatz geleitet hat, ist Grüner. Wie ist das heute mit den „Bullenschweinen“?
Die Grünen decken in diesem Konflikt die ganze Bandbreite ab. Man kann sagen, sie sind die wahre Volkspartei: Vom Polizeipräsidenten bis zum Widerstandslager. Die Polizei ist heute stärker in der Demokratie verankert. Aber die alten Klischees sind nicht verschwunden. In der Medienarbeit der Lützerath-Aktivisten wurden Gewaltexzesse der Polizei heraufbeschworen, die sich als stark überzeichnet entpuppten – als wollte man die Polizei in die Rolle der Prügelgarde drängen, damit die Legitimation der eigenen Sache wächst.
Welche Antwort kann die Demokratie mit ihren langsamen Verfahren den Aktivisten geben, für die jeder Kompromiss Verrat ist?
Rechtsstaat, Demokratie und Gewaltfreiheit sind Garanten der Zivilität, ein Wert an sich, den es zu verteidigen gilt. Demokratie ist niemals nur Mittel zum Zweck, allenfalls zum Zweck der Freiheit und der Menschenwürde. Sie ist auch keineswegs immer langsam – in Krisenzeiten können Demokratien schnell und entschieden handeln. Angesichts der Klimakrise ist die zentrale Frage, wie die Riesenaufgabe des Umbaus einer modernen Industriegesellschaft gelingen kann. Das muss man als Fortschritts- und Aufbruchsgeschichte erzählen. Viele Aktivisten sind aber gefangen im Katastrophismus und der Negation. Die „Letzte Generation“ verficht die Utopie der Stilllegung, eine Art permanenter Klima-Lockdown. Die Idee, nur das Schrumpfen könne uns retten, ist in der Ökobewegung weit verbreitet.
Degrowth, also gelenkte Wirtschaftsschrumpfung, als Monstranz der Klimabewegung?
Degrowth ist die neue Klimareligion. Dagegen müssen wir ein anderes Konzept setzen: Klimatransformation als Aufbruch zu einer ökologischen Industriegesellschaft, die nicht mehr auf Raubbau an der Natur beruht und Raum gibt für bald zehn Milliarden Menschen mit ihren Bedürfnissen und Ambitionen. Degrowth ist eine Form von Realitätsflucht angesichts der realen Wachstumsdynamiken, mit denen wir im globalen Süden konfrontiert sind. Es geht nicht um den Rückbau der industriellen Moderne, sondern um den Sprung in eine postfossile Zukunft. Das ist keine Fata Morgana. In den fortgeschrittenen Industriegesellschaften hat die Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Naturverbrauch bereits begonnen. Wir verzeichnen in Deutschland einen Rückgang der CO2-Emissionen um knapp 40 Prozent seit 1990 bei steigendem Sozialprodukt – Außenhandelseffekte einberechnet.
Trotzdem wird der Kampf gegen den Kapitalismus mittlerweile von vielen in der Ökobewegung in einem Atemzug mit dem Kampf gegen den Klimawandel genannt. Woher kommt die Begeisterung für alte Ideen, die sich als zutiefst menschenfeindlich erwiesen haben?
Das ist ein Rätsel, das mich auch umtreibt: Woher kommt diese von Generation zu Generation vererbte Begeisterung für Antikapitalismus? Die gängigen Klischees vom Kapitalismus sind vulgär: nackte Profitgier und Bereicherung einer kleinen Elite ohne Rücksicht auf Mensch und Natur. Das perfekte Feindbild. Starke Feindbilder geben starke Identität. Als ich politisch aktiv wurde hieß das: Kapitalismus führt zu Faschismus und Krieg, deshalb weg mit ihm!
War die Wurzel antiamerikanisch?
Die Einstellung zu Amerika schwankte zwischen Faszination und Verdammung. Romantische Kritik der „seelenlosen Moderne“ hat in Deutschland eine lange Tradition. Die Aversion gegen „Konsumterror“ und Marktwirtschaft findet sich links wie rechts, auch in der „konservativen Revolution“ war dieses Denken stark ausgeprägt …
. . . und in der Gründungsgeneration der Grünen.
Auch dort. Im linken Spektrum gibt es eine Renaissance des Ökosozialismus mit staatlicher Lenkung von Produktion und Konsum. Das Gefährliche daran: Man braucht letztlich ein autoritäres Regime, um die radikale Wende zum Weniger zu erzwingen. Freiwillig wird eine massive Absenkung des Lebensstandards nicht funktionieren. Wenn unser Sozialprodukt drastisch schrumpfen soll, hat das ja Konsequenzen für alles: Investitionen, Löhne, soziale Leistungen, Rente, das Bildungssystem. Degrowth untergräbt die Demokratie, ohne das Klima zu retten.
„Freiheit“ ist gerade zur Floskel des Jahres gekürt worden. Welchen Stellenwert haben freiheitliche Ideen bei uns?
Es gibt in Deutschland ein stark ausgeprägtes Kollektivdenken, gepaart mit einem Primat der Gleichheit. Das sitzt tief in der Wolle. In der Klimafrage begründet sich die Einschränkung der Freiheit mit der Verteidigung der Freiheit: Wir verteidigen die Lebenschancen und damit auch die Freiheitsoptionen der künftigen Generationen, in dem wir uns heute radikal einschränken und Freiheiten begrenzen müssen. Es ist kein Zufall, dass Luisa Neubauer – ein Genie symbolischer Aktionen – Hans Jonas’ „Prinzip Verantwortung“ in Lützerath in die Kameras gehalten hat. Die Botschaft lautet: Aus dem Prinzip der kollektiven Verantwortung, die auch die Zukunft einschließt, müssen wir die individuelle Freiheit begrenzen. Freiheit schrumpft auf die Einsicht in die ökologische Notwendigkeit. Die Wissenschaft hat festgestellt, was wir jetzt tun müssen. Und das bestimmt sowohl den Korridor der Politik wie des individuellen Lebens. Das ist eine sehr verführerische Argumentation.
Ist es nicht einfach nur floskelhaft, wenn im Kapitalismus wohlbehütet aufgewachsene Kinder dem Antikapitalismus frönen?
Da spricht das schlechte Gewissen über ein Leben im Wohlstand. Die radikalen Ausläufer der Ökobewegung, die auf die Wende zum Weniger setzten, sind auch eine Bußbewegung nach dem Motto „Wir haben uns gegen die Natur versündigt“. Zwar ist unsere Gesellschaft heute überwiegend hedonistisch eingestellt. Aber darunter gibt es dieses Protestantisch-Ökocalvinistische, die Verdammnis von Luxus und das Gebot tugendhafter Selbstkontrolle. Das verbindet sich dann mit Glaubenssätzen, die auf den berühmten Bericht an den Club of Rome zu den „Grenzen des Wachstums“ zurückgehen. Aus dieser Sicht ist das Wirtschaftswachstum die Ursache des Übels, das wiederum vom Kapitalismus vorangetrieben wird. Deshalb sei Kapitalismus nicht mit Ökologie vereinbar. Das ist das ewige Mantra.
Dagegen setzten Sie: Wachstum und Kapitalismus zur Lösung der Klimakrise?
Grünes Wachstum! Das ist ja gerade das Paradox: Wir brauchen ein Mehr an ökonomischer Dynamik, nicht weniger. Der Klimawandel erzwingt eine gewaltige Investitions- und Innovationsoffensive für den kompletten Umbau des Energiesystems, des industriellen Produktionsapparats und des Verkehrs. Nicht Entschleunigung, sondern beschleunigter Strukturwandel ist angesagt. Die internationale Energieagentur geht davon aus, dass etwa 50 Prozent der Technologie, die wir brauchen, um Klimaneutralität zu erreichen, heute bereits voll verfügbar sind. Die anderen 50 Prozent sind entweder in der Entwicklung oder müssen noch erforscht werden. Zu glauben, dass die Energiewelt von 2050 nur aus Solarpanels und Windrädern besteht, ist naiv.
Unser Schicksal ist technischer Natur?
Technik ist nicht alles. Es geht auch um eine andere Politik und ein neues Verständnis von Wohlstand. Aber des Pudels Kern ist eine neue wissenschaftlich-technische Revolution. Wir können die ökologische Krise der Moderne nur mit den Mitteln der Moderne überwinden.
Und dann machen die anderen Länder mit? Eine Art Geleitzug der Vernunft?
Genau, man muss eine globale Dynamik ökologischer Innovation erzeugen. Deutschland ist nicht der Nabel der Welt. Aber wir haben gute Voraussetzungen, Vorreiter einer umweltfreundlichen Industriegesellschaft zu sein. Wir haben eine gut ausgebaute Wissenschaftslandschaft, eine tolle Ingenieurskultur, ein hohes Umweltbewusstsein in der Gesellschaft. Die ökologische Transformation des Kapitalismus hat längst begonnen. Weltweit arbeiten immer mehr Wissenschaftler an innovativen Problemlösungen, immer mehr Unternehmen investieren enorme Summen in Klimaneutralität. In Europa, den USA und China werden gigantische staatliche Förderprogramme aufgelegt. Irgendwo gibt es dann einen kritischen Punkt, wo es zum Take-off der grünen industriellen Revolution kommt. Für ein zukunftsängstliches Schrumpfgermanien interessiert sich im Rest der Welt kein Mensch.
Die Grünen waren in ihren Ursprüngen eine Partei der Technikskepsis. Wie ist das heute?
Die Grünen waren zu Beginn auf das destruktive Potential des technischen Fortschritts fixiert. Sie sind seither einen weiten Weg gegangen, aber es gibt immer noch Technologien, deren Ablehnung zur grünen DNA gehört. Was die Atomenergie betrifft, würde ich raten: Wir sollten offen bleiben für neue Entwicklungen auch auf diesem Feld. Das gilt auch für die Kernfusion. Bei der Gentechnik hat es diverse Lockerungsversuche gegeben, dann ein Rollback, nun dominiert bei diesem Thema wieder die alte Fundamentalopposition.
Wie gefährlich kann der Lützerath-Konflikt für die Grünen werden?
Ich vermute, dass Lützerath letztlich eine Fußnote bleiben wird. Der Konflikt hat Auseinandersetzungen geschärft, die geführt werden müssen, um den Kurs zu klären. Die Grünen sind jetzt verantwortlich für die gesamte Gesellschaft. Eine Partei mit der Ambition, die politische Führung der Republik zu übernehmen, kann sich nicht von partikularen Bewegungen abhängig machen. Sie darf den Faden zur außerparlamentarischen Klimaopposition nicht abreißen lassen, sie muss im Dialog mit ihr bleiben und sie auch als Schwungkraft nutzen, um Politik zu verändern. Aber die Grünen können ihr politisches Handeln nicht von sozialen Bewegungen diktieren lassen.
Die These, die Grünen erlebten mit Lützerath ein Hartz-IV-Szenario, teilen Sie nicht?
Nicht solange die Grünen politischer Motor der Klimapolitik bleiben und ihre Politik besser erklären, als Gerhard Schröder das bei Hartz IV getan hat. Basta-Politik geht nach hinten los.
Das Interview wurde am 29.01.2023 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung veröffentlicht.
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