Asow­sches Meer: Wer profi­tiert von der Eskalation?

Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine in der Meerenge von Kertsch ist eskaliert. Was sind die Hinter­gründe? Und welche Rolle spielt die Bundes­re­gie­rung? Eine Einschät­zung unseres Gast­au­tors Manuel Sarrazin.

Seit Monaten haben die rus­si­sche Marine und vor allem soge­nannte Spez­nats-Ein­hei­ten des FSB eine fak­ti­sche Blo­ckade der ukrai­ni­schen Häfen im Asow­schen Meer ein­ge­führt. Regel­mä­ßig wurden Schiffe, die die ukrai­ni­schen Häfen ver­las­sen hatten, geen­tert und durch­sucht und will­kür­lich fest­ge­setzt. Die Ukraine hat dar­auf­hin einige Mili­tär­schiffe ins Asow­sche Meer ent­sandt und die Errich­tung eines Marine-Stüt­z­­pun­k­tes ange­kün­digt. Beides spielt aber eher eine sym­bo­li­sche Rolle vor dem Hin­ter­grund einer viel­fa­chen mili­tä­ri­schen Über­macht der rus­si­schen Seite. 

Portrait von Manuel Sarrazin

Manuel Sarrazin ist Bundes­tags­ab­ge­ord­neter von Bündnis 90/​Die Grünen. Er sitzt im Auswär­tigen Ausschuss sowie im EU-Ausschuss.

Begon­nen hat der Kon­flikt mit dem ille­ga­len Bau der Brücke über die Meer­enge von Kertsch, die die illegal annek­tierte Krim mit dem rus­si­schen Fest­land ver­bin­det. Die Durch­fahrts­höhe der Brücke hat bereits den See­ver­kehr zu den ukrai­ni­schen Häfen, vor allem nach Mariu­pol und Ber­d­jansk, ein­ge­schränkt. Die wei­te­ren Maß­nah­men umso mehr. Beide Städte sind vom See­ver­kehr abhän­gig, um die Getreide- und Schwer­indus­trie­pro­dukte der lokalen Firmen auf den Welt­markt zu trans­por­tie­ren. Mariu­pol hat dabei eine beson­dere Bedeu­tung, hier wurde letzt­lich 2014 der rus­si­sche Vor­marsch von orga­ni­sier­ten Selbst­ver­tei­di­gungs­trup­pen des lokalen Stahl­werks gestoppt. Es gibt des­we­gen die Ver­mu­tung, dass Russ­land mit den bis­he­ri­gen Maß­nah­men bewusst dieses Stahl­werk aus­blu­ten lassen und die Stadt poli­tisch desta­bi­li­sie­ren will.

Die russische Blockade verletzt inter­na­tio­nales Recht

Das Asow­sche Meer wurde im Jahr 2003 als gemein­sa­mes Bin­nen­ge­wäs­ser Russ­lands und der Ukraine fest­ge­legt. Damit dürfen Schiffe beider Staaten das gesamte Meer frei nut­zen und die Kon­trolle der See­fahrt wird geteilt aus­ge­führt. Die ukrai­ni­schen Schiffe haben am Sonntag die 12-Meilen-Zone des ukrai­ni­schen Ter­ri­to­ri­ums nie ver­las­sen. Die Behaup­tung einer Grenz­ver­let­zung beruht also auf der rus­si­schen Behaup­tung, dass die Krim rus­si­sches Ter­ri­to­rium sei, was inter­na­tio­na­lem Recht wider­spricht. Die Blo­ckade vom Sonntag wider­spricht also klar sowohl dem bila­te­ra­len Vertrag über das Asow­sche Meer als auch dem See­rechts­über­ein­kom­men der Ver­ein­ten Nationen.

Die Lage ist also klar: Es han­delte sich um eine Macht­de­mons­tra­tion des FSB gegen­über dem Versuch der Ukraine, die eigene Präsenz im Asow­schen Meer auf gerin­gem Niveau aus­zu­bauen und selber Kon­trol­len der See­fahrt durchzu­füh­ren. Für Russ­land ist das Kalkül klar: selbst mit der Auf­he­bung der abso­lu­ten Blo­ckade und der Rück­kehr zur vor­he­ri­gen fak­ti­schen Blo­ckade hat man die Kon­trolle über den Wirt­schafts­ver­kehr im Asow­schen Meer. Das heißt auch, dass man Abspra­chen mit rus­si­schen Kreisen treffen muss, wenn man ökono­misch überleben will. Das stärkt die infor­melle rus­si­sche Posi­tion in den wich­tigs­ten regie­rungs­kon­trol­lier­ten Gebie­ten der Ost­ukraine. Gleich­zei­tig hat man sicher­ge­stellt, dass die Ukraine keine eigene Präsenz im Asow­schen Meer aufbaut. Und ganz neben­bei hat man noch einmal den Anspruch auf die Krim unter­stri­chen, vor allem gegen­über der eigenen Bevölkerung.

276 Abge­ord­ne­ten­stimmen für das Kriegsrecht

Die öffent­li­che Über­le­gung eines Nutzens des Kon­flikts für Prä­si­dent Petro Poro­schenko halte ich für absurd. Tat­säch­lich zeigt der Kon­flikt vor allem die Hilf­lo­sig­keit und Macht­lo­sig­keit der Zen­tral­re­gie­rung im Asow­schen Meer. Vor dem Hin­ter­grund mas­si­ver Hacker­an­griffe zeit­gleich zum Vorfall und des Pro­blems von regel­mä­ßi­gen Bom­ben­dro­hun­gen und anderen Zwi­schen­fäl­len in den letzten Jahren in vielen Regio­nen des Landes, vor allem in Odessa, muss die Regie­rung in Kiew mit einer Eska­la­tion rechnen, ebenso mit einem mög­li­chen Versuch der neuen Füh­rungs­fi­gur der so genann­ten Donez­ker Volks­re­pu­blik, die Lage für sich zu nutzen. Gerade in Odessa ist die Lage dabei beson­ders ange­spannt. Schon seit Langem nutzt Russ­land seine Kon­trolle über Trans­nis­trien dafür, illegal stö­rende Ele­mente in die Ukraine ein­zu­schmug­geln. Zudem haben seit län­ge­rer Zeit Spez­nats-Ein­hei­ten auf ukrai­ni­schem Gebiet befind­li­che Ölplatt­for­men rus­si­scher Unter­neh­men illegal besetzt.

Das ukrai­ni­sche Par­la­ment hat für die Ver­hän­gung des Kriegs­rechts gestimmt. Mit “Ja” stimm­ten 276 Abge­ord­nete. Das Kriegs­recht wird für 30 Tage ver­hängt, aber nicht auf dem gesam­ten Ter­ri­to­rium der Ukraine, sondern nur in den Regio­nen, die an die Rus­si­sche Föde­ra­tion und Trans­nis­trien grenzen. Gleich­zei­tig stimm­ten die Abge­ord­ne­ten für die Fest­le­gung der nächs­ten Prä­si­dent­schafts­wah­len am 31. März 2019.

Ein Armuts­zeugnis für die Bundesregierung

Bei einer Über­le­gung des Cui bono könnte man ebenso argu­men­tie­ren, dass Wla­di­mir Putin auf­grund der Ren­ten­re­form und der wirt­schaft­li­chen Lage im Land so unbe­liebt ist wie nie zuvor in seiner Amts­zeit. Gleich­zei­tig ist die Nach­fol­ge­frage zum Ende seiner Prä­si­dent­schaft wei­ter­hin absolut unge­klärt. Das soge­nannte „Krim-Moment“ im Zutrauen der Russen zu Putin ist ver­flo­gen. Eine kürz­li­che Umfrage ergab auch, dass die Spez­nats-Ein­hei­ten ein außer­ge­wöhn­li­ches Ver­trauen in der rus­si­schen Bevöl­ke­rung genie­ßen. Gerade nach den kra­chen­den Miss­erfol­gen des mili­tä­ri­schen Geheim­diens­tes GRU in letzter Zeit und vor dem Hin­ter­grund des Kon­kur­renz­kamp­fes der Dienste unter­ein­an­der pro­fi­tiert sicher­lich der FSB von dieser aus rus­si­scher Sicht erfolg­rei­chen Aktion.

Für die Bun­des­re­gie­rung ist die Eska­la­tion der Lage aus meiner Sicht ein Armuts­zeug­nis. Sie setzte darauf, den Kon­flikt niedrig zu hängen und eine Lösung im Rahmen von tech­ni­schen see­recht­li­chen Gremien zu suchen. Sie wollte eine Poli­ti­sie­rung ver­mei­den, die eine Behand­lung des Themas im Rahmen der Nor­­man­die-Gesprä­che mit Frank­reich, Russland und der Ukraine bedeu­tet hätte. Damit hat Berlin es ver­passt, von Anfang an der rus­si­schen Seite klipp und klar zu sagen, dass die freie Passage zu den ukrai­ni­schen Häfen aus deut­scher Sicht ein abso­lu­tes Muss ist. Sie hat aus meiner Sicht eher den Ein­druck der Gleich­gül­tig­keit erweckt. Das muss sich jetzt ändern!

Klar ist, der Kon­flikt lässt sich nur lösen, wenn künftig die ukrai­ni­schen Häfen wieder ohne will­kür­li­che und gän­gelnde Kon­trol­len ange­lau­fen werden können.

Textende

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