NARRATIV-CHECK
Was hinter radikalisierenden Botschaften steckt.
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NARRATIV-CHECK
Was hinter radikalisierenden
Botschaften steckt.
Was Esoterik Macht
Beispiel
Anastasia – Rechtsextremismus
im esoterischen Gewand
von Anna Weers
Mit sozialem Engagement und Selbstversorgung im ländlichen Raum treten sie in Handwerkskluft und Trachtenkleid auf und sprechen ein esoterisch-ökologisches Milieu an – aber sie vertreten auch rassistische und antisemitische Ideologien. Ihr Ziel: Eine homogene Gemeinschaft ohne Migration in vermeintlich ursprünglicher, streng patriarchaler Familientradition. Die Rede ist von der Anastasia-Bewegung aus dem Umfeld rechtsextremer Siedler*innen.
Es muss alles geklärt sein vorher. Deswegen ist wiederum alles, Brauchtum, Partnerschaft so wichtig. (…) Und wenn da einer faul ist: weg. So haben die das früher auch gemacht. Was nicht heilbar ist, muss ausgeschnitten werden“. Genau so bedrohlich hört es sich an, wenn der Gründer eines Siedlungsprojektes der Anastasia-Bewegung auf einem Siedler*innen-Seminar spricht.
Nach außen ist aber auch eine andere Seite sichtbar: Für den Ort und die Region inszenieren sich die rechten Siedler*innen als freundliche Kümmer*innen, die am Wochenende zu selbstgebackenem Bio-Kuchen, Handwerker-Markt oder Lehmbau-Workshops einladen. Zwar hat diese selbsterbaute Fassade längst Risse in der Öffentlichkeit bekommen, denn die demokratiefeindlichen Grundätze von Anastasia sind bekannt – und doch finden ihre esoterischen Inhalte weiterhin Verbreitung und Zulauf.
Anastasia-Netzwerke in Deutschland
In Brandenburg und auf Bundesebene stuften die Verfassungsschutzbehörden die Anastasia-Bewegung im Jahr 2023 als rechtsextremen Verdachtsfall ein. Das Innenministerium in Sachsen-Anhalt führt das Anastasia-Siedlerprojekt „Weda Elysia“ mit seinen Projekten, etwa im Harz, als gesichert rechtsextrem. Dabei war 2015 bereits erkennbar, in welche Richtung die Bewegung strebte: So hetzten Anastasia-Anhänger*innen im nordwestlichen Brandenburg bei einer Veranstaltung, zu der das gesamte Dorf eingeladen war, gegen Geflüchtete und staatliche Institutionen und kündigten die Gründung einer Bürgerwehr an.
Das Netzwerk der Anhänger*innen spannt sich weit in die sogenannte Neue Rechte, in völkische Gruppierungen wie den „Sturmvogel“ und die kürzlich verbotene „Vereinigung der Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung“ und bis in das Reichsbürger-Milieu. Doch der Bezug auf die namensgebende zehnbändige Anastasia-Buchreihe des russischen Autors Wladimir Megre mit ihren völkischen und antisemitischen, aber auch esoterisch-spirituellen Inhalten bietet über die rechtsextreme Szene hinaus Anschlussmöglichkeiten – für Sinnsuchende, Verschwörungsgläubige oder Naturschützer*innen.
Von Naturverbundenheit bis Blut-und-Boden-Ideologie
Auf Festivals, Seminaren, „Bautagen“ oder Informationsveranstaltungen zu nichtstaatlichen Schulgründungen treffen sich im deutschsprachigen Raum nicht nur die ideologisch gefestigten Akteur*innen der Anastasia-Bewegung. Personen, die auf der Suche nach alternativen oder nachhaltigen Lebensweisen sind, sich für regionales Wirtschaften oder Gemüsebau interessieren, stoßen auf offene Türen.
Aussteiger*innen berichten von dem großen Gemeinschaftssinn und Zugehörigkeitsgefühl, was sie zunächst trotz zunehmender antisemitischer und homofeindlicher Aussagen in der Bewegung gehalten habe. Völkische Ideen verbreitet zum Beispiel ein Anastasia-Anhänger aus Brandenburg in einem selbstproduzierten Video: „Solide arisch leben. (…) Keinem weh tun, fest verwurzelt – wie die deutsche Eiche. Deswegen, Männer: Baut ein Heim, legt einen Garten an, zeugt einen Sohn und pflanzt eine Eiche.“ Frauen dienen in seinem antifeministischen Weltbild vor allem der Reproduktion und gehören ins Haus an den Herd.
Die in der heutigen Bewegung zur Schau gestellte Naturverbundenheit hat ihre Grundlage in der Anastasia-Romanreihe; hier finden sich genaue Anleitungen zum vermeintlich gesunden Leben und richtigen Gärtnern. Saatgut etwa solle mit Eigenspeichel benetzt werden, um Informationen über die vom Gärtner benötigten Inhaltsstoffe zu erhalten.
Dem Boden des Familienlandsitzes solle man möglichst nah kommen durch tägliches Barfußlaufen. Viele Aspekte erinnern an die Blut-und-Boden-Ideologie des Nationalsozialismus, die insbesondere durch die Landwirtschaft die Verbundenheit des rassistisch definierten „Volkskörpers“ (Blut) mit der „Heimat-Scholle“ (Boden) propagierte. Die Überzeugung von der wichtigen Verbindung zwischen Menschen und dem Boden, auf dem sie leben, ist heute noch extrem anschlussfähig für esoterisch interessierte Leser*innen.
Anastasia-Bücher als ideologische Grundlage
Neben den esoterischen und verschwörungsideologischen Bezügen und Ausflügen des Autors Megre zur Ufologie, zum > Neuheidentum, zur > Theosophie oder zum Integralen Yoga findet sich in der Anastasia-Reihe auch ein Potpourri aus Bibelstellen und Positivbezügen zum Islam. Nicht positiv rezipiert allerdings wird das Judentum.
Die moderne Gesellschaft mit ihren technischen Errungenschaften, die Megre abwertend „Dämonkratie“ nennt, sei von „dunklen Mächten“ bzw. Juden*Jüdinnen eingeführt worden, um die Menschheit zu kontrollieren und „verdummen“ zu lassen. Folgerichtig sei der Ausstieg daraus das Siedeln im Wald und im ländlichen Raum. Und auch die natürliche Lebensart der Romanfigur Anastasia, die zu den „Wedrussen“ gehört, einer von dem rechtsextremen russischen Philosophen Alexander Dugin erfundenen Urkultur.
Das Idealbild vom Familienlandsitz als Verwurzelung „über Generationen“ kann als Gegenentwurf zum Leben und Wandern in der Wüste verstanden werden. Bebilderungen der Anastasia-Bücher zeigen diesen Kontrast und erinnern an die antisemitische Herabsetzung von Jüdinnen*Juden als „Volk ohne Wurzeln“ und Inbegriff der verhassten urbanen Moderne.
Und heute? Die Anastasia-Reihe besitzt immer noch eine große Anziehung auf esoterische und verschwörungsideologische Milieus bis hinein ins rechtsextreme Spektrum. Seit der Pandemie hat sich die Szene vor allem über die sozialen Netzwerke und die Themen Schule und Gesundheit vergrößert. Auch der Systemausstieg durch Selbstversorgung auf dem Familienlandsitz scheint für viele eine zunehmend verheißungsvolle Aussicht. Zu den gängigen Esoterikmessen, bei denen auch die Anastasia-Bücher präsent sind, kam eine Vielzahl teurer Online-Kongresse hinzu. Bei „Kinder der Zukunft“ oder dem „Wahrheitskongress“ treten Verschwörungsgläubige und Anastasia- Anhänger*innen auf und bringen den Ausstieg aus dem System auf eine spirituelle Ebene: „Nicht [wir müssen] aus dem System raus, sondern das System muss aus uns raus“, heißt es dort zum Beispiel.
Anna Weers ist Referentin für Rechtsextremismus in ländlichen Räumen bei der Amadeu Antonio Stiftung. Sie arbeitet schwerpunktmäßig zu völkischen Siedler*innen und der Anastasia-Bewegung.
GLOSSAR
Anastasia – die Bewegung
Der russische Autor Waldimir Megre gründete in den 1990er Jahren eine neureligiöse, rechtsesoterische Bewegung, die ihre Ideologie nach den Anastasia-Büchern richtete. So entstanden in Russland Siedlungen mit mehreren hundert Familien. Die Siedlungen im ländlichen Raum knüpfen an Ideen der Romantik oder Lebensreformbewegung an. Auch im deutschsprachigen Raum verbreitete sich die Buchreihe nach ihrer Übersetzung ab 1999 und ist heute über rechtsesoterische Kreise hinaus bekannt. Die antisemitischen, rassistischen und frauenfeindlichen Ansätze des Romans, genauso wie der reaktionäre Lebens- und Gesellschaftsentwurf, bieten Anschlusspunkte an extrem rechte Ideologien. Die Buchreihe gab auch der rechtsextremen Anastasia-Bewegung in Deutschland ihren Namen, zu der Siedlungen an etwa 20 Standorten zählen.
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Anastasia – die Buchreihe
Die zehnbändige fiktive Romanreihe „Anastasia – Die klingenden Zedern Russlands“ des russischen Autors Wladimir Nikolajewitsch Megre ist zwischen 1996 und 2010 erschienen. Sie handelt von der jungen Frau Anastasia, die abseits der Zivilisation in der russischen Taiga allein im Wald lebt, in idealtypischer geistiger Verbindung mit Natur, Tieren und Kosmos. Das urbane Leben wird mit diesem Ideal des naturnahen, spirituellen Daseins kontrastiert. Ebenso finden sich regressive Anleitungen zum Geschlechterverhältnis, Gesundheit oder Kindererziehung. „Anastasia“ verbreitet nicht nur einen reaktionären Lebens- und Gesellschaftsentwurf, sondern auch antisemitische, rassistische und frauenfeindliche Ansätze, die an rechtsextreme Ideologien anschließen..
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Neuheidentum (auch Neopaganismus)
ist ein Sammelbegriff für verschiedene Bewegungen, die sich ab dem 19. Jahrhundert meist auf vorchristliche Naturreligionen zurückbesinnen und diese teilweise neu interpretieren. Zentral dabei sind die Wahrung, Förderung und Verbreitung nicht-christlichen Glaubens und Brauchtums, häufig begleitet von esoterisch-okkulten Praktiken wie Runen-Orakeln, Naturmagie oder Astrologie. Neuheidnische Gemeinschaften können politisch liberal eingestellt sein und sich für progressive Themen wie Feminismus oder Umweltschutz einsetzen. Jedoch zeichnen sich bestimmte Bewegungen wie die „Artgemeinschaft“ immer wieder durch ihre > antimoderne bis rechtsextreme Orientierung und manifesten Rassismus und Antisemitismus aus.
Theosophische Gesellschaft
Die Theosophische Gesellschaft wurde 1875 von Helena P. Blavatsky (1831–1891) mitbegründet. Ihre okkulte anglo-indische Theosophie gilt als einflussreichste neuzeitliche Esoterikbewegung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts und ist von der gleichnamigen mystisch-religiösen Theosophie zu unterscheiden. Blavatskys esoterische „Geheimlehre“ ist von spiritistischem Denken sowie hinduistischen und buddhistischen Vorstellungen beeinflusst. Sie vermittelt eine übersinnlich erfahrbare Weltanschauung, die die Essenz aller großen Religionen und Philosophien in sich vereine. Elemente, wie die Vorstellung kosmischer „Menschenrassen“ (Wurzelrassen) wurden von anderen Strömungen wie > Anthroposophie und > Ariosophie übernommen und weiterentwickelt.