NARRATIV-CHECK
Was hinter radikalisierenden Botschaften steckt.
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NARRATIV-CHECK
Was hinter radikalisierenden
Botschaften steckt.
Parallelwelten
Hintergrund
Alt-Tech-Plattformen: Rückzugsräume
in rechtsextreme Parallelwelten
von Maik Fielitz
> Alt-Tech-Plattformen sind digitale Räume, in denen Rechtsextreme abseits eines digitalen Mainstreams diskriminierende und antidemokratische Inhalte verbreiten. Insbesondere Nutzer*innen, die auf anderen Plattformen wegen Regelverstößen gesperrt wurden, versprechen sich von ihnen einen Austausch ohne Moderation und Regulation. In Deutschland aber setzten sich Odysee, Gettr und Co. bisher nicht durch.
Die Art und Weise, wie digitale Plattformen geführt werden, hat einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Gestaltung demokratischer Öffentlichkeit. Das zeigen nicht nur die regressiven Entwicklungen in der Moderation auf Twitter / X und der chinesische Zugriff auf Tiktok, sondern auch die Debatten um einen sogenannten Techlash, der das schwindende Vertrauen von User*innen in die Vorstellung ausdrückt, dass Plattformen Lösungen für Probleme finden, die sie selbst durch ihre Interaktionsangebote mit schufen.
Je mächtiger digitale Plattformen in den vergangenen Jahren geworden sind, desto mehr regten sich von demokratischer wie antidemokratischer Seite Zweifel und Protest gegen deren Vorherrschaft. Viele Menschen suchten nach alternativen Wegen eines Austausches und kehrten dem auf Werbeeinnahmen beruhenden Geschäftsmodell dominierender Social-Media-Konzerne den Rücken zu. Dies war die Stunde von „Alternativplattformen“.
„Gegen Zensur“ und „für freie Rede“ – das sind zwei Claims, mit denen sich Menschen aus dem digitalen Mainstream verabschieden, um ihre „Wahrheiten“ ungefiltert in digitalen Parallelwelten zu teilen. In rechtsextremen Milieus bildete sich seit 2016 eine Technologie-Bewegung – Alt-Tech –, die Plattformen für den Austausch diskriminierender und rechtsextremer Inhalte bereitstellen, welche aus dem digitalen Mainstream verbannt wurden. Diese Plattformen warben mit einem Modell absoluter Redefreiheit.
Mit Gab, Parler, Gettr, Truth Social, Odysee und Bitchute entstand ein vielfältiges Ökosystem von für Hassinhalte offenen „Alternativplattformen“, die vorgaben, im harten Gegensatz zu den als „Zensoren“ beschriebenen Mainstream-Plattformen zu operieren. Als Orte des freien Austauschs würden sie mit einer linken Agenda brechen und das „Canceln“ von angeblich konservativen Stimmen beenden. Insbesondere in Deutschland zeigten sich für Alt-Tech-Plattformen jedoch schnell die Grenzen des Wachstums und der Autonomie.
Auch „alternative“ Plattformen regulieren
Die Alt-Tech-Plattformen waren für rechtsextreme Aktivist*innen ein sicherer Ort, um sich untereinander auszutauschen und Netzwerke aufzubauen oder diese aufrechtzuerhalten. Während in den USA die Plattformen seit dem rechtsextremen Marsch in Charlottesville 2017 (und der darauffolgenden Verbannung vieler Accounts) eine gewisse Lücke füllten, konnte sich im deutschsprachigen Kontext bis dato nur der Messenger-Dienst Telegram als Ausweichplattform etablieren, insbesondere für diejenigen, die auf großen Plattformen gesperrt worden waren ( > Deplatforming).
Die Alt-Tech versprachen ihren User*innen, Inhalte, die sie digital nicht (mehr) teilen durften, ohne moderative Eingriffe zu veröffentlichen. Dem Versprechen eines „Free-Speech-Absolutismus“ stand allerdings von Beginn an die Wahrung des eigenen Images entgegen. Denn während die Stimmung für rechtsextreme und neonazistische Aktivist*innen kaum toxisch genug sein kann, um Wirkung zu erzielen, stellen sich prominente User*innen mit politischen Ambitionen breiter auf.
Auch um in der Öffentlichkeit nicht als Extremist*innen stigmatisiert zu werden, müssen sie sich von fragwürdigen oder unangemessenen Inhalten distanzieren. Dies hat Auswirkungen auf das Moderationsverhalten der Plattformbetreibenden, die auf reichweitenstarke Accounts angewiesen sind, um nicht an Bedeutung einzubüßen. Schließlich wollen auch „Alternativplattformen“ wachsen, was nur möglich ist, wenn Regeln aufgestellt und transparent durchgesetzt werden.
Diese Regelsetzung von „Alternativplattformen“ betrifft stärker potenziell strafrechtliche Inhalte, für die Plattformbetreibende haftbar gemacht werden können. Keine Mainstream- oder „Alternativplattform“ agiert also ohne Einfluss von außen. Vielmehr sind sie angehalten, verschiedene Interessen auszugleichen und konkurrieren gleichzeitig mit anderen Plattformen um Einnahmen, User*innenzahlen und Aufmerksamkeit.
Der Twitter/X‑Effekt und der sinkende Stern von „Alternativplattformen“
Rechte „Alternativplattformen“ haben in den vergangenen Jahren eine enorme Professionalisierung erreicht, ohne allerdings mit markanten Netzwerkeffekten dafür belohnt worden zu sein. Dies liegt zu einem großen Teil an dem stark umkämpften Terrain eines lautstarken, aber zahlenmäßig weitgehend überschaubaren Milieus. Um hier zu bestehen, laden Plattformen wie Gettr neue (vermeintlich prominente) User*innen mit dem Versprechen ein, ihre Inhalte zu entlohnen.
Zugleich kommt Twitter / X unter Musk mit der Reaktivierung ehemals gesperrter Accounts eine neue Bedeutung für das rechtsalternative Spektrum zu. Das Versprechen, Inhalte weniger zu moderieren, führt dazu, dass Nutzer*innen demokratiefeindliche Parolen wieder stärker im Twitter/X-Mainstream teilen. Aus diesem Umstand ergibt sich die Frage, welche Rolle „Alternativplattformen“ noch spielen, wenn sich die Gründe für den Plattformwechsel zunehmend selbst auflösen.
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Maik Fielitz ist Co-Leiter der Forschungsstelle der Bundesarbeitsgemeinschaft Gegen Hass im Netz. Die BAG organisiert Austausch und Wissenstransfer zwischen Zivilgesellschaft und Wissenschaft rund um Hate Speech im Internet. Die Forschungsstelle wertet Online-Trends zu demokratiefeindlichen Diskursen aus.
GLOSSAR
Alt-Tech
Unter Alt-Tech werden rechte „alternative“ Plattformen, Apps und Diensteanbieter zusammengefasst, in denen es kaum Gegenrede zu menschenverachtenden Positionen gibt. Zu ihnen zählen Plattformen wie Gab, Parler, Gettr, Truth Social, Odysee und Bitchute sowie anonyme Foren wie 4chan oder 8kun, über die sich Rechtsextreme austauschen. Dass Betreiber kaum gegen Hassinhalte vorgehen, macht sie zu Ausweichplattformen für anderswo gesperrte Nutzer und Nutzerinnen.
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Deplatforming
bezeichnet die Strategie zur dauerhaften Sperrung einzelner Accounts auf Social-Media-Plattformen. Personen oder Gruppen betrifft dies meist dann, wenn sie gegen geltende Richtlinien der Betreiber verstoßen und etwa Hassbotschaften oder menschenfeindliche Ideologien verbreiten. Ziel des Deplatformings ist es, Profile in ihrer Reichweite, Aufmerksamkeit und Vernetzung zu beschränken. Dabei ist Deplatforming nicht immer nachhaltig, da neue Profile erstellt oder Inhalte weiterhin auf anderen Plattformen (> Alt-Tech) verbreitet werden können.
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