NARRATIV-CHECK

Was hinter radika­li­sie­renden Botschaften steckt.

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NARRATIV-CHECK

Was hinter radikalisierenden
Botschaften steckt.

Popkultur von rechts

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Jugend­kultur
Rechte Welten in den 1990er-Jahren
und ihre Folgen

von Gabriele Rohmann

Popkultur von rechts
Jugend­kultur
Rechte Welten in
den 1990er-Jahren
und ihre Folgen

von Gabriele Rohmann

Geht es heute um gewalt­be­reite rechts­extreme Jugend­liche, wird häufig an die dominante Straßen­kultur der > „Baseball­schlä­ger­jahre“ in den 1990er-Jahren erinnert. Aber was geschah in dieser Zeit? Extrem rechte Jugend­kul­turen gab es in der BRD und in der DDR. Der Fall der Mauer verschaffte ihnen Auftrieb. Verschiedene der damaligen Erschei­nungs-formen wie Rechtsrock oder Organi­sa­tions- und Aktions­formen finden sich auch im gegen­wär­tigen Rechtsextremismus. 

Bomber­jacke, Domestos-Jeans, Sprin­ger­stiefel – mit diesen Kleidungs­stücken plus Baseball­schläger verbinden viele Menschen auch heute noch gewalt­be­reite rechts­extreme Jugend­gruppen, die in den 1990er-Jahren das Bild ganzer Orts- und Stadt­teile, vor allem in den neuen Bundes­ländern, dominierten. Vom „antifaschis­tischen Schutzwall“ der DDR schien nach dem Fall der Mauer im Jahr 1989 nicht viel übrig zu sein. Ein wachsender offen­kundiger „moderner“ Rechts­extre­mismus wurde auf einmal in Rostock-Lichten­hagen, Hoyers­werda, Solingen und Mölln sicht- und spürbar. Dabei haben rechts­extreme Haltungen, Antise­mi­tismus und Rassismus im Westen wie im Osten eine lange Tradition.

Rechts­extreme Jugend in der BRD

In der BRD wurde im Jahr 1952 die Wiking-Jugend gegründet. In dieser NS-Jugend­or­ga­ni­sation radika­li­sierten sich über Jahrzehnte auch Menschen, die ab den 1980er-Jahren zu wichtigen Akteuren rechts­extremer Szenen und Kulturen im Westen und später auch im Osten geworden sind. Darunter waren Neonazis wie Frank Rennicke, Michael Kühnen und Thorsten Heise. Die Wiking-Jugend trat bis zu ihrem Verbot 1994 tradi­tionell völkisch-rassis­tisch und antise­mi­tisch auf. Ihr Stil mit Frisuren ähnlich der Hitler-Jugend, uniformem Auf­treten, Lager­feu­er­ro­mantik und NS-Lieder­abenden sprach aber nur eine sehr begrenzte Zahl von Jugend­lichen an. Jugend­lichen, die auf Skinheads, Metal, Punk oder Fußball standen, schien sie eher aus der Zeit gefallen; sie wollten keine Partei­sol­daten sein, gleich­zeitig waren nicht wenige offen für rechte Ideologien. 

Rechte Jugend­kul­turen in der DDR

Ian Stuart Donaldson, Sänger der briti­schen Rechtsrock-Band Skrew­driver, hatte dies bereits in den 1980er-Jahren erkannt. Er selbst hatte sich vom nicht-rechten Skinhead zu einem führenden Nazi-Skin entwi­ckelt und 1987 das rechts­extreme Musik-Netzwerk Blood and Honour gegründet. In diesem vernetzten sich Rechts­rocker aus verschie­denen Ländern und organi­sierten in den 1990er-Jahren auch im Osten Deutsch­lands zahlreiche Konzerte und Festivals mit rechter Skin‑, Punk‑, Metal- und Oi-Musik. 

Rechte Jugend­gruppen hatte es, wenn auch deutlich weniger als in der BRD, schon in der DDR gegeben: rechte Skinheads, rechte Metaller, rechte Fußballfans, Kamerad­schaften – und von ihnen ausgehend auch Übergriffe auf Punks, Grufties, jüdische Menschen und Vertragsarbeiter:innen aus dem Ausland. Rechte Styles und Codes waren auch hier schon einigen bekannt. Neue Angebote stießen daher, aber nicht deswegen allein, auf eine große Nachfrage. 

Die 1990er: neue Räume und Styles

Selbst­ver­waltete Jugend­zentren waren in den 1990er-Jahren von staat­licher Seite zuhauf geschlossen, Jugend­liche an vielen Orten sich selbst überlassen worden. Während in den größeren Städten vor allem privi­le­gierte Jugend­liche aus Westdeutschland mit Raves in leer stehenden Gebäuden neue Clubkul­turen feierten, entwi­ckelte sich in den schrump­fenden ländlichen Regionen im Osten Lange­weile und Frust über den Niedergang der DDR und dessen gravie­rende Folgen. 

Als die Jugend­lichen an Bushal­te­stellen, Tankstellen und Bahnhöfen mit ihren Sauf- und Drogen­ge­lagen samt dröhnendem Rechtsrock immer mehr störten, brachte man sie anders unter. Über Angebote und Ansätze der akzep­tie­renden Jugend­arbeit bot man ihnen, staatlich gefördert, Räume und Aktivi­täten an, in deren Rahmen sie vermeintlich kontrol­liert und teils profes­sionell, teils fragwürdig begleitet, rechts­extreme Kultur und Musik zwar leben und gestalten konnten, aber auch kritisch hinter­fragen sollten. 

Strategen u. a. der rechts­extremen Klein­par­teien Freiheit­liche Deutsche Arbei­ter­partei (FAP), Natio­nal­de­mo­kra­tische Partei Deutsch­lands (NPD), Deutsche Alter­native (DA) und der Natio­na­lis­ti­schen Front (NF) nutzten die Chance und organi­sierten und vernetzten in diesen Räumen rechts­ori­en­tierte bis offen neona­zis­tische Angebote und Akteure und rekru­tierten Jugend­liche für ihre Zwecke. Die Polizei schritt wegen unklarer Rechts­lagen oder Zustän­dig­keiten, mancherorts auch mangelnder demokra­ti­scher Haltung, nicht immer ein. 

Zu Beginn der 1990er-Jahre waren diese Events vor allem mit rechtem Skinhead-Lifestyle verbunden. Später, nach Razzien und Verboten einiger Bands, Tonträger, Fanzines, Parteien und Organi­sa­tionen wurde die Angebots­pa­lette um Lieder­macher, Balladen, rechte Cover­ver­sionen von Schlagern und Kinder­liedern, NS-Black-Metal, NS-Hardcore, rechten Gabber und rechten Schranz (beides Techno-Stilrich­tungen) erweitert – mit teilweise weniger offen­kun­digen und damit weniger verbots­träch­tigen Texten, Marken und Symbolen. Mit menschen­feind­lichen Gassen­hauern versuchte die rechte Szene zudem an den ab Mitte der 1990er-Jahre aufkom­menden allge­meinen Retro­trend der Schla­ger­partys anzuknüpfen und massen­taug­licher zu werden. 

Dabei konkur­rierten rechte Gruppen auch mitein­ander: Freie Kamerad­schaften lehnten lange Zeit rechte Parteien ab, Blood-and-Honour-Aktivisten stritten mit den Hammerskins um Deutungs­ho­heiten über Rechtsrock, rechte Skinhead­ge­schichte und Aktions­formen. Vor allem die NPD versuchte, diese Gruppen strate­gisch zu vereinen. Bereits 1991 hatte ihr Hochschulbund NHB ein Strate­gie­papier zum Konzept der > „national befreiten Zonen“ als Freiräume für Rechte mit Präsenz- und Sankti­ons­hoheit, als Aufmarsch- und Rückzugsorte mit Zielge­bieten im Osten Deutsch­lands vorgelegt. 1998 stellte die NPD ihr Drei-Säulen-Konzept („Kampf um die Straße“, „Kampf um die Köpfe“, „Kampf um die Wähler“, 2004 ergänzt um „Kampf um den organi­sierten Willen“) vor, in welchem sie ausdrücklich auch rechte Skinheads und freie Kamerad­schaften als wichtige Akteure auf der Straße mit einbezog. 

Dies passte zu anderen Vorreitern der > Neuen Rechten wie dem 1998/​99 gegrün­deten Netzwerk Identität durch Musik aus Baden-Württemberg, das sich wiederum das Netzwerk RIF – Rock Identi­taire Française zum Vorbild genommen hatte. Dieses wollte Rechtsrock mit Hardcore, Gothic und Lieder­ma­chern im Sinne einer attrak­tiven jugend­kul­tu­rellen Bewegung von rechts vereinen. 

Der kleine Einblick zeigt, welche tragende Rolle die 1990er-Jahre in der Entwicklung des modernen Rechts­extre­mismus hin zu rechten Welten mit einer Fülle an unter­schied­lichen Aktions­formen, Codes, Musik­genres und Styles hatten. Dazu zählen rechter Rock, Punk, Hardcore, Metal, Hip-Hop oder Techno genauso wie eindeutige, verein­nahmte oder subtilere Modestile und Marken.

 

Gabriele Rohmann ist Sozial­wis­sen­schaft­lerin und Journa­listin, Mitgrün­derin und Co-Leiterin des Berliner Archiv der Jugend­kul­turen e. V. (jugendkulturen.de).

Archiv der Jugend­kul­turen e.V.

Das Archiv der Jugend­kul­turen e.V. ist ein Kompe­tenz­zentrum für Jugend‑, Pop- und Subkul­turen. Es sammelt, erforscht, publi­ziert und vermittelt Kennt­nisse über jugend­liche Lebens­welten. Das Archiv bietet europaweit Ausstel­lungen, Vorträge, Workshops, Bildungs­ma­te­rialien und Projekte für Jugend­liche und Erwachsene zu Jugend­kul­turen, Diskri­mi­nie­rungen, Medien­kom­petenz, Demokra­tie­för­derung, Gewalt- und Extre­mis­mus­prä­vention an. Es berät Insti­tu­tionen, Verbände und Behörden insbe­sondere zu Jugend­kul­turen im Kontext von demokra­tie­för­dernden und demokra­tie­ge­fähr­denden Phäno­menen und Entwicklungen.
www.jugendkulturen.de
www.stand-up-participate.de
www.culture-on-the-road.de
www.der-z-weite-blick.de

Weiter­füh­rende Literatur

• Farin, Klaus; Flad, Henning (2001): Reaktionäre Rebellen. Rechts­extreme Musik in Deutschland, in: Archiv der Jugend­kul­turen e.V. (Hrsg.): Reaktionäre Rebellen. Rechts­extreme Musik in Deutschland, Verlag Thomas Tilsner, S. 9–98.

• Langebach, Martin; Raabe, Jan (2013): Rechtsrock Made in Thüringen, Landes­zen­trale für politische Bildung Thüringen.

• Rohmann, Gabriele (1999): Spaßkultur im Wider­spruch. Skinheads in Berlin, Verlag Thomas Tilsner.

• Schulze, Christoph (2017): Etiket­ten­schwindel. Die Autonomen Natio­na­listen zwischen Pop und Antimo­derne, Tectum Verlag.

• Schulze, Christoph (2019): Rechtsrock in Brandenburg. Bands – Konzerte – Netzwerke – Ereig­nisse, in: Gideon Botsch, Jan Raabe & Christoph Schulze (Hrsg.): Rechtsrock. Aufstieg und Wandel neona­zis­ti­scher Jugend­kul­turen am Beispiel Branden­burgs, be.bra wissen­schaft verlag, S. 45–142.

• Schödel, Helmut (1999): Die Sehnsucht nach der Schande. Zu Hause bei den Neonazis, Wilhelm Goldmann Verlag.

GLOSSAR

Baseball­schlä­ger­jahre

Unter dem Hashtag „Baseball­schlae­ger­jahre“ schil­derten 2019 tausende Menschen auf Twitter ihre Erfah­rungen mit rechts­extremer Gewalt in den 1990er- und 2000er-Jahren in (Ost-)Deutschland. Zeitzeugen und ‑zeuginnen sowie Betroffene beschrieben, wie Neonazis und junge Rechts­extreme sie drang­sa­lierten, wie rassis­tische, homophobe, antise­mi­tische sowie gegen Linke gerichtete Gewalt sowie deren Dominanz auf der Straße und in Kultur­räumen vielfach akzep­tiert wurden.
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Kultu­relle Hegemonie 

ist ein Begriff aus dem Werk des italie­ni­schen Marxisten Antonio Gramsci. Er bezeichnet damit in der Gesell­schaft zustim­mungs­fähige Ideen. Die > Neue Rechte eignet sich Gramscis damit verbundene Strategie an und sieht, solange sie keine Massen­be­wegung hinter sich hat, die Erlangung der „Diskurs­hoheit“ als takti­sches Ziel. Konkret geht es um die Veran­kerung eigener Positionen in öffent­lichen Debatten – zum Beispiel durch publi­zis­tische Aktivitäten.
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National befreite Zonen

ist ein Kampf­be­griff von Rechts­extre­misten und beschreibt ein Strate­gie­konzept des deutschen Rechts­extre­mismus. Gemeint sind „No-go-Areas“ oder „Angst­zonen“, in denen Rechts­extreme das Sagen haben und als Feind markierte Menschen nicht geduldet werden. Der Ausdruck „national befreite Zonen“ stammt aus einem Konzept­papier aus dem Umfeld der NPD.
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Neue Rechte

bezeichnet eine Strömung zur Erneuerung des Rechts­extre­mismus in Abgrenzung zur am Natio­nal­so­zia­lismus orien­tierten „alten“ Rechten. Ausgangs­punkt ist die Nouvelle Droite um den Philo­sophen Alain de Benoist. Ideolo­gische Elemente sind die Ablehnung von Indivi­dua­lismus, Libera­lismus, Parla­men­ta­rismus und gesell­schaft­licher Vielfalt sowie Vorstel­lungen eines homogenen, hierar­chi­schen und autori­tären Staats. Die Neue Rechte bezieht sich u. a. auf autoritäre Denker der „Konser­va­tiven Revolution“ wie des Faschismus, um eigene Positionen im öffent­lichen Diskurs zu verankern (> „Kultu­relle Hegemonie“)..