Neuer Kanzler, neue Israel-Politik?

Mit der Wahl von Friedrich Merz könnte Deutschland einen anderen Politikkurs gegenüber Israel fahren. Oder auch nicht. In jedem Fall wird es für den neuen Kanzler kein leichtes Unterfangen sein, sich zu Israel zu positionieren, nicht nur weil der Internationale Strafgerichtshof einen Haftbefehl gegen Netanjahu verhängt hat, sondern auch, weil Israel eine Allianz mit Trump verbindet. Für deutsche Juden könnte ein Kanzler Merz möglicherweise aber von Vorteil sein, schreibt unser Kolumnist Richard C. Schneider.
Demütigung Selenskyjs sendet klare Botschaft
Die Bilder aus dem Weißen Haus haben sich tief im kollektiven Bewusstsein der Welt eingebrannt. Die Art und Weise, wie US-Vizepräsident J.D. Vance und Präsident Donald Trump den Präsidenten der Ukraine, Wolodymir Selenskij, vor laufenden Kameras demütigten, war einzigartig in der Geschichte der Diplomatie. Was da geschah war offensichtlich: Vance und Trump machten ihrem angeblichen Alliierten klar, dass er keiner mehr sei, wenn er nicht zu hundert Prozent das machen werde, was sie wollten. Punkt. America first, nicht wahr?
Inwiefern sich Israels Premier Benjamin Netanyahu diese Bilder angeschaut hat, vor allem, was er sich dabei gedacht hat, ist nicht kolportiert. Aber es dürfte ihm längst klar sein, dass er mit Trump niemals so Schlitten fahren kann wie er dies noch mit dem demokratischen Präsidenten Joe Biden getan hatte. Das scheint ja auch nicht nötig. „Bibi“ und Trump sind Brüder im Geiste, sie scheinen politisch auf einer Wellenlänge zu liegen, bislang zumindest. Trump gibt Israel alles, was es will. Waffenlieferungen, die die Biden-Administration zurückgehalten hatte, wie etwa 2000 kg Bomben, sind inzwischen in Israel angekommen. Trump will Gaza entvölkern und eine Riviera daraus machen. Auch wenn der Plan absurd und wohl kaum umgesetzt wird, zeigt er doch, dass Trump sich nichts aus den Palästinensern macht. Was den rechten und ultrarechten Kräften in der aktuellen israelischen Regierung entgegenkommen dürfte.
Netanyahus schwierige Allianzen
Israel hat die Zeichen der Zeit schnell erkannt. So stimmte man mit den USA in der UNO erst kürzlich gegen eine Resolution, die die territoriale Integrität der Ukraine bekräftigen sollte. Die Resolution sah auch eine Verurteilung der russischen Invasion in der Ukraine vor. 18 Ländern stimmten dagegen, darunter auch Ungarn, Belarus, Nordkorea. Und eben Israel.
Ist Israel damit in die Gruppe der „rogue-states“ angekommen? Sicher ist, dass Jerusalem sehr genau verstanden hat, dass es das Lied desjenigen pfeifen muss, der „anschafft“. Und das ist nun mal Trump. Wobei die EU auch nicht ganz unwichtig ist und im Wirtschafts- und Wissenschaftsbereich für Israel von größter Bedeutung ist. Dennoch hat Netanyahu kaum eine Wahl. Er hat einen „Pakt mit dem Teufel“ geschlossen und kommt aus dem nicht mehr heraus. Was das für Israel bedeuten könnte, wenn die Sicherheitsinteressen des jüdischen Staates mit denen der USA kollidieren würden, ist überhaupt nicht absehbar. Muss dann Miriam Adelson im Oval Office vorstellig werden? Die israelisch-amerikanische Milliardärin und Witwe des Casino-Magnaten Sheldon Adelson hat Trump im Wahlkampf mit bedeutenden Summen unterstützt. Könnte sie dann vermitteln? Eine absurde Vorstellung, dass eine Donor-Figur plötzlich israelische Außenpolitik und Diplomatie betreiben würde, doch im Washington von heute ist alles denkbar.
Deutsche Dilemmata
Aber zurück zur aktuellen Situation. Die stellt Deutschland vor Dilemmata angesichts der Allianz Israels mit Donald Trump. Dass die Ampelregierung im Laufe des Gaza-Krieges Israels Vorgehen kritisierte, dass Annalena Baerbock in Israel mit dem erhobenen moralischen Zeigefinger Politik und dabei keinen nennenswerten Eindruck auf Netanyahu machte, dass Waffenlieferungen an Israel aus Deutschland auf wundersame Weise plötzlich länger brauchten als sonst – all das war für die israelische Regierung ein deutliches Zeichen, dass mit dieser deutschen Regierung, in der vor allem Linken das Sagen hatten, nur bedingt gut zusammenzuarbeiten möglich war.
Hoffnung in den neuen Kanzler
Natürlich hoffte man deswegen, dass die Union die Wahlen gewinnen würde, dass Friedrich Merz neuer deutscher Kanzler wird. Merz hatte sich im Wahlkampf immer wieder deutlich auf die Seite Israels gestellt, immer wieder ebenso deutlich den progressiv-woken, anti-israelischen, antisemitischen Aktivismus an deutschen Unis und auf den Straßen verurteilt. Als Konservativer war klar, dass Merz auch in der Nahost-Politik anders agieren würde als die letzte Regierung, vor allem in Sachen islamistischen Terrorismus. In Israel und in Deutschland. Wie genau diese Politik aussehen wird, ist allerdings nicht definiert, noch ist Friedrich Merz nicht in der Regierungsverantwortung und ob er dann schließlich einen scharf pro-israelischen Kurs fahren wird, wie er dies bislang verbal getan hat, bleibt abzuwarten. Um ein deutliches Zeichen zu setzen, hat Merz allerdings gleich nach seinem Wahlsieg angekündigt, dass er Benjamin Netanyahu nach Deutschland einladen möchte und einen Weg finden werde, ihn auf deutschem Boden nicht zu verhaften. Denn als Mitgliedstaat beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wäre die deutsche Regierung dazu eigentlich verpflichtet. Seit letztem Jahr gibt es einen internationalen Haftbefehl gegen Netanyahu (und Ex-Verteidigungsminister Yoav Gallant) wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen.
Juristisch-moralischer Schlingerkurs
Merz hätte eine solche Ansage nicht machen müssen, aber es war ihm wohl wichtig, ein Zeichen zu setzen. Das aber könnte für ihn noch Folgen haben. Da im Augenblick nicht abzusehen ist, wie sich die Situation in Gaza weiterentwickelt, könnte die neue Bundesregierung, in der ja nun auch die SPD sitzen wird, in einen juristisch-moralischen Schlingerkurs gegenüber Israel geraten. Dass allerdings Friedrich Merz auch jemand ist, der in einem Moment der Erregung auch mal ein falsches Wort benutzt, hat sich bei seinem Wahlkampfauftritt in München gezeigt („linke Spinner“). Da wütete er gegen einen antisemitischen Mob, der Palästinenserflaggen geschwenkt und israelische Fahnen verbrannt hatte. Wo sei der „Aufstand der Anständigen“ gewesen, fragte Merz. Dabei bezeichnete er die Flagge des Staates Israel „in a slip of tongue“ zunächst als „Judenfahne“, ein Begriff mit judenverachtender Konnotation. Deswegen ist Friedrich Merz sicher kein Antisemit, aber es ist ein leiser Hinweis darauf, dass die Beziehung zu Juden für ihn vielleicht nicht unbedingt selbstverständlich und normal ist.
Insofern wird die Diskussion über die Loyalität zum jüdischen Staat, die so zutiefst deutsche Diskussion um die „Staatsräson“ im Laufe der neuen Kanzlerschaft sicher wieder aufploppen, je nachdem wie der rechtsnationale und populistische Premier Netanyahu seine Politik zusammen mit Donald Trump weiterführen wird. Denn Merz könnte in seinem sehr klaren Bekenntnis zu den Werten des internationalen Rechts, wenn es um die Ukraine geht, in Sachen Nahost in die Bredouille kommen.
Für Juden in Deutschland zumindest könnte die Kanzlerschaft von Friedrich Merz von Vorteil sein. Die letzte Regierung hat in Sachen Antisemitismus im eigenen Land viel geredet, viel verurteilt, viel „nie wieder ist jetzt“ gerufen. Merz könnte dem möglicherweise Taten folgen lassen, die Juden tatsächlich umfassender schützen, die von vielen in Kollektivhaftung für die Lage in Nahost genommen werden. Das wäre dringend nötig, die Lage ist mehr als prekär. Mal sehen, was da so kommt.
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