Plädoyer für einen neuen grünen Realismus
Die Schönwetterperiode ist vorbei – Durchregieren ist abgesagt. Grüne müssen aus der Minderheit um Mehrheiten für ihre Politik kämpfen. Ein Zwischenruf von Ralf Fücks zu 40 Jahren Grüne im Bundestag.
Die 40-Jahr-Feier zum Einzug der Grünen in den Bundestag hätte fröhlicher ausfallen können. Sie war getrübt durch sinkende Umfragewerte, das nervige Gezerre um das Gebäudeenergiegesetz und den internen Konflikt um den europäischen Asylkompromiss. Aber das sind nur Oberflächenphänomene.
Der Zeitgeist bläht nicht mehr das grüne Segel
Die aktuelle grüne Holperstrecke hat viel damit zu tun, dass die Stimmung im Land und in Europa am Kippen ist. Grüne Hegemonie in bestimmten Milieus ist weit von politischer Mehrheitsfähigkeit entfernt; der Zeitgeist bläht nicht mehr das grüne Segel.
Das gilt nicht nur für die Klimapolitik, bei der die Widerstände wachsen, wenn es ans Eingemachte geht. Forcierte Zeitpläne und ordnungspolitische Unklarheit – wie viel ökologische Marktwirtschaft, wie viel engmaschige Top-Down Regulierung – verschärfen das Problem. Auch in kulturellen Streitfragen baut sich massiver Widerstand auf.
Das Wutbürgertum richtet sich jetzt gegen die Grünen
Das Wutbürgertum – bei Stuttgart 21 scheinbar noch Verbündeter der Grünen – richtet sich jetzt voll gegen sie. Für die AfD verkörpern die Grünen sowieso alles, was sie hasst. Dass Teile der Union töricht genug sind, auf den antigrünen Populismus aufzuspringen, heizt die Polarisierung an.
Grüne Anliegen und Diskurse sind nicht mehr wie selbstverständlich in der Offensive. Vielfach geht es – wie in der Asyl- und Flüchtlingspolitik – eher um Verteidigung elementarer Standards. Darauf muss sich grüne Politik neu einstellen. Sonst gibt es ein unsanftes Erwachen.
Das Ende der Schönwetterpolitik gilt nicht nur für die Grünen. Alle Parteien müssen Antworten auf die Akkumulation von Krisenfaktoren jenseits des Klimawandels finden: Krieg, Teuerung, Steuer- und Abgabenlast, Regulierungsdickicht, Fachkräftelücke, Wohnungsnot und vieles mehr.
Mut zum Wandel: Mit Augenmaß, Fairness und einer neuen Fortschrittsidee
Das „Modell Deutschland” trudelt in eine Krise, die nicht nur den Wohlstand, sondern auch die bisherige demokratische Stabilität gefährdet. Vertrauen (und Wahlen) gewinnt, wer den Mut zum Wandel mit Augenmaß, Fairness und einer neuen Idee von Fortschritt verbindet.
Grüne bleiben der unverzichtbare Motor für die ökologische Transformation
Wer die Republik verändern will, muss bereit sein, sich selbst zu verändern. Die Grünen brauchen einen klaren Wertekompass und identitätsstiftende Ziele wie die ökologische Erneuerung der Industriegesellschaft. Welche Politik daraus folgt, muss immer neu verhandelt werden.
Es gibt Grund für selbstkritische Reflexion, aber nicht für grüne Zerknirschung. Grüne bleiben der unverzichtbare Motor für die ökologische Transformation. Und sie halten die Ampel auf Kurs in der Unterstützung der Ukraine. Das ist schon viel.
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