„Undemo­kra­tische Emotionen“ – Eine Fallstudie zur politi­schen Kultur Israels

„Angst, Abscheu, Ressen­timent, blinder oder autori­tärer Patrio­tismus“: Die franzö­sisch-israe­lische Sozio­login Eva Illouz beschreibt in ihrem jüngsten Buch, wie in Israel mit „undemo­kra­ti­schen Emotionen“ rechts­po­pu­lis­tische Politik gemacht wird. Eine Rezension von Till Schmidt.

Für die Analyse von Emotionen ist Eva Illouz Expertin. Vor allem über Bücher wie Warum Liebe weh tut oder Gefühle im Zeitalter des Kapita­lismus hat sie als Autorin weltweite Bekanntheit erreicht. Immer wieder kommen­tiert die Sozio­login auch die politi­schen und gesell­schaft­lichen Entwick­lungen in ihrem Heimatland Israel. Zu diesem Thema ist die scharfe Kriti­kerin der Netanjahu-Regie­rungen ebenfalls eine gefragte Inter­view­part­nerin. Auch – oder vielleicht gerade – in Deutschland.

Weniger bekannt hingegen dürften Illouz‘ Buchver­öf­fent­li­chungen zur israe­li­schen Gesell­schaft sein. Aus dem hiesigen Diskurs stechen sie heraus, weil die Sozio­login darin vor allem die Geschichte und gegen­wärtige Situation der Mizrahim in den Blick nimmt. Damit werden in Israel jene Teile der jüdischen Bevöl­kerung bezeichnet, deren Vorfahren vor Jahrzehnten aus dem Nahen und Mittleren Osten sowie aus Nordafrika einge­wandert sind. So wie Illouz selbst, die in Marokko geboren ist, in Frank­reich und in den USA lebte und Anfang der 90er nach Israel immigrierte.

Aktuell machen die mizra­hisch­stäm­migen Israelis Schät­zungen zufolge knapp die Hälfte der jüdischen Bevöl­kerung aus. „Mizrahim“ bedeutet auf Hebräisch „die Östlichen“ und war schon zu Zeiten der großen Einwan­de­rungs­be­we­gungen nach der Staats­gründung eine unscharfe, die verschie­denen ethni­schen und kultu­rellen Gruppen grob verein­fa­chende Kategorie. Vor allem im Zuge der Konfron­tation mit dem europäisch geprägten Teil der israe­li­schen Gesell­schaft entwi­ckelte sich ein eigenes mizra­hi­sches ethno-kultu­relles Bewusstsein. Die histo­ri­schen Diskri­mi­nie­rungs­er­fah­rungen der Mizrahim sind inzwi­schen ein wichtiger Topos des israe­li­schen Rechtspopulismus.

Fallstudie zur politi­schen Kultur Israels

Illouz hat diese Instru­men­ta­li­sierung zum Thema zahlreicher auf Deutsch erschie­nener Texte gemacht. So etwa in der Essay-Sammlung Israel (Suhrkamp 2015) oder ihrem Aufsatz im Sammelband Die große Regression (Suhrkamp 2017). Mit Undemo­kra­tische Emotionen hat Illouz nun eine Fallstudie zur politi­schen Kultur Israels veröf­fent­licht. Dort habe sich eine Spielart des Populismus etabliert, die durchaus Paral­lelen aufweise zur Situation in Ungarn, Polen, in Brasilien unter Bolsonaro oder in den USA unter Trump. Illouz‘ knapp 250-seitige Analyse ist aller­dings keine syste­ma­tisch verglei­chende Studie, sie verbleibt weitgehend im israe­li­schen Kontext.

Populismus als eigen­ständige politische Strategie

Populismus versteht Illouz vor allem als eine eigen­ständige politische Strategie. Sie werde von Politiker:innen manipu­lativ einge­setzt, um „Unbehagen“ in der Bevöl­kerung „zu codieren oder eine soziale Erfahrung umzuco­dieren“. Als eigener Politikstil habe er weitrei­chende Auswir­kungen etwa auf die Medien­land­schaft, die öffent­liche Atmosphäre oder auf die politische Diskus­si­ons­kultur. Das zentrale Prinzip des Populismus begreift Illouz im Einklang mit der sozial­wis­sen­schaft­lichen Forschung als die Behauptung demago­gi­scher Politi­ke­rInnen, sich im Namen eines ominösen „Volks­willens“ gegen eine „allmächtige Elite“ zu stellen.

Den dieser Logik inhärenten politi­schen Allein­ver­tre­tungs­an­spruch macht Illouz in ihrem Buch immer wieder zum Thema. Autoritäre Politik­stile inklusive der Durch­setzung von identi­tären Reinheits­fan­tasien sind in diesem Prinzip bereits angelegt; aus Anders­den­kenden werden schnell „Verräter“, aus Gegne­rInnen im politi­schen Wettstreit eine Verschwörung von Feinden. Exempla­risch dafür steht Netan­jahus Behauptung eines gegen ihn und die Seinen gerich­teten „tiefen Staates“ der liberalen Eliten; oder die Diskre­di­tierung der aktuellen demokra­ti­schen Protest­be­wegung als „anarchis­tisch“.

Analyse von „Gefühls­struk­turen“

Insgesamt geht es Illouz in ihrem Buch weniger um eine Analyse von Macht­dy­na­miken oder gegen­sei­tigen Abhän­gig­keiten innerhalb der verschie­denen Mehrpar­teien-Koali­ti­ons­re­gie­rungen unter Netanjahu. Im Fokus stehen vor allem „Gefühls­struk­turen“. Diese begreift Illouz mit Raymond Williams als „Denkweisen“, „die sich zwischen der Hegemonie der Insti­tu­tionen, den Reaktionen der Bevöl­kerung auf die offizi­ellen Regelungen und (…) litera­ri­schen Texten heraus­bilden, in denen diese Reaktionen zum Ausdruck kommen“. In Israel seien diese Gefühls­struk­turen aktuell stark durch vier Emotionen geprägt: Angst, Abscheu, Ressen­timent sowie blinder bzw. autori­tärer Patrio­tismus.

Illouz Buch ist entlang dieser zentralen Kategorien aufgebaut, die sie in den jewei­ligen Kapiteln im Rekurs auf sozio­lo­gische und politik­wis­sen­schaft­liche Theorien konzep­tuell entfaltet und am empiri­schen Fallbei­spiel Israel disku­tiert. Teil eines jeden Kapitels sind zudem längere Inter­view­sequenzen. Diese umfassen Gespräche mit in unmit­tel­barer Nähe zum Gaza-Streifen lebenden Kibbuz-Bewoh­ne­rinnen, einem ehema­ligen Leiter des Inlands­ge­heim­dienstes, dem Vize-Präsi­denten der NGO „Breaking the Silence“, einem überwiegend für arabische Israelis tätigen Rechts­anwalt sowie einem in der besetzten Westbank lebender Rabbiner und einer Siedlerin.

Wenig Einblicke in Forschungs­pro­zesse oder Studien

Die Inter­views aus Undemo­kra­tische Emotionen sind auf die Frage­stellung des Buches ausge­richtet und biogra­phisch angelegt. Sie sind zwar inter­essant zu lesen und wären eigentlich eine eigen­ständige Analyse wert, welche die theore­ti­schen Kategorien vielleicht auch erst aus dem empiri­schen Material heraus generiert. Doch im Buch scheinen die Inter­view­sequenzen vor allem zur anekdo­ti­schen Illus­tration von Illouz eigenen Einschät­zungen zu dienen. Eine trans­pa­rente, wissen­schaft­liche Begründung für die Auswahl der Inter­view­part­ne­rInnen oder Einblicke in den Forschungs­prozess gibt die Sozio­login leider nicht.

Ohnehin verweist Illouz nur selten auf reprä­sen­tative Umfragen oder andere syste­ma­tische Studien. Daher gibt ihr Buch keine Antwort darauf, wie verbreitet und wirkmächtig die von ihr teils detail­liert beschrie­benen Emotionen auch über das politisch rechte Spektrum hinaus sind. Dass das Land enorm polari­siert ist, zeigen die Wahler­geb­nisse aus den letzten Jahren, in denen sich im Wesent­lichen ein Pro- und ein Contra-Netanjahu-Block gegen­über­standen. Dass Hunder­tau­sende Israelis nicht für einen theokra­ti­schen, sondern für einen jüdischen und demokra­ti­schen Staat eintreten, machen aktuell die patrio­ti­schen Proteste gegen den angestrebten illibe­ralen Staatumbau deutlich.

Die aktuelle Krise in Israel lässt das Buch, das Illouz kurz nach der Regie­rungs­bildung im Dezember letzten Jahres fertig­ge­stellt hat, immer wieder aufscheinen. So etwa durch die Beschrei­bungen des Bündnisses zwischen Netan­jahus Likud und Arje Deris Schas, einer Partei, welche die mizra­hische Ultra-Ortho­doxie vertritt und an der aktuellen Regierung erneut beteiligt ist. Dazu kommt die Analyse von Netan­jahus politi­scher Rhetorik, die seine Illibe­ra­lität und seinen politi­schen Oppor­tu­nismus verdeutlichen.

Plädoyer für eine „gute Zivilgesellschaft“

In ihrem Epilog plädiert Illouz schließlich für einen Wandel der politi­schen Kultur Israels: hin zu mehr Brüder­lichkeit und Empathie als konsti­tutive Bestand­teile einer, wie sie es nennt, „gute[n] Zivil­ge­sell­schaft“. Auch hier bleibt Illouz leider vage. Es wäre daher spannend, die Sozio­login zusammen mit anderen israe­li­schen Intel­lek­tu­ellen disku­tieren zu hören. Etwa auch zu der Frage, inwieweit sich die von ihr ersehnte Trans­for­mation in der aktuellen Protest­be­wegung realisiert.

Für eine breite LeserIn­nen­schaft dürfte Undemo­kra­tische Emotionen zu dicht geschrieben und theore­tisch zu voraus­set­zungsvoll sein. Kenne­rInnen des Landes hingegen dürfte Illouz‘ Analyse immer wieder zu stark von ihren eigenen, linken Wertur­teilen bestimmt erscheinen.

Dennoch erscheint Illouz Buch zur richtigen Zeit und ist bei aller Kritik ein lesens­wertes Buch. Denn was im hiesigen Israel-Diskurs aktuell häufig fehlt, sind Einord­nungen von mittel- und länger­fris­tigen Entwick­lungen vor Ort.

Eva Illouz: „Undemo­kra­tische Emotionen – Das Beispiel Israel“, Suhrkamp Verlag 2023. 259 Seiten.

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