Völker­recht versus Überleben?

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Bricht Israel mit seinem Angriff gegen den Iran das Völker­recht oder liegen die Dinge nicht vielleicht ganz anders als viele europäische Beobachter es derzeit einschätzen? Warum Israelis und zahlreiche Europäer den Krieg gegen den Iran mit sehr unter­schied­lichen Augen sehen, analy­siert Richard C. Schneider für uns.

Es konnte gar nicht anders sein. Sowie Israel begonnen hatte den Iran anzugreifen, reagierten viele deutsche Medien umgehend mit dem Vorwurf: Bruch des Völker­rechts! Experten wurden inter­viewt, die im besten Juris­ten­deutsch durch­de­kli­nierten, warum die Israelis nicht tun dürfen, was sie tun.

Zerstörung Israels gehört zu Irans Staatsdoktrin

Ganz selten kam dabei ein Jurist zu Wort, der das Ganze vielleicht ein wenig diffe­ren­zierter, zumindest mit etwas mehr Frage­zeichen, erklärte und eventuell sogar der Meinung war, dass Israel nicht unbedingt inter­na­tio­nales Recht gebrochen hat. Warum? Weil die Islamische Republik Iran seit Jahrzehnten die Vernichtung des „Zionis­ti­schen Gebildes“, wie Israel in der Sprache der Ayatollahs heißt, predigt. Weil die Zerstörung Israels ein wesent­licher Pfeiler ihrer religiösen Ideologie ist. Weil der Iran seit Jahrzehnten seine Proxys aufgebaut hat, damit sie im Libanon, Syrien, Irak, Jemen bis hin nach Gaza und im Westjor­danland, einen Ring rund um Israel bilden und den jüdischen Staat angreifen und zu seiner Vernichtung beitragen.

All das geschah über Jahrzehnte. Und es gab über Jahrzehnte Angriffe dieser Proxys. Ob sie Hizbollah, Hamas, Islami­scher Jihad, „iraki­scher schii­ti­scher Wider­stand“ oder Houthis heißen. Und daher könnte man Israels Angriff auf den Iran auch als Reaktion, als Vertei­digung sehen, da Israel in diesen Tagen versucht, den Kopf der Hydra abzuschlagen. Hinzu kommt: Der Iran arbeitete schon lange an seinem Atompro­gramm, offiziell zu „zivilen Zwecken“, in Wirklichkeit jedoch, um die Bombe zu haben oder sie zumindest jederzeit herstellen zu können.  Längst wussten das auch die Geheim­dienste der westlichen Welt, längst wusste das auch der IAEA, der erst vor wenigen Wochen Alarm schlug, weil Teheran seine Verpflich­tungen gegenüber dem NPT-Abkommen nicht einhielt.

Israel verteidigt sich

Es war und ist ein offenes Geheimnis, was das Regime in Teheran erreichen will. In dem Augen­blick, in dem der Iran Nukle­ar­macht ist, spielt es keine Rolle mehr, ob eine Atombombe jemals auf Tel Aviv abgeworfen wird oder nicht. Es würde reichen, wenn Teheran einen Nukle­ar­schirm über seine Proxys spannen würde. Dann wäre Israel erledigt, sein Militär handlungsunfähig.

Führt Israel also in diesen Tagen tatsächlich einen völker­rechts­wid­rigen Angriffs­krieg? Man kann zumindest darüber diskutieren.

Dabei spielt es keine Rolle, ob der Verant­wort­liche für diesen Krieg Benjamin Netanyahu heißt oder Naftali Bennett oder sonst wer. Denn die Israelis sind sich im Prinzip stets einig gewesen. Eine Atommacht Iran? Damit kann man nicht leben. Punkt. Ein zweiter Holocaust? Wird nicht mehr geschehen. Punkt. Die ganze Welt ist gegen uns? Egal, wir wollen überleben, nicht geliebt werden. Punkt.

Klar, das können viele Europäer, westliche zumal, nicht verstehen. Sie kennen echte Bedrohung nicht mehr. Und wenn, so wie nun durch die wachsende Aggression Russlands, dann wirkt sie für viele immer noch surreal, nicht greifbar. Man hat eine diffuse Angst. Und will sich lieber arran­gieren mit einem wie Wladimir Putin (oder einem Ayatollah Khamenei)… Einfach mitein­ander reden, Verständnis fürein­ander zeigen, dann wird das schon… Einen Vertrag machen, Papier ist immer gut... Und wenn nicht? Ach, dann muss man Putin noch weiter entge­gen­kommen, Haupt­sache es kommt zu keinem Krieg…

Naivität der weich gebet­teten Europäer

Ist das so? Wirklich? Dieje­nigen, die der Überzeugung sind, dass man es über „Diplo­matie und Verständnis für die andere Seite“ schon schaffen werde, dass alles so bleibt wie bisher, begreifen nicht, dass Macht­haber wie Putin oder Khamenei nicht ticken, wie ein westlicher liberal-demokra­ti­scher Mensch. Und sie begreifen nicht, dass eine massive Aufrüstung der Bundeswehr notwendig ist; sie halten alle, die das anders sehen, für „Kriegs­treiber“.

Ein Blick zurück in die Geschichte Israels zeigt, dass das kleine Land schon einmal in einer ähnlichen Situation war: 1967. Damals wollten drei arabische Staaten Israel vernichten. Oder, wie der damalige ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser erklärte, man wollte „die Juden ins Meer treiben“. Nun, es kam anders: Israel griff an, vernichtete innerhalb der ersten Stunde des Krieges beinahe die gesamte ägyptische Luftwaffe, die sich noch am Boden befand, und gewann den Krieg in sechs Tagen. Jüngere werden sich nicht erinnern könnten, aber der Autor weiß noch genau, wie die Stimmung damals in Israel war: Man war sich sicher, dass der zweite Holocaust unmit­telbar bevor­stand. Dazu aber kam es nicht. Weil sich Israel nicht an das Völker­recht hielt, sondern einfach nur überleben wollte.

Um nicht missver­standen zu werden: Dies ist kein Plädoyer gegen das Völker­recht. Selbst­ver­ständlich nicht. Es wird gebraucht, selbst wenn sich immer weniger Staaten daran­halten. Doch es ist der Luxus von Gesell­schaften, die Krieg und Bedrohung nicht mehr kennen, ausschließlich moralisch und juris­tisch zu argumen­tieren und viele andere Aspekte nicht in Betracht zu ziehen, die auch eine Rolle spielen, wenn es um Leben und Tod geht.

Realis­tische Szenarios denken…

Hat Israel also recht oder hat es das Recht, den Iran anzugreifen? Das soll hier gar nicht entschieden werden. Doch ein Gedanke muss erlaubt sein: Was wäre, wenn der Iran Atommacht wäre? Was würde das für Israel und für die arabi­schen Staaten bedeuten? Und mehr noch: Was würde das für Europa bedeuten? Die Raketen des Regimes in Teheran können auch den europäi­schen Kontinent erreichen. Und was wäre, wenn Teheran seinen Proxys den Zugang zu Nukle­ar­waffen geben würde? Israe­lische Sicher­heits­organe versi­chern, dass sie Unter­lagen haben, die nachweisen, dass Teheran diese Absicht hatte. Schwer zu sagen, ob das stimmt, aber es wäre nicht undenkbar.

Inwiefern Benjamin Netanyahu seine ganz eigenen innen­po­li­ti­schen Inter­essen mit einem Angriff auf den Iran verfolgt, ist sicher ein wichtiges Thema. Ebenso die Frage, ob der israe­lische Premier auch nur den Ansatz einer Idee hat, wie dieser Krieg wieder enden soll. Auch das sind berech­tigte und legitime Fragen und selbst­ver­ständlich muss man Israel diese harten Fragen stellen.

…und das eigene Überleben sichern

So viel ist klar: Ein Volk, das schon einmal beinahe zur Gänze ausge­löscht wurde, kann sich den Luxus nicht mehr leisten, Drohungen einer vollstän­digen Vernichtung nicht ernst zu nehmen. Ganz egal, ob Moralisten im Westen dies für absurd halten oder glauben, einem Volk, das in den Gaskammern landete, erklären zu müssen, was es tun darf oder tun soll, um so etwas nicht mehr zuzulassen.

Textende

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