Altba­ckene Deutsch­tü­melei und antili­berale Revolte: Die Wiederkehr der Neuen Rechten

Sie sehen gerade einen Platz­hal­ter­inhalt von YouTube. Um auf den eigent­lichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schalt­fläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Dritt­an­bieter weiter­ge­geben werden.

Mehr Infor­ma­tionen

Ralf Fücks im Gespräch mit Prof. Dr. Micha Brumlik.

Ralf Fücks: Wir sprechen mit Micha Brumlik, Achtund­sech­ziger und einer der bekann­testen politi­schen Intel­lek­tu­ellen der Bundes­re­publik. – Du hast in der letzten Zeit relativ viel geschrieben zu der Wiederkehr des rechten Denkens in der Bundes­re­publik und in Europa. Wie weit ist das tatsächlich eine Wieder­auf­nahme von langen Linien in der europäi­schen Geistes­ge­schichte? Oder ist das doch ein sehr gegen­wär­tiges Phänomen, mit dem wir es da zu tun haben?

Micha Brumlik: Diese Wiederkehr des rechten Denkens ist beides zugleich. Sie nimmt einer­seits Tradi­ti­ons­linien des klassi­schen Konser­va­ti­vismus bis Rechts­ra­di­ka­lismus auf, wendet sie aber zeitgemäß. Der wesent­liche Unter­schied ist, dass dieser Natio­na­lismus derzeit ein Defen­siv­na­tio­na­lismus ist und kein Expan­siv­na­tio­na­lismus mehr. Das war bei rechten Denkern noch in der Zwischen­kriegszeit der sogenannten konser­va­tiven Revolution ganz anders. Damals träumte man noch – und sah das dann zum Teil auch im Natio­nal­so­zia­lismus und mit Hitler verwirk­licht – , von einer Vorherr­schaft über Europa. Davon kann gegen­wärtige keine Rede mehr sein. Obwohl diese Leute „Europa“ sagen, meinen sie eigent­liche ein geschlos­senes, der Globa­li­sierung irgendwie entge­hendes, kulturell homogenes Deutschland.

Ralf Fücks: Das ist ein inter­es­santer Aspekt: Die neue konser­vative Revolution tritt nicht antieu­ro­päisch auf, sondern vertritt die Vorstellung eines Ethno­plu­ra­lismus, in dem jeder nach seiner eigenen Geschichte, Herkunft, kultu­rellen Tradition lebt. Mit einem „Europa der Vater­länder“ kann die Neue Rechte gut leben. Die Phobie geht gegen die Vermi­schung, gegen kultu­relle Vielfalt und gegen die multi­eth­nische Demokratie.

Micha Brumlik: Es geht gegen Diver­sität. Und damit geht es aber zugleich gegen liberale Grund­prin­zipien auch unserer Verfassung. Denn auch unsere Verfassung lässt grund­sätzlich zu, dass die Formen guten Lebens nicht gesetzlich politisch vorge­schrieben sind. Das steckt auch hinter der Diskussion über die sogenannte Leitkultur. Leitkultur, wenn es so etwas überhaupt gibt, steht als Regelwerk im Grund­gesetz. Da steht zum Beispiel nicht, dass Männer und Frauen sich die Hand geben müssen. Das können sie. Das dürfen sie. Das sind liebge­wonnene Konven­tionen. Aber die Neue Rechte versucht, gewachsene Konven­tionen gleichsam mit dem Nimbus des unver­än­derlich, ewig Gültigen und auf jeden Fall Bewah­rens­werten zu verbinden.

Ralf Fücks: Gerade für Leute, die aus der 68er-Bewegeung kommen, galt „links“als rebel­lisch und unkon­ven­tionell, als die Kraft, die für Verän­derung eintritt. Jetzt gibt es irritie­rende Anzeichen, dass sich das verkehrt hat, dass die Neue Rechte mit dem Gestus des Provo­ka­teurs, des Umstürz­lertums auftritt und die Linke in die Ecke des etablierten Spießertums schiebt.

Micha Brumlik: Richtig ist, dass Leute wie wir um die 60, um die 70 in gewisser Weise arriviert sind. Das zu bestreiten wäre geradezu unredlich. Was an dieser Neuen Rechten und insbe­sondere den sogenannten Identi­täten so inter­essant ist, dass sie ausdrücklich diesen Gestus des Rebel­lentums gekapert haben – bis in ihr Auftreten, ihr Aussehen, ihre Kleidung.

Ralf Fücks: Da schließt sich aber doch der Kreis zu den 20er, 30er Jahren:  auch da – und zwar bis in den Natio­nal­so­zia­lismus, der sich ja als revolu­tionäre Bewegung insze­nierte – gab es dieses Rebel­lische, Antibür­ger­liche auf der rechten Seite.

Micha Brumlik: Ja, absolut. Das dann aber sehr bald in einen Konfor­mismus äußerster, militä­ri­scher Art gemündet ist. Diese Studenten sind dann am Ende in SA- und SS-Uniformen herum­ge­laufen. Das war dann die „nonkon­for­mis­tische Revolution“.

Ralf Fücks: Was denkst Du müsste unserer Seite – also die Links­li­be­ralen, das sind wir doch am Ende geworden – tun, um dieser Heraus­for­derung erfolg­reich zu begegnen? Es reicht ja nicht, die Neue Rechte einfach zu denunzieren.

Micha Brumlik: Ich glaube schon, dass man sich mit dem, was bei diesen Leuten an Argumenten oder sogenannten Argumenten vorge­bracht wird, ausein­an­der­setzen muss. Die Mischung aus tradi­tionell und neu oder rebel­lisch finden wir in ganz beson­derer Weise inter­es­san­ter­weise in Öster­reich. Dort wird die FPÖ von nun wirklich altmo­di­schen, konser­va­tiven, rechten Studen­ten­ver­bin­dungen getragen. Während, wenn man ihn so nennen will, der intel­lek­tuelle Anführer der Identi­tären, ein Philo­so­phie­student namens Martin Sellner, eher herum­läuft wie eine rebel­li­scher Jugend­licher. Er bedient sich übrigens auch – das müssen wir immer berück­sich­tigen – des Argumen­ta­ti­ons­po­ten­zials der arrivierten Linken. Martin Sellner hat etwa oft genug die Kritik an der Kultur­in­dustrie gekapert, ohne dass diese rechten Intel­lek­tu­ellen viel mehr wären als ein Vintage-Produkt. Also, sie bemühen sich um altmo­dische Werte und kleiden die in ein rebel­li­sches Fähnchen.

Ralf Fücks: Man könnte sagen, das ist ein Ausdruck der Defensive der antili­be­ralen Rechten. Sie gehen in die Offensive, weil sie kulturell und politisch in der Defensive sind.

Micha Brumlik: Ich sagte ja, das ist Defen­siv­na­tio­na­lismus. Obwohl sie – auch hier haben sie von den Linken gelernt – von Antonio Gramsci das Konzept der kultu­rellen Hegemonie übernommen haben. Jemand wie Götz Kubit­schek hat nun mit anderen diese Bewegung „Ein Prozent“ gegründet – die meinen, wenn sie ein Prozent der wahlmün­digen Bevöl­kerung der Bundes­re­publik Deutschland, also der ethnisch deutschen mündigen Wahlbe­völ­kerung, von ihren Ideen überzeugen können, dass sie damit mittel­fristig auch die politische Hegemonie erringen können.

Ralf Fücks: Denkst Du, dass die antili­berale Konter­re­vo­lution ihren Zenit schon überschritten hat oder ist das ein Phänomen, mit dem wir zumindest mittel­fristig zu rechnen haben?

Micha Brumlik: Das ist nicht zu übersehen. Ich bin ein großer Anhänger des Frank­furter (Frankfurt an der Oder) Sozio­logen Andreas Reckwitz, der eine inter­es­sante neue Klassen­theorie aufge­stellt hat. Er sagt, es gibt drei Klassen. Da gibt es einer­seits Leute wie uns, die links­li­be­ralen, kosmo­po­li­ti­schen, merito­kra­ti­schen und am Postma­te­ri­ellen inter­es­sierten Akade­miker. Dann gibt es so etwas wie die unsicher gewor­denen alten Mittel­schichten. Da würde ich die Ursprungs­ge­neration der AfD darunter subsum­mieren. Und dann gibt es in der Tat die von Abstieg und auch von sozio­kul­tu­reller Missachtung bedrohten prekären Schichten. Je ein Drittel. Und es kann durchaus sein, wenn es auch in diesem Land einmal wirtschaftlich nicht mehr so gut geht, wie es im Moment geht, dass dann die Anzie­hungs­kraft rechts­extre­mis­ti­scher Parteien – ich vermeiden den Begriff rechts­po­pu­lis­tisch –wieder stark an Zuspruch gewinnen wird. Ich fürchte und ich glaube, dass sehr viel auf die CDU/​CSU ankommen wird, ob sie am Ende nicht doch der Versu­chung unter­liegen, wie das etwa in Sachsen der Fall ist oder in anderen Bundes­ländern oder Kommunen, wo sie schon dann und wann mit der AfD gestimmt haben.

Ralf Fücks: Insofern wäre Jamaika auch eine Konstel­lation, die CDU in der demokra­ti­schen Mitte festzubinden.

Micha Brumlik: Genau darum würde es gehen.

Ralf Fücks: Vielen Dank.


Micha Brumlik wird einmal im Monat für LibMod schreiben. Zum Thema hat er auf LibMod den Artikel „Die Wieder­gänger“ veröf­fent­licht.


Lizenz­vermerk: YouTube Standardlizenz.
Dieses Video darf zu Presse­zwecken unter Angabe des Autors „# /​Zentrum Liberale Moderne“ frei verwendet werden.

Videos