Belarus: Die Regierung ist nicht reformbereit

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Die Regierung erweist sich als wenig reform­bereit. Der Westen sollte schon jetzt darüber nachdenken, welchen Platz Belarus nach der Ära Lukaschenka in Europa einnehmen könnte, empfiehlt unser Autor Artyom Shraibman.

Am 17. November fanden in Belarus Parla­ments­wahlen statt. Europäische Beobachter bewer­teten seit 1995 noch keinen Wahlkampf als fair oder als trans­parent, was Präsident Lukaschenka aber nicht zu stören scheint.

Kürzlich hat er bei einem Besuch in Wien, seiner ersten Reise in die EU seit 2016, die Bedeutung des autori­tären Rufs des Landes herun­ter­ge­spielt und behauptet, westlichen Inves­toren sei Stabi­lität wichtiger als Demokratie. Im aktuellen Parla­ments­wahl­kampf wurde deutlich, dass Lukaschenka diese Äußerung ernst meint. 

Portrait von Artyom Shraibman

Artyom Shraibman ist Politologe und Autor bei tut.by und carnegie.ru.

Opposition chancenlos

Schon vor dem Wahlprozess waren keinerlei Fortschritte absehbar. So wurde das viel kriti­sierte Wahlgesetz vor dem Wahlkampf nicht geändert und die schon verschwindend geringe opposi­tio­nelle Vertretung in Wahlaus­schüssen war diesmal sogar noch niedriger. Von über 63.000 Ausschuss­mit­gliedern, die im gesamten Land die Stimmen auszählen, kamen nur 21 aus der Opposition.

In Minsk weiß man sehr genau, dass das Fehlen einer parla­men­ta­ri­schen Opposition keinerlei Sanktionen durch Brüssel oder Washington nach sich zieht. 

Zwei bisherige Parla­ments­ab­ge­ordnete, Anna Kanopatskaja und Alena Anisim, sowie weitere bekannte Opposi­tio­nelle wurden nicht als Kandi­daten zugelassen. Einige derje­nigen, die die erste Hürde gemeistert hatten, waren später nicht mehr im Rennen, wenn sie sich für Lukaschenkas Amtsent­hebung ausge­sprochen oder ihn ander­weitig angegriffen hatten.

Abgesehen von einigen Ausnahmen verlief der Straßen­wahl­kampf größten­teils unbehindert. Viele Opposi­ti­ons­gruppen nutzten die laxen Beschrän­kungen der Versamm­lungs­freiheit während des Wahlkampfs, um ihre Treffen abzuhalten und die Menschen an die bestehende Alter­native zu erinnern.

Landesweit berich­teten Studie­rende, dass sie zur vorzei­tigen Stimm­abgabe vor dem Haupt­wahltag gedrängt worden seien. Die Regierung wollte unbedingt eine hohe Wahlbe­tei­ligung erreichen – viele Belarussen hielten die Wahl aber für nicht wichtig genug, um an ihr teilzu­nehmen. Trotz der Anstren­gungen berichten unabhängige Wahlbe­ob­achter von deutlich weniger Wähle­rinnen und Wählern, die den Weg ins Wahllokal fanden, als der lokale Wahlausschuss.

Die Auszählung der Stimmen war wie üblich nicht trans­parent. An vielen Orten wurden unabhängige Beobachter des Wahllokals verwiesen, weil sie zu viele Fragen stellten oder sich über vermeint­liche Wahlma­ni­pu­lation durch Mehrfach­stimm­abgabe beschwerten. Die meisten derje­nigen, die bei der Stimm­aus­zählung anwesend sein durften, wurden weit entfernt von dem Tisch platziert, an dem die Mitglieder des Wahlaus­schusses still ihrer Tätigkeit nachgingen.

Im Ergebnis wird das neue Parlament genauso einheitlich sein wie vor 2016. Kein Vertreter der Opposition hat einen Sitz im Parlament erhalten. Beobachter der OSZE und der PACE folgerten, dass der Wahlkampf durch „eine allge­meine Missachtung der Grund­rechte Versammlungs‑, Verei­ni­gungs- und Meinungs­freiheit“ nicht inter­na­tio­nalen Standards für demokra­tische Wahlen gerecht wurde.

Komfort wichtiger als der Westen

Die Annahme, Belarus stehe vor einem harten Vorgehen gegen die Opposition, wäre verfrüht. Das Fehlen anderer Stimmen im Parlament geht nicht darauf zurück, dass Lukaschenka sie als Gefahr ansieht und neue Repres­sionen plant, sondern schlichtweg darauf, dass er eine Opposition dort als nicht mehr notwendig erachtet.

Als 2016 zwei Opposi­ti­ons­kan­di­daten überra­schend ins Parlament einzogen, deutete man das als Impuls für die Annäherung zwischen der EU und Belarus. Das belarus­sische Parlament wurde de facto anerkannt und zu einem legitimen Partner für Parla­ments­ab­ge­ordnete und Diplo­maten aus EU-Ländern. Damit wurden die damaligen Ziele erreicht.

Aller­dings trug der Dialog mit dem Westen nicht genügend Früchte, um Lukaschenka davon zu überzeugen, das Projekt fortzu­setzen. Die Termin­dichte und der Austausch zwischen Minsk und Brüssel nehmen bereits ab: beide Seiten stehen vor der Unter­zeichnung von Visaer­leich­te­rungs- und Rücküber­nah­me­ab­kommen, können sich aber bei den Priori­täten der Partner­schaft nicht einigen. Die EU weigert sich ohne dieses Dokument über das Grund­satz­ab­kommen zu verhandeln, was Belarus mehrfach forderte. Seiner­seits weigert sich Minsk die Todes­strafe abzuschaffen – die größte politische Hürde in den Bezie­hungen – sowie weitere syste­mische Reformen durchzuführen.

Ohne klares Ziel können das belarus­sische Außen­mi­nis­terium und andere moderat proeu­ro­päische Kräfte innerhalb der Regierung keine Argumente finden, um Lukaschenka und die Silowiki von Zugeständ­nissen gegenüber der Opposition zu überzeugen.

Der belarus­sische Präsident schätzt seinen persön­lichen politi­schen Komfort mehr als die Meinung westlicher Kapital­geber und der Zivil­ge­sell­schaft. Offen­sichtlich will Lukaschenka der Opposition nicht die Botschaft eines möglichen Tauwetters kurz vor den 2020 anste­henden Präsi­dent­schafts­wahlen vermitteln.

Was folgt?

Das Fehlen erreich­barer Anreize seitens des Westens war nicht der einzige Grund, warum Lukaschenka sich für einen restrik­ti­veren Weg entschieden hat. Es lag auch an fehlenden Straf­maß­nahmen. In Minsk weiß man sehr genau, dass das Fehlen einer parla­men­ta­ri­schen Opposition keinerlei Sanktionen durch Brüssel oder Washington nach sich zieht.

Um heutzutage die EU oder die USA ernsthaft zu verärgern, muss Lukaschenka etwas Drasti­scheres tun als einige opposi­tio­nelle Abgeordnete aus einem größten­teils irrele­vanten belarus­si­schen Parlament zu entfernen. Selbst aus histo­ri­scher Sicht verhängte der Westen keine Sanktionen für die schlechte Durch­führung von Wahlen, sondern wenn die Minsker Behörden gegenüber Demons­tranten Gewalt anwen­deten oder ihre politi­schen Gegner ins Gefängnis steckten. Die stabile Lage im Inland macht es der belarus­si­schen Regierung leicht, ernste Repres­sionen zu vermeiden.

Darüber hinaus haben Brüssel und Washington erkannt, dass die Isolation Lukaschenkas ihn eher in die Arme des Kremls treibt. Aufgrund der noch größeren Befürch­tungen rund um die aktuellen Integra­ti­ons­be­stre­bungen zwischen Minsk und Moskau wäre es unklug zu erwarten, dass die westlichen Entschei­dungs­träger Russland dabei unter­stützen, Belarus in die Enge zu treiben.

Der Enthu­si­asmus und der politische Wille, die Bezie­hungen mit Belarus zu vertiefen, werden wahrscheinlich zurück­gehen. Um und innerhalb der EU gibt es viel mehr Probleme und Länder, die Aufmerk­samkeit und Ressourcen bedürfen, als Brüssel bieten kann. Durch die fehlende Kompro­miss­be­reit­schaft und die Weigerung, selbst kosme­tische Schritte einzu­leiten, wird sich Minsk letztlich hinten anstellen müssen. Objektiv betrachtet handelt es sich hier um eine Situation, in der alle Parteien verlieren außer Russland.

Die Heraus­for­derung der EU und anderer westlicher Entschei­dungs­träger besteht darin, trotz des letzten Wahlkampfs Anreize und Wege zu schaffen, um Minsk einzu­binden. Eine langfris­tigere Strategie wäre hier sicherlich hilfreich. Statt sich für ein besseres Verhalten der aktuellen belarus­si­schen Regierung einzu­setzen, sollte der Westen lieber darüber nachdenken, was für die Ära nach Lukaschenka für Belarus und seinen Platz in Europa besser wäre.

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