Darum muss Deutsch­land gerade jetzt Belarus’ Demo­kra­tie­be­we­gung unterstützen

Foto: Imago

Der Sommer 2020 hat Belarus grund­le­gend verändert. Die gefälschten Neuwahlen des Diktators Alexander Lukaschenko hat das Land in ein Trauma geworfen. Nun ist es zum Aufmarsch­ge­biet russi­scher Truppen geworden. Doch genau jetzt braucht das Land auch die Unter­stüt­zung deutscher Demokraten.

Ein auf zwei Meter. Beton­boden. Ein Fens­ter­loch mit Gittern. Der Himmel ist nicht zu sehen. Eine Holz­prit­sche als Liege­platz, ein Tisch, ein Wasch­be­cken, ein Loch im Boden für die Notdurft. Keine Matratze, keine Decke, keine Heizung. Keine Bücher, keine Briefe, keine Besuche. Die komplette Isolation von der Außenwelt. Schlafen ist im Winter nicht möglich. Es ist eisig kalt. Man wacht immer wieder auf, zitternd, und muss sich bewegen. Essens­ra­tionen sind die einzige Abwechslung.

Ansonsten nichts, außer das eigene ausge­zehrte Körper­ge­fühl, die zermür­benden Gedanken. Es ist menschen­un­würdig. Es ist Folter. Viele verletzen sich selbst, um einen Tag auf der Kran­ken­sta­tion zu verbringen. Einige versuchen sich umzu­bringen. Zu viele sind an diesen Umständen bereits gestorben.

Das ist heute der brutale Alltag in bela­ru­si­schen Gefäng­nissen. Die Straf­iso­la­ti­ons­haft ist der Preis, den viele Demo­kra­tinnen und Demo­kraten seit dem Sommer 2020 in Belarus zahlen, weil sie Lukaschenkos Diktatur durch freie Wahlen beenden wollten.

Diktator Lukaschenka ging für den eigenen Macht­er­halt wörtlich über Leichen

Vor drei Jahren, am 9. August 2020, fanden in Belarus die gefälschten Präsi­dent­schafts­wahlen statt. Ein ikoni­scher wie brutaler Sommer. In weiß-rot-weiß gingen hundert­tau­sende Bela­ru­sinnen und Belarusen aus Protest auf die Straße. Sie versam­melten sich hinter dem mutigen Frau­en­trio von Swetlana Tich­anows­kaja, Maria Kales­ni­kawa und Veronika Zepkala. Es war eine Stimmung der Hoffnung. Der Wille nach Freiheit und demo­kra­ti­scher Öffnung war überall im Land spürbar.

Doch Diktator Lukaschenko ging für den eigenen Macht­er­halt wörtlich über Leichen. Seine Schergen prügelten die Oppo­si­tion blutig nieder, zu viele bezahlten mit ihrem Leben. Tausende wurden in Schau­pro­zessen verur­teilt, andere ins Exil gezwungen. Vereine wurden zwangs­auf­ge­löst, unab­hän­gige Medien geschlossen, Messenger-Dienste gesperrt. Das Recht auf freie Meinungs­äu­ße­rung existiert nicht. Bis heute steigt die Zahl der poli­ti­schen Gefan­genen fast täglich, bis heute werden die Gefan­genen gefoltert.

Einer von ihnen ist Ihar Losik. 31 Jahre, Jour­na­list, Vater einer kleinen Tochter. Ihar Losik wurde im Juni 2020 verhaftet, weil er sich für freie Wahlen einsetzte. Seine Frau Daria wurde im Oktober 2022 vor den Augen der Tochter verhaftet, weil sie sich uner­müd­lich für Ihars Frei­las­sung einsetzte. Beide bezahlen ihren Einsatz für Demo­kratie mit einem grausamen Preis: der Trennung von ihrer Tochter.

Russland zeigt, wie instabil auto­kra­ti­sche Regime sind

Als Abge­ord­neter habe ich die Paten­schaft für Ihar und Daria Losik über­nommen. Gemeinsam mit Kolle­ginnen und Kollegen setze ich mich für die Frei­las­sung aller poli­ti­schen Gefan­genen in Belarus ein. Wir schreiben Briefe, erzählen ihre Geschichte. Wir machen die über 1.450 unschuldig Inhaf­tierten sichtbar, solange sie hinter Gittern sind. Wir werden keinen von ihnen vergessen, bis der letzte von ihnen wieder in Freiheit ist.

Mensch­lich, politisch und histo­risch empfinde ich es als meine Pflicht, die Demo­kra­tie­be­we­gungen in Europa zu unter­stützen. Sie zu unter­stützen, liegt aber auch in unserem eigenen Interesse. Warum? Der russische Angriffs­krieg gegen die Ukraine machte erneut und brutal deutlich, dass auto­kra­ti­sche Regime keine vermeint­li­chen Garanten für Stabi­lität sind, sondern zu Krieg und Zerstö­rung der euro­päi­schen Frie­dens­ord­nung bereit sind. Belarus ist unter Diktator Lukaschenko zum Aufmarsch­ge­biet russi­scher Truppen geworden. Skru­pel­lose Wagner-Söldner sollen nun die bela­ru­si­sche Armee ausbilden.

Wir haben deshalb ein ureigenes Interesse, nicht nur mili­tä­risch die Nato-Ostflanke best­mög­lich vor impe­ria­lis­ti­schen Träumen des Kremls zu schützen, sondern auch die demo­kra­ti­schen Kräfte in unserer Nach­bar­schaft zu stärken. Denn nur mit ihnen wird ein dauer­hafter Frieden in Europa zu machen sein.

Auch Deutsch­land sollte jetzt Demo­kraten in Belarus unterstützen

Der Sommer 2020 hat in Belarus etwas verändert. Die Bruta­lität des Regimes verur­sachte ein kollek­tives Trauma. Jede Familie, jeder Freun­des­kreis ist betroffen. Jeder kennt jemanden, der verhaftet, gefoltert, verschleppt oder ermordet wurde. Aus diesem kollek­tiven Trauma ist jedoch eine beein­dru­ckende Wider­stands­kraft erwachsen. Im Unter­grund. Im Exil.

Dikta­turen verschwinden nicht von heute auf morgen. Wir alle brauchen einen langen Atem. Demo­kra­ti­sche Exil-Struk­turen müssen wir daher lang­fristig unter­stützen. Ehemalige poli­ti­sche Gefangene, Oppo­si­tio­nelle, Jour­na­listen, Juris­tinnen, Ärzte, Studie­rende, Wissen­schaftler, Künst­le­rinnen, IT-Experten – sehr viele waren und sind gezwungen, ihr Land zu verlassen, weil sie den Mut zum Protest hatten. Ihnen gilt meine unge­bro­chene Solidarität.

Vilnius und Warschau sind zum Zufluchtsort der bela­ru­si­schen Demo­kra­tie­be­we­gung geworden. Auch in Berlin sollten wir noch mehr tun und die mutigen Demo­kra­tinnen und Demo­kraten aus Belarus stärker unter­stützen. Ihnen rufe ich zu: Wir sehen Euch und Euren Mut, Eure Stärke, Eure Resilienz. Wir stehen fest an Eurer Seite. Wir werden Euch unter­stützen – solange wie nötig. Жыве Беларусь!


 

Dieser Artikel ist zuerst im Focus erschienen

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