Warum sich das Zentrum für politische Schönheit auflösen sollte

Noppasin Wongchum /​ Shutter­stock

Mit gezielt provo­zie­renden Aktionen will das „Zentrum für politische Schönheit“ (ZPS) auf Missstände hinweisen und die Gesell­schaft wachrütteln. Doch die Vertreter des ZPS sind ihrer Rolle als Mahner nicht gewachsen – und eines Mandats durch die Gesell­schaft unwürdig. In seinem Essay begründet der Autor, weshalb sich die Organi­sation unver­züglich auflösen sollte.

Schon das „Sich Erinnern“ ist nicht einfach und oft riskant. Unbequemes drängt an die Oberfläche. Wahrheiten werden unaus­weichlich. Abgründe tun sich auf.

Noch riskanter ist der Versuch, andere zur Erinnerung zu bewegen. Abwehr und Empörung drohen als Reaktion.

Als Deutsche haben wir unsere Erfahrung mit Beidem. Eine sehr Besondere, seitdem man uns durch befreite Vernich­tungs­lager führte und Vielen ihr „Davon haben wir doch nichts gewusst!“ im Hals stecken blieb. Vielen, aber nicht allen.

Wir haben dazu gelernt seitdem. Aber offen­sichtlich zu wenig. Und zu Viele leider nichts.

Zu wenig gelernt vom Blick zurück

„Auschwitz werden die Deutschen uns nie verzeihen.“ – Nicht nur, dass der Satz noch immer stimmt; es ist alles noch viel schlimmer. Wer die Hoffnung hatte, Fehler und Versäum­nisse beim „Blick zurück in einen dunklen Abgrund der Geschichte und nach vorn in eine ungewisse dunkle Zukunft“ (Bundes­prä­sident Richard von Weizsäcker in seiner zu Recht Epoche machenden Rede zum 50. Jahrestag des Kriegs­endes, am 8. Mai 1995) hätten zu kollek­tivem Verstehen und irrever­siblem Verständnis geführt, sieht sich ein dreiviertel Jahrhundert nach Beendigung des unfass­barsten aller Verbrechen in der Geschichte der Menschheit eines Schlech­teren belehrt. 

Dass rechts­extreme Parteien wieder in deutsche Parla­mente gewählt werden, jüdischen Mitbürgern die Kippa vom Kopf geschlagen, Geschäfte und Restau­rants jüdischer Inhaber verwüstet, Rabbiner und Synagogen angegriffen und die Existenz des Staates Israels offen und öffentlich in Frage gestellt wird, ist erschreckend.

Beängs­tigend aber wird diese Entwicklung, wenn auch die Gegen­kräfte versagen. Wenn dieje­nigen am eigenen Anspruch scheitern, die von sich behaupten, verstanden zu haben und für ein „Niemals wieder!“ aufstehen und einstehen zu wollen. Wenn das Richtige gewollt wird, aber im Falschesten endet.

„Sturm­truppe morali­scher Schönheit“

Eine Gruppe junger Erwach­sener stili­siert sich seit einigen Jahren in provo­ka­tiver Polemik zum „Zentrum politi­scher Schönheit“, kurz: „ZPS“ und erklärt in ihren Statuten, sie seien die „radikale Form des Humanismus: eine Sturm­truppe zur Errichtung morali­scher Schönheit, politi­scher Poesie und mensch­licher Großge­sinntheit“; „eine Verschmelzung der Macht der Phantasie und der Macht der Geschichte“ und dies alles basierend auf der „Grund­über­zeugung, dass die Lehren des Holocaust durch die Wieder­holung politi­scher Teilnahms­lo­sigkeit, Flücht­lings­abwehr und Feigheit annul­liert werden und dass Deutschland aus der Geschichte nicht nur lernen, sondern auch handeln muss“.

Man könnte das für krudes Geschwafel halten, stießen „Aktionen“ des „ZPS“ nicht regel­mäßig mitten ins Zentrum gesell­schaft­licher Probleme und politi­scher Debatten, träfen sie mit ihren gezielten Überschrei­tungen von Recht und Ethik nicht so oft einen Nerv, der Viele „dann doch irgendwie wichtig“ finden lässt, „dass es so etwas gibt und sich jemand so etwas traut“.

Jetzt hat das „ZPS“ mit einer „Aktion“ vor dem Sitz des Deutschen Bundestags in Berlin der an pietät‑, niveau- und gedan­ken­losen Vorfällen und Ausrut­schern nicht eben armen Geschichte deutscher „Erinne­rungs­kultur“ ein Kapitel hinzu­gefügt, das bis auf weiteres als Unter­bietung von allem gut Gemeinten, aber desaströs Ausge­führtem gelten muss.

Bohrkerne von Leichenfeldern

Allein eine Beschreibung des „Projekts“ ist schwer möglich ohne Entsetzen und Scham. Ganz zu schweigen vom Anblick vor Ort.

Die selbst­er­nannte „Sturm­truppe des Humanismus“ war an Orte gereist, an die während der Nazi-Diktatur Opfer der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Massen­morde gekarrt, in Gruben gekippt, eher verscharrt als begraben worden waren.  Leichen­felder und Totenäcker eher als Friedhöfe. Orte, an denen geschah, was Paul Celan in seiner ‚Todesfuge‘ beschrieb: „Er ruft stecht tiefer ins Erdreich ihr einen ihr andern /​ singet und spielt /​ er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts /​ seine Augen sind blau /​stecht tiefer die Spaten ihr einen ihr anderen /​ spielt weiter zum Tanz auf“. 

Felder, von denen die Stille nach millio­nenfach zugefügten Demüti­gungen und erlit­tenen Qualen auf ewig zum Himmel schreit.

Böden, auf die kein Wissender und Empfin­dender ohne Weiteres auch nur einen bloßen Fuß setzen könnte. Die Vertreter einer  jener Genera­tionen, denen Helmut Kohl einst die „Gnade der späten Geburt“ zuschrieb, waren da unbefan­gener, traten mit Schaufeln und Technik an und entnahmen den Leichen­feldern und Totenä­ckern „Bohrkerne“, als ginge es um Analysen von kaltem Gestein. „248 Proben von 23 Orten in Deutschland, Polen und der Ukraine“ dokumen­tierten sie stolz.

„Knochen­kohle, sedimen­tierte Asche und mensch­liche Fragmente in allen erdenk­lichen Körnungs­größen“ (Presse­mit­teilung und inzwi­schen gelöschte Projekt­be­schreibung auf der Website des „ZPS“). Mithin verbliebene Reste jener, die wie Unrat von ihren Peinigern wegge­worfen und so noch als Tote geschändet worden waren und nun ein weiteres Mal geschändet wurden. Auf der Wiese vor dem Sitz des Deutschen Bundestags in Berlin wurde einer der „Bohrkerne“, in dem „bei Labor­un­ter­su­chungen Hinweise auf mensch­liche Überreste“ nachge­wiesen wurden, in eine gläsernen Säule gekippt und zur Schau gestellt. Wo die restlichen 247 aufbe­wahrt wurden, blieb unklar weil unerwähnt.

Unauf­richtige Reue. Larmoyante Hilflosigkeit

Dass über allem noch ein Banner mit einem Satz wie von Joseph Goebbels gespannt war –  „Gedenken heißt Kämpfen“ – machte die Obszö­nität der Provo­kation nur komplett.

Schon zwei Tage später sahen die Urheber sich dem Sturm der Empörung nicht mehr gewachsen und zum Rückzug gezwungen. Sie traten ihn irritiert, aber erkennbar wenig überzeugt an; mit verschwur­belten Reue-Bekun­dungen („...bedauern aufrichtig, das wir den zentralen Wirkungs­aspekt unserer Arbeit nicht im Vorfeld erkannt haben“) und geheu­chelt wehkla­gender Hilflo­sigkeit: „Wohin? Wo soll der Inhalt denn hin?“.

Eben: Wohin mit Überresten Geschän­deter, die einem letzten Frieden entrissen wurden? Die Ausweg­lo­sigkeit des angerich­teten Unheils führte indes zu einer weiteren, besonders zynischen Pointe: Denn zur Frage des „Wohin?“ kam die aus religiöser Sicht nicht weniger wesent­liche Frage des „Wie?“. Wie sollten 248 Bohrkerne mit Überresten von Geschän­deten, Verbrannten, Verscharrten, jetzt ihrem letzten Frieden Entris­senen, zumindest in Würde und unter Einhaltung gebotener, religiöser Rituale wieder bestattet werden?

Vertreter der jüdischen Gemeinde wurden um Rat gefragt und schließlich Rabbiner gebeten, wegzu­räumen, was ein Mahnmal sein sollte, aber ein Schandmal war. Kann deutsches Erinne­rungs­ver­sagen beschä­mender sein?

Schandmal statt Mahnmal

Wie aber konnte es überhaupt zu solcher unfass­baren Gedan­ken­lo­sigkeit kommen? Wo liegt der Grund dafür, dass so selbst­be­wusst auftre­tender Anspruch dermaßen pietätlos, unmora­lisch und dumm gescheitert ist? Und wie kann es sein, dass solcherart verirrte, pseudo-politische und pseudo-künst­le­rische Postulate von einigen, ansonsten ernst zu nehmenden, Vertretern des Erinne­rungs­dis­kurses und diffe­ren­ziert analy­sie­renden Medien gleichsam zur Salon­fä­higkeit hochge­schrieben und als „Beitrag zu einer wichtigen Debatte“ gehuldigt werden?

Die Antwort verweist auf einen gefähr­lichen und keineswegs nur vereinzelt auftre­tenden Geist der Gegenwart. Er heißt: Überheb­lichkeit aus Distanz. Sie droht zu entstehen, wo Erinnerung nicht mehr an existen­zielle Erfahrung geknüpft und Empathie ohnehin gering ausge­prägt ist. Wo der erinnerte Schmerz nicht mehr selbst erfahren oder durch Anblick derer nachemp­funden wird, die ihn noch selbst erleiden oder mitleiden mussten – unmit­telbar, oder mittelbar durch ihre Eltern oder Großelterngeneration.

Sterb­liche Überreste werden dann zu bloßem Erinne­rungs­ma­terial: „mensch­liche Fragmente in allen erdenk­lichen Körnungs­größen“, deren Authen­ti­zität eben nicht mehr empfunden wird, sondern durch „Labor­un­ter­su­chungen“ abgesi­chert werden muss. Die Wissen­schaft soll für jenes innere Erschrecken sorgen, von dem man naiver­weise glaubt, es sei nötig, um Erinnerung in Reflexion und Reflexion in verän­dertes, geläu­tertes Handeln zu überführen. Für den Schock und den Adrena­lin­schub, die man zu brauchen glaubt, weil sich durch bloßes Lesen oder lediglich einen Anblick von Bildern dessen, was geschehen war, nein: was getan wurde, die mensch­lichste aller Reaktionen nicht mehr einzu­stellen vermag: emotionale Regung, morali­sches Entsetzen, Mitgefühl.

Anmaßung und Kontrollverlust

Die Verhal­tens­psy­cho­logie kennt das Phänomen der „Übersprungs­handlung“, eine Art Flucht nach vorn, ausgelöst durch das Gefühl, ertappt worden, verloren zu sein. Solche Übersprungs­hand­lungen führen bei Kindern zur Überdrehtheit, zu einem kurzzei­tigen Kontroll­verlust. Bei Erwach­senen zum Versuch, sich über den anderen zu erheben, um eigene Schwächen zu vermeiden.

Das ist, was hinter dem Selbst­ver­ständnis des ‚ZPS‘ steht: Anmaßung ohne Grundlage. „Das Zentrum ist eine Verschmelzung der Macht der Phantasie und der Macht der Geschichte.“ – „Wir formen den politi­schen Wider­stand des 21. Jahrhun­derts und bewaffnen die Wirklichkeit mit morali­scher Phantasie und der Geschichte.“

Die Absolutheit, mit der sich hier eine einzelne Gruppe über eine ganze Gesell­schaft erhebt müsste allein schon zur Rebellion der solcherart Düpierten, Degra­dierten und Diskri­mi­nierten führen. Statt­dessen hat sich über die Jahre ein Verhältnis wie zu einem Hofnarren des 21. Jahrhun­derts etabliert.

Hofnarren des 21. Jahrhunderts

Was kein unange­mes­sener Vergleich ist, bedenkt man, wie das ZPS seine Rolle als Organi­sation und die seiner Vertreter angelegt hat: Man kriti­siert, klagt an, provo­ziert aufs Obszönste, hat aber selbst kein Programm und will auch gar nichts konstruktiv beitragen, entzieht sich vielmehr jeder Übernahme von Verant­wortung, und, indem man sich selbst zu Künstlern und das eigene Handeln zu Kunst erklärt, auch dem ernsthaft politi­schen, kriti­schen und selbst­kri­ti­schen Diskurs.

Das „Zentrum für politische Schönheit“ hatte nie ein Mandat. Mit seinem irrege­lei­teten, zutiefst verwerf­lichen Projekt hat es nun auch jeden eventu­ellen Anspruch auf ein solches verwirkt.

Hätten die Verant­wort­lichen einen Rest an Anstand und den Respekt für jene, die es missbraucht hat, „ohne den zentralen Wirkungs­aspekt“ zu bedenken, müssten sie ihre Organi­sation auflösen und sich selbst in Scham und Schweigen zurück­ziehen. Statt­dessen haben sie an der Stelle, von der die herbei gebetenen Rabbiner die Glassäule mit den Überresten ihrer Vorfahren entfernt haben, eine neue, diesmal schwarz lackierte Stahl­säule einbe­to­niert auf der in weißer Schrift geschrieben steht: „Ich schwöre Tod durch Wort und Tat, Wahl und eigne Hand – wenn ich kann – jedem, der die Demokratie zerstört.“ – Die Anmaßung geht weiter. ***

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