„Wir müssen Orbán ablösen“
Mit einem breiten Bündnis will die ungarische Opposition im Frühjahr einen Regierungswechsel erreichen. Die liberale Europaabgeordnete Anna Júlia Donath spricht mit Ludwig Greven über die Proteste gegen Orbáns Anti-Homosexuellen-Gesetz, EU-Sanktionen und den gemeinsamen Kampf gegen Korruption und für ein gerechteres, westliches Ungarn.
In der EU gibt es heftige Proteste gegen das neue ungarische Anti-Homosexuellen-Gesetz. Die EU-Kommission droht deswegen mit einem weiteren Vertragsverletzungsverfahren und finanziellen Sanktionen. Schaden die Proteste Orbán oder helfen sie ihm, die Reihen hinter ihm zu schließen?
Anna Donáth: Wenn es Ungerechtigkeit gibt und die Regierung schwache Gruppen ins Visier nimmt, müssen wir uns zu Wort melden. Wir können nicht schweigen und sie einen einseitigen Dialog konstruieren lassen. Wir sind dafür da, um Minderheiten zu schützen und Entscheidungen der Regierung herauszufordern, nicht um Orbán populärer zu machen. Wir müssen zeigen, dass Ungarn nicht gleich Orbán ist, vor allem, wenn die Ungarn laut den letzten Umfragen toleranter und solidarischer gegenüber Minderheiten sind, als es die Regierung darzustellen versucht.
Orbán behauptet, er habe nichts gegen Homosexuelle. Warum hat er dann dieses Gesetz verabschieden lassen?
Es ist sein übliches gefährliches Spiel, von seinen Absichten und Problemen abzulenken, indem er verschiedene Gruppen attackiert. Er tat es zuvor mit den Flüchtlingen, mit den Roma, jetzt hat er es auf die LGBTQ+ Menschen abgesehen. Dieser Schachzug war ein weiterer Weg, um von der Tatsache abzulenken, dass sie durch Stiftungen öffentliches Vermögen stehlen und das Land mit Krediten an die chinesischen und russischen Diktaturen verkaufen. Der Fidesz hetzt immer Ungarn gegen die Ungarn auf, um die Aufmerksamkeit auf anderes zu richten.
Ist er nicht nur in der EU, sondern auch in Ungarn unter Druck?
Ich denke, er spürt die Änderung in der Einstellung der Bevölkerung. Die Leute sind genervt und müde von den eklatanten Lügen und der Propaganda, die aus dem Parlament kommt, und sie werden wütend, dass sie als etwas dargestellt werden, was sie nicht sind. Denn die Ungarn zeigen Solidarität gegenüber Minderheiten und untereinander.
Ihre Partei Momentum hat sich mit anderen Oppositionsparteien zusammengeschlossen, um Orbán und seine Fidesz-Partei bei der Wahl im kommenden Frühjahr abzulösen. Zu dem Bündnis gehört auch Jobbik, die früher noch rechts von Fidesz stand und sich jetzt rechts-konservativ nennt. Wie positioniert die sich in dieser Frage?
Um Fidesz und ihren Koalitionspartner, die Christdemokraten, abzulösen und die zahllosen Gesetze, wie das Propagandagesetz oder andere, die den Diebstahl fördern oder zur Stigmatisierung von Gruppen oder zur Untergrabung der Rechtsstaatlichkeit eingesetzt werden, rückgängig zu machen und zu ändern, müssen wir zusammenarbeiten. Denn ein Wechsel dieser Regierung ist nur gemeinsam möglich. Momentum wird an seinen Kernwerten festhalten und sich weiterhin gegen Korruption einsetzen. Wir werden weiter gegen Hassreden kämpfen und daran arbeiten, so viele Vorwahlen wie möglich zu gewinnen, um den Veränderungen, die in Ungarn dringend nötig sind, eine echte Stimme zu geben.
Orbán hat die ungarische Gesellschaft sehr stark polarisiert, er hat auch die anderen EU-Staaten immer wieder provoziert. Wie wollen Sie diese Spaltung überwinden?
Zuallererst müssen wir die Regierung wechseln. Bis dahin sollten wir uns auf das konzentrieren, was uns eint, und gemeinsam auf ein gerechteres und humaneres Ungarn hinarbeiten.
Ein Hauptpunkt ihrer Kritik an Orbán ist die stark verbreitete Korruption, besonders in seinem unmitttelbaren Umfeld. Die EU-Kommission wendet sich deshalb auch gegen die Regierungspläne zur Verwendung der Corona-Hilfen der EU. Aber würde es nicht den Ungarn und den ungarischen Unternehmen schaden, wenn diese Hilfen deswegen nicht ausgezahlt würden?
Ich setze mich dafür ein, dass das ungarische Volk die EU-Gelder bekommt, die es verdient. Aber im Moment ist die Politik von Viktor Orbán und der Fidesz das größte Hindernis, damit dies geschieht. Wir brauchen einen Regierungswechsel, damit alle EU-Gelder, die nach Ungarn kommen, die Menschen erreichen, die sie wirklich brauchen, und sie nicht bei den Oligarchen landen. Dann werden sie endlich für das ausgegeben, wofür sie gebraucht werden: für Schulen, Krankenhäuser und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Der Rechtsstaatsmechanismus ist genau dafür da, dass endlich das Volk und nicht die Oligarchen die EU-Gelder erhalten.
Zum Oppositionsbündnis gehört die Demokratische Koalition, gegen deren Vorsitzenden Gyurcsány es ebenfalls Korruptionsvorwürfe gibt. Als früherer Ministerpräsidenten steht er für die von vielen Skandalen geprägte sozialistisch-liberale Regierungszeit von 2002 bis 2010, die den Aufstieg von Fidesz erst ermöglicht hat. Wie wollen Sie da glaubwürdig einen Neuanfang verkörpern?
Das derzeitige System, das eine Spielwiese für Fidesz war, funktioniert so, dass wir alle zusammenarbeiten müssen, wenn wir die Regierung stürzen und jene Gesetze rückgängig machen wollen, die von der Regierung verabschiedet wurden, um bestimmte Gruppen zu kriminalisieren, zu stigmatisieren, und all jene, die dazu benutzt werden, den Ungarn öffentliche Gelder zu stehlen. Damit dies Realität wird, haben alle Parteien Wiedergutmachung geleistet und Kompromisse gefunden und arbeiten zusammen auf dieses gemeinsame Ziel hin.
Wer wird Orbán als gemeinsamer Spitzenkandidat herausfordern: Klára Dobrev, die Frau von Gyurcsány und Spitzenkandidatin der DK, oder Budapests Bürgermeister Gergely Karácsony?
Wir haben auch unseren Momentum-Kandidaten, András Fekete-Győr, für das Amt des Ministerpräsidenten. Er arbeitet hart daran, die Vorwahlen zu gewinnen, damit Momentum an die Spitze kommt und den Ton für die Wahlen angibt.
Orbán hat das Wahlrecht kürzlich noch einmal verschärfen lassen, um es der Opposition schwer zu machen, seine Regierung abzulösen. Getrennte Wahllisten sind danach aussichtslos. Hat er sich damit einen Bärendienst geleistet, weil er Sie zur Zusammenarbeit gezwungen hat?
Welche Tricks Orbán auch immer versucht, es werden die Wähler sein, die im Frühjahr entscheiden. Wir müssen uns nur darum kümmern, die Wähler davon zu überzeugen, dass ein westliches Ungarn die Lösung und der richtige Weg in eine erfolgreiche Zukunft ist.
Bei den Lokalwahlen im vergangenen Herbst haben Sie das Modell in vielen Städten erfolgreich erprobt, jeweils der aussichtsreichtsten Oppositionskandidaten zu unterstützen. Was machen sie, wenn sich eine Partei nicht an die Absprachen hält?
Die Wähler werden über ihr Schicksal entscheiden.
Jobbik gibt sich geläutert und gemäßigt. Aber bei einer Lokalwahl in Ostungarn trat kürzlich eine Jobbik-Politiker als gemeinsamer Kandidat der Opposition an und verlor auch wegen früherer antisemitischer Äußerungen. Wie wollen Sie so etwas bei der Parlamentswahl verhindern?
Es wurden Regeln aufgestellt, um zu vermeiden, dass es inakzeptable Kandidaten gibt. Zum Beispiel müssen sie eine Vermögenserklärung, eine Werteerklärung und eine Integritätserklärung abgeben und einen Ethikkodex unterschreiben.
In Umfragen liegt das Oppositions-Bündnis derzeit knapp vor Fidesz. Wie sehen Sie Chancen, dass sie Orbán tatsächlich ablösen können?
Die Menschen sehen und wissen, dass Ungarn zum Westen gehört. Es ist kein Zufall, dass die Unterstützung für die EU-Mitgliedschaft im Vergleich zum restlichen Europa auf einem Rekordhoch ist. Und es ist auch kein Zufall, dass die meisten Menschen über die Einführung des Euro sprechen, die wir in naher Zukunft anstreben.
Welche Unterstützung erhoffen Sie sich von der EU und aus anderen EU-Staaten?
Die EU hilft, wofür wir dankbar sind. Aber lassen Sie uns klar sagen: Wir, die Ungarn, müssen die ungarische Demokratie wiederherstellen und ein gerechtes und humanes Land aufbauen, in dem echte Rechtsstaatlichkeit herrscht.
Anna Júlia Donáth, 33, ist Abgeordnete der oppositionellen sozialliberalen Partei Momentum im Europäischen Parlament.
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