„Ein Zeichen der Unterstützung“ – Pelosis Besuch und die Hoffnung Taiwans
Die Dynamik zwischen China und den USA hat sich verändert, so I‑Chung Lai über die Perspektive Taiwans und die Bemühungen, die chinesische Zwangsdiplomatie abzuwehren.
Das Interview wurde von Christina Sadeler für LibMod geführt.
Beginnen wir mit den Debatten in Taiwan. Es war auffällig, dass die lokalen Medien in Taiwan erst sehr spät mit der Berichterstattung begonnen haben, während international die Debatten schon lange im Voraus begonnen haben und hitzig geführt wurden. Wie wurde der Besuch von Nancy Pelosi in Taiwan in der Öffentlichkeit, in Fachkreisen und unter Politikern wahrgenommen und diskutiert? Und haben sich die Schwerpunkte oder Einschätzungen inzwischen geändert?
Die Diskussionen über den Besuch von Nancy Pelosi sind im Zusammenhang mit dem Zeitpunkt der militärischen Drohungen Chinas zu sehen. Zu Beginn folgten die Debatten über den möglichen Besuch im Wesentlichen den Diskussionen in den Vereinigten Staaten. Denn es gab einige Stimmen in den USA, die meinten, der Besuch sei unnötig oder der Zeitpunkt nicht gut gewählt. Biden selbst sagte sogar, dass das US-Militär die Reise nicht empfiehlt.
Als China dann derart wütend reagierte, änderte sich die ganze Debatte in den USA – ob Pelosi ihren Besuch wirklich wahrmachen oder lieber verschieben sollte. Und auch, wie diese Entscheidung dann von China gesehen würde, ob die USA einen Kompromiss eingehen oder dem Druck Chinas nachgeben würde.
Die Diskussionen innerhalb Taiwans waren anfangs nicht so sehr auf diese Fragen ausgerichtet. Erst später, als sich die Besuchspläne von Pelosi konkretisierten, griffen die Zeitungen die westliche Debatte über den Zeitpunkt des Besuchs und dessen möglichen Folgen für Taiwan auf.
Was die breite Öffentlichkeit betrifft, so begrüßten es die meisten Menschen grundsätzlich, dass eine weitere wichtige US-Politikerin Taiwan besuchen wird. Sie sahen es als ein deutliches Signal, dass die USA Taiwan nicht im Stich lassen.
Die Experten hingegen sprachen vor allem über die Folgen und die mögliche Reaktion Chinas. Sie waren hauptsächlich in zwei Lager geteilt. Das eine mahnte zur Vorsicht und wollte unnötige Provokationen vermeiden, die Taiwan gefährden könnten.
Das andere Lager vertrat im Wesentlichen die Ansicht, dass China Taiwan von seinem internationalen Engagement abhalten will und dass Taiwan diesem Druck nicht nachgeben sollte. Wir sollten auch nicht den Besuch von Pelosi von möglichen Reaktionen Chinas abhängig machen. Wir waren der Meinung, die USA haben das Recht zu entscheiden, ob Pelosi nach Taiwan reist, und es ist Taiwans Recht, sie zu empfangen. Wenn wir Dritten erlauben würden, ein Veto gegen diese Art von Besuchen einzulegen, wären wir nicht mehr in der Lage, weitere internationale parlamentarische Delegationen zu empfangen. Wir glaubten also, dass der Besuch von Pelosi auch Vorteile bringen würde und ein Zeichen für das Engagement der USA und die internationale Unterstützung wäre, auch wenn diese eher symbolisch wäre. Aus diesen Gründen waren wir für den Besuch Pelosis.
Sind die beiden dominierenden politischen Parteien in dieser Frage gespalten?
Die DPP (Democratic Progressive Party; Anmerk. der Red.) ist nicht gespalten, alle unterstützen diesen Besuch. Aber es könnte eine Spaltung innerhalb der KMT (Kuomintang Partei; Anmerk. der Red.) geben. Einige Mitglieder der KMT sind der Meinung, dass Taiwan jetzt zusammenstehen sollte. Nancy Pelosi kommt nicht für die DPP. Ihr Besuch ist ein Signal ihrer Unterstützung für ganz Taiwan. Aber es gibt auch andere Stimmen, die sagen, dass jetzt wirklich ein schlechter Zeitpunkt ist und die sich gegen den Besuch ausgesprochen haben. Das Meinungsspektrum innerhalb der KMT zu dieser Frage war also diverser.
Könnten Sie kurz beschreiben, mit welchen Maßnahmen China reagiert hat und wie Sie diese bewerten?
Es gab natürlich deutliche militärische Reaktionen. Am ersten Tag der angekündigten Übungen wurden Raketen und Flugkörper in die Sperrzonen abgefeuert. Außerdem drangen viele Kampf- und andere Flugzeuge im Nord- und Südwesten in Taiwans Luftraumüberwachungszone ein, einige überquerten sogar die Mittellinie der Taiwanstraße.
Am zweiten Tag wurden keine Raketen mehr abgefeuert, aber China schickte seine Schiffe in die Nähe Taiwans. Die Flugzeuge begannen, sich auf die nordwestliche Seite Taiwans zu konzentrieren, insbesondere in der Nähe von Taoyuan, einer Stadt im Nordwesten.
Auch am dritten Tag sahen wir eine hohe Konzentration von Flugzeugen und Schiffen im Nordwesten Taiwans, ein regelmäßiges Eindringen in die Luftraumüberwachungszone und auch die Mittellinie der Taiwanstraße wurde mehrfach überschritten.
Dies ist jedoch nur eine grobe Zusammenfassung und keine umfassende Auflistung aller Operationen. Außerdem wurden die Übungen auch über den ursprünglich angekündigten Zeitrahmen hinaus fortgesetzt.
Zusätzlich zu den militärischen Übungen gab es zahlreiche Cyberangriffe auf Taiwan, die bereits vor der Ankunft von Nancy Pelosi begannen. Darüber hinaus waren wir mit einer massiven Desinformations- und Narrativkampagne sowie mit schweren Wirtschaftssanktionen konfrontiert.
China reagierte mit Militärübungen, bei denen Raketen abgefeuert und Kriegsschiffe und ‑flugzeuge entsandt wurden. Wie hat die taiwanische Regierung bisher darauf reagiert?
Taiwans Regierung entsandt Schiffe und Flugzeuge, um zu versuchen, China zurückzudrängen und Überschreitungen der Mittellinie möglichst zu verhindern. Mit diesen Maßnahmen sollte vor allem verhindert werden, dass China behaupten kann, es habe bereits einen neuen Status quo geschaffen.
Um der Desinformationskampagne etwas entgegenzusetzen, versuchten verschiedene Ministerien und andere Organisationen, schnell Warnmeldungen zu veröffentlichen, um die Menschen vor den Fake News zu warnen. Was die Wirtschaftssanktionen betrifft, so hat sich die Regierung noch nicht zu Gegenmaßnahmen geäußert. Das Hauptaugenmerk lag zunächst vor allem auf der Frage, wie auf die militärischen Bedrohungen reagiert werden sollte.
Einige Tage nach Beginn der chinesischen Militärübungen wurden das taiwanische Außenministerium und das Verteidigungsministerium in ihrer Kommunikation aktiver, nicht nur gegenüber der taiwanischen Öffentlichkeit, sondern auch international.
Ja, denn wir haben gesehen, dass sich die Situation dramatisch verändert hat. China hatte zunächst angekündigt, vom 4. bis zum 7. August Militärübungen durchzuführen, die später auf den 8. August verlängert wurden. China hat die Übungen dann aber über diesen Zeitplan hinaus fortgesetzt. Da bereits über 150 internationale Flüge annulliert wurden und eine große Anzahl von Handelsschiffen versuchte Taiwan zu umfahren, haben die Ministerien beschlossen, mit diesen Problemen an die Öffentlichkeit zu gehen und ihre Hoffnung auf Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft zum Ausdruck zu bringen.
Was sind aus Ihrer Sicht die möglichen Auswirkungen auf Taiwan, auf die Beziehungen zwischen China und Taiwan und auf die Region?
Hier muss man verschiedene Aspekte betrachten. Was die Beziehungen zwischen China und Taiwan angeht, so hat Chinas Machtdemonstration der ganzen Welt – und auch der taiwanischen Bevölkerung – gezeigt, dass Xi Jinping kein Interesse mehr an einer „friedlichen Wiedervereinigung“ hat. Chinas Büro für Taiwan-Angelegenheiten veröffentlichte gestern ein neues Weißbuch, in dem es zwar heißt, dass „die friedliche Wiedervereinigung nach wie vor das oberste Ziel ist“, aber auch, dass man „auf den Einsatz von Gewalt nicht verzichten werde“. Die heftige militärische Reaktion zeigt, dass China bereit ist, Taiwan entweder zur Unterwerfung zu zwingen oder es militärisch einzunehmen, sollte sich die taiwanische Bevölkerung gegen eine „Wiedervereinigung“ entscheiden. Dies scheint die Botschaft und das Signal von Xi Jinping für die Beziehungen zwischen Taiwan und China zu sein.
Die frühere Einschätzung, dass ein chinesischer Militärangriff auf Taiwan in absehbarer Zeit nicht stattfinden wird, muss revidiert werden. Für uns wirkten die chinesischen Militärübungen so, als ob China diese Gelegenheit genutzt hätte, um ein Blockadeszenario zu erproben. Unsere bisherige Einschätzung, dass eine friedliche Lösung möglich sei, wurde dadurch grundlegend infrage gestellt. Die Frage ist nun, wie lange es dauern wird bis China weiter eskaliert und wie wir ganz akut Chinas aggressives Vorgehen abwehren können, um den Status quo wiederherzustellen.
Was die militärischen Übungen angeht, so scheinen die USA auf die jüngsten Geschehnisse nicht allzu stark zu reagieren. In den Jahren 1995/1996 schickten die USA beispielsweise Kriegsschiffe und zwei Flugzeugträger viel näher heran als momentan. Dadurch konnte China effektiv zurückgedrängt werden. Diesmal haben die USA nur einen Flugzeugträger geschickt, der sich in einer weiter entfernten Position befindet und damit nicht wirklich ein deutliches Signal an China gesendet.
China wollte die Gelegenheit nutzen, um anderen Ländern, einschließlich Taiwan, zu zeigen, dass es keine Angst mehr vor den USA hat. Die Dynamik zwischen China und den USA hat sich verändert. In der Vergangenheit hatten China und die USA noch viele Möglichkeiten, ihre Beziehungen zu gestalten. Jetzt hingegen scheint China die bilateralen Beziehungen in einen offenen Wettbewerb und sogar in eine militärische Feindschaft zu treiben. Die militärische Dimension wird also dramatisch zunehmen.
Und natürlich gibt es auch erhebliche Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Japan und China. Die in Japans exklusive Wirtschaftszone abgefeuerten Raketen waren ein deutliches Warnsignal für Japan. Sie haben Japan gezeigt, dass alles, was mit Taiwan geschieht, auch Japans Sicherheit gefährdet.
Wie Sie sehen, werden diese Militärübungen und die Machtdemonstration erhebliche Auswirkungen auf die politischen Entwicklungen in der Region haben – ganz zu schweigen von den weitergehenden geopolitischen Verschiebungen.
Wie könnte oder sollte die internationale Gemeinschaft und insbesondere die EU vor dem Hintergrund dieser sehr besorgniserregenden Entwicklungen Ihrer Meinung nach zur Deeskalation beitragen und Taiwan unterstützen?
Anstatt über Deeskalation nachzudenken, sollte die EU darüber nachdenken, wie sie Taiwan helfen kann, den Status quo wiederherzustellen, der vor den chinesischen Militärübungen existierte. Denn im Moment respektiert China die Mittellinie der Straße von Taiwan nicht mehr, was unserer Meinung nach eine deutliche Provokation und auch gefährlich für Taiwan ist. Um den Status quo wiederherzustellen, braucht Taiwan die Hilfe der USA, der EU, des Vereinigten Königreichs und anderer Länder.
Zweitens muss die EU Litauen helfen, sich gegen den Druck Chinas zu wehren. Wegen der Unterstützung Taiwans durch Litauen hat China begonnen, alles zu boykottieren, was „Made in Lithuania“ ist, und hat auch Druck auf Unternehmen ausgeübt, nicht mehr mit litauischen Zulieferern zusammen zu arbeiten. China könnte in Zukunft ähnliche Maßnahmen gegenüber Taiwan ergreifen. Meiner Meinung nach muss die EU Litauen mit allen ihr verfügbaren Mittel unterstützen. Gleichzeitig ist es wichtig, ähnliche Schritte gegenüber Taiwan zu antizipieren, Vorsichtsmaßnahmen zu entwickeln und sich auf Szenarien vorzubereiten, wie man reagieren könnte, falls China beschließt, ähnliche Sanktionen gegenüber Taiwan zu verhängen.
Drittens könnte das wirtschaftliche Engagement der EU gegenüber Taiwan verstärkt werden. Wir sehen zwar eine Aufwertung des Austauschs zwischen der EU und Taiwan, aber die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen könnten noch weiter ausgebaut werden.
Darüber hinaus würde ich sagen, dass die EU mit Blick auf die Zukunft intern über mögliche „Hilfspakete für Taiwan“ diskutieren sollte, einschließlich Fragen zur Sicherung von Versorgungswegen, der Lieferung von Material und Ressourcen sowie des Schutzes von Schiffstransporten. Denn wir gehen davon aus, dass China versuchen könnte, Taiwan zu isolieren und dann Schiffstransporte von und nach Taiwan zu blockieren. Die Unterstützung und den Schutz der Sendungen müsste die EU also möglicherweise selbst leisten. Was eine nicht waffenbasierte, militärische Unterstützung betrifft, so wäre Taiwan beispielsweise durch den Austausch nachrichtendienstlicher Informationen geholfen.
Schließlich sollte die EU meiner Meinung nach der Behauptung Pekings, Taiwan sei Teil Chinas, politisch entgegentreten. Die EU sollte deutlich kommunizieren, dass sie eine Ein-China-Politik verfolgt, nicht jedoch Chinas Behauptung unterstützen, Taiwan sei Teil der Volksrepublik – eine Behauptung, die China auch in der UNO bewusst verbreitet.
Dr. I‑Chung Lai ist Senior Adviser des „Taiwan Thinktank“, einer Denkfabrik für Public Policy mit Sitz in Taiwan.
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