Interview mit Arkady Mil-Man – „Eine Achse der Bösen gegen die westliche Welt“

Foto: Imago

Arkady Mil-Man war israe­li­scher Botschafter in Russland und leitet nun der Russland-Programm des Think Tanks Institute for National Security Studies (INSS) in Tel Aviv. Im Interview erklärt er, welche Rolle Russland bei der Attacke der Hamas auf Israel spielte und in welchem Verhältnis das russische und das iranische Regime zueinanderstehen.

Herr Mil-Man, wie hat das russische Regime auf die überra­schende Terror­at­tacke der Hamas am 7. Oktober reagiert?

Unmit­telbar nach dem Angriff hat Putin nicht ein einziges Wort zur Verur­teilung dieses schreck­lichen Terror­an­griffs gesagt. Später gab es zwar eine Menge Äußerungen zur humani­tären Situation in Gaza und Mahnungen, die israe­lische Armee möge doch verhält­nis­mäßig reagieren. Doch das ist Heuchelei. Erst recht, weil Putin auch antise­mi­tische Ressen­ti­ments geschürt hat durch einen Vergleich der israe­li­schen Operation im Gazastreifen mit der Belagerung von Leningrad durch die deutsche Wehrmacht.

Und heute, fast drei Wochen später?

Bis heute hat Putin nicht den Grund für das militä­rische Vorgehen der IDF verur­teilt: dass die Terror­or­ga­ni­sation Hamas Israel infil­triert und über 1400 Menschen brutal getötet, 4800 Menschen verletzt und 229 Geiseln genommen hat. Statt­dessen hat er die USA für die Ereig­nisse im Süden Israel verant­wortlich gemacht, da diese angeblich die Inter­essen der Paläs­ti­nenser, einschließlich der Notwen­digkeit eines unabhän­gigen, eigenen Staates, zu ignorieren würden. Das passt zu Putins Antiamerikanismus.

In welchem Verhältnis steht das russische Regime zur Hamas?

Russland stuft die Hamas nicht als Terror­or­ga­ni­sation ein, sondern als legitimen politi­schen Akteur. Die beidsei­tigen Kontakte gehen auf das Jahr 2006 zurück. Damals hatte die Hamas die Wahlen im Gaza Streifen demokra­tisch gewonnen. Seitdem gibt es gute Kontakte zu Russland. Hochrangige Delega­tionen haben sich in Moskau oder in arabi­schen Ländern getroffen. Gestern (am 26.10., Anm. d. Red.), hat eine von Abu-Marzook angeführte Hamas-Delegation Moskau besucht und den stell­ver­tre­tenden Außen­mi­nister Russlands getroffen.

Was wissen Sie über beidseitige Verbin­dungen in Bezug auf die Terror­at­tacke vom 7. Oktober?

Am Tag nach der Terror­at­tacke auf Israel hat ein führender Hamas-Funktionär dem arabi­schen Fernseh­pro­gramm von Russia Today ein Interview gegeben. Ali Baraka, hat darin mitge­teilt, dass die russische Führung der Hamas die Lizenz zur Herstellung von Kalasch­nikows und entspre­chender Munition gewährt hatte. Unter anderem dieser Typ Maschi­nen­ge­wehre war am 7. Oktober verwendet worden. Zudem behauptete Baraka, eine halbe Stunde nach Beginn der Terror­at­tacke auf Israel, hätte die Hamas ihre Kontakte in Moskau infor­miert und Sympathie und Unter­stützung für den Angriff erhalten. Dieses Statement wurde von russi­scher Seite nicht demen­tiert. Das ist auffällig – denn immerhin handelt es sich bei Russia Today um einen Propa­ganda Kanal des Kreml.

Gibt es weitere Kontakte?

Wagner-Söldner werden verdächtigt, Hamas- und Hisbollah-Terro­risten im Libanon und in Syrien ausge­bildet zu haben. Zudem haben die Hamas und der Paläs­ti­nen­sische Islamische Jihad über 130 Millionen US-Dollar über Krypto-Börsen erhalten, die von Russland kontrol­liert werden. Darüber hinaus befindet sich die die Domain der Hamas-Website seit einiger Zeit auf russi­schen Servern. Es gibt also durchaus Verbin­dungen – auch wenn das russische Regime immer wieder vorgibt, davon nichts zu wissen.

Die Hamas wird maßgeblich vom irani­schen Regime unter­stützt und aufge­rüstet. Wie charak­te­ri­sieren Sie die Bezie­hungen zwischen Moskau und Teheran?

Als Putin 2000 an die Macht kam, begann man, die Bezie­hungen zum Iran neuen Schwung zu geben. Das waren aber asymme­trische Bezie­hungen. Denn vor allem wollte der Iran etwas von Russland: Waffen, Militär­tech­no­logie und speziell auch Unter­stützung für die Entwicklung des Atompro­gramm. Insgesamt hatte Russland damals aber das Interesse, den Iran nicht zu stark zu unterstützen.

Zu einer stärker Annäherung kam es nicht nur, weil Russland immer autori­tärer und totali­tärer wurde, sondern gerade auch im Zuge der Sanktionen aufgrund der Krim-Annexion 2014 und vor allem nach dem 24. Februar 2022. Russland wollte nun heraus­finden, wie das iranische Regime mit den vom Westen verhängten Sanktionen umgegangen ist. Nach Beginn der Ukraine-Invasion und den darauf­fol­genden Sanktionen hat der Iran Russland dann mit offenen Armen empfangen. Nun begann eine neue Phase der Zusam­men­arbeit. Man braucht einander.

Was genau sind die zentralen Inter­essen und Geschäfte?

Russland ist inzwi­schen teilweise auf die Lieferung irani­scher Waffen angewiesen. Das sind insbe­sondere Drohnen (Unmanned Aerial Vehicles, UAV), aber auch verschie­denen Arten von Raketen, Kugeln und Granaten. Zudem hat der Iran beim Bau einer Drohnen­fabrik östlich von Moskau geholfen. Nach wie vor hat das russische Regime das Interesse davon zu lernen, wie es dem Iran gelingt, Sanktionen zu vermeiden und zu umgehen. Das russische Finanz­system, das vom SWIFT-Trans­ak­ti­ons­system ausge­schlossen ist, ist inzwi­schen mit dem irani­schen Finanz­system verbunden. Mittler­weile gibt es auch eine stärkere Zusam­men­arbeit zwischen zivilen Unter­nehmen. Im Sommer letzten Jahres zum Beispiel stammten in der 20-Millionen-Metropole Moskau sogar sämtliche Gurken aus dem Iran.

Beide Regime haben ein enormes Sendungs­be­wusstsein, sitzen aber gar nicht so fest im Sattel. Das macht auch die Zusam­men­arbeit dynamisch. Wo sehen Sie Inter­es­sens­kon­flikte zwischen den beiden Mächten?

Die westlichen Sanktionen gegen russi­sches Öl haben Russland nach alter­na­tiven Märkten suchen lassen. Nur so kann es seinen Krieg gegen die Ukraine zu finan­zieren, für den Putin keine Ausstiegs­stra­tegie hat. Da steht nun vor allem China, das seinen eigenen Inter­essen folgend Öl sowohl aus Russland als auch aus dem Iran kauft. Dazu kommen Russlands Bezie­hungen zu Saudi-Arabien mit dem Zweck, den Ölpreis oben zu halten.    Außerdem gibt es einen Streit zwischen Iran und den Emiraten um einige Inseln im Persi­schen Golf. Da Russland die Bezie­hungen zu den Emiraten wegen unter dem Radar der Sanktionen laufenden Wirtschafts­be­zie­hungen sowie der vielen Russen vor Ort wichtig sind, stellt man sich auch in dieser Frage gegen das iranische Interesse. In der Berg-Karabach-Frage gab es ebenfalls Inter­es­sen­kon­flikte sowie auch in Syrien, das in verschiedene Einfluss­ge­biete unter­teilt ist.

Für wie stabil halten Sie die Beziehung zwischen Russland und dem Iran? 

Wie lange die Ehe noch dauert, wissen wir nicht. Als unter Sanktionen stehende Paria-Staaten bilden die Regime aktuell eine gegen die westliche Welt positio­nierte Achse des Bösen. In der Zukunft besteht jedoch die Chance, dass sich beide für eine Scheidung entscheiden. Sollte es zu einem drama­ti­schen Wandel innerhalb des russi­schen Regime oder gar zu einem Ende des Putinismus kommen, würden sich selbst­ver­ständlich auch die Bezie­hungen zum Iran ändern. Umgekehrt gilt das auch für bedeu­tende Verän­de­rungen innerhalb des irani­schen Regime und auch im Iran.

Der Atomkon­flikt mit dem Iran ist nach wie vor ungelöst. Was ist Russlands Interesse, Rolle und Einfluss in dieser Auseinandersetzung?

Ohne Zweifel hat Russland dazu beigetragen, das iranische Atompro­gramm zu stärken. Für Putin ist das Chaos auf der inter­na­tio­nalen Bühne die beste Lösung für seine internen Probleme. In Israel sind wir sehr besorgt, dass Russland dem Iran helfen wird, sein Atompro­gramm fertig­zu­stellen. So etwa über die Techno­logie zu Herstellung von Atomwaffen, zu ihrer Aktivierung oder zum Bau von Raketen mit nuklearen Sprengköpfen.

Im Moment hat sich der Iran noch nicht für den Bau einer Atombombe entschieden, steht aber kurz davor. Das heißt, noch kann das Regime von der inter­na­tio­nalen Gemein­schaft davon abgehalten werden. Eine iranische Atombombe bedroht nicht nur die Sicherheit Israels existen­ziell und würde nicht nur die Archi­tektur des Nahen Ostens, sondern auch die gesamten Weltordnung verändern. Russland gibt vor, kein Interesse zu haben, dem Iran die Atombombe zu ermög­lichen. Die Realität ist aber komplizierter.

Vor dem Hinter­grund des aktuellen Krieges Israels gegen die Hamas und der Möglichkeit einer regio­nalen Eskalation – wie blicken Sie auf das Potential eines neuen Atomabkommens?

In den ersten Monaten des Krieges gegen die Ukraine gab es noch Kontakte zwischen Russen und Ameri­kanern mit dem Ziel, zum JCPOA zurück­zu­kehren. Der russische Gesandte bei der Inter­na­tio­nalen Atomener­gie­be­hörde (IAEA) zum Beispiel war hier sehr aktiv. Doch nach dem Massaker in Butscha wurden diese Bemühungen gestoppt.

Und heute?

Wir befinden uns in einer Situation mit immensen Spannungen. Im Gaza-Streifen, mit der Hisbollah an der Nordgrenze Israels, mit zwei US-Flugzeug­träger im Mittelmeer und Präsident Bidens klarer ausge­spro­chener Warnung an den Iran – seine beiden „Don’ts“ – , briti­schen Schiffen und sogar einer deutschen Einheit auf Zypern und wieder­holten Angriffen auf US-Militär­stüt­zunkte in Syrien und im Irak.  In einer solchen Situation ist es einfach unmöglich, mit dem Iran Gespräche oder Verhand­lungen wieder­auf­zu­nehmen. Eine Einigung im Atomkon­flikt liegt also auf Eis, und wir müssen sehen, was die kommenden Entwick­lungen in der Region sind. Wenn es gelingt, diese Spannungen abzubauen, dann gibt es vielleicht wieder Chancen auf ein Abkommen.


 

Das Interview wurde am 24. Oktober 2023 geführt und am 27.10. auf Aktua­lität geprüft. 

Arkady Mil-Man leitet beim israe­li­schen Think-Tank Institute for National Security Studies (INSS) das Russland-Programm. Von 2003 bis 2006 war er israe­li­scher Botschafter in Russland und von 1997 bis 2000 in Aserbai­dschan. Aktuell berät er Streit­kräfte und Regierung beim militä­ri­schen Vorgehen.

 

 

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