Wir müssen jetzt handeln, sonst ist es das Ende unserer demo­kra­ti­schen Ordnung

Foto: Tobias Kunz

„Welcher Frieden? Die Ukraine und wir“ – zwei Fragen, die grund­le­gender nicht sein könnten, standen im Fokus unserer inter­na­tio­nalen Konferenz, der dritten seit der russi­schen Voll­in­va­sion der Ukraine im Februar 2022: Was bedeutet der Krieg in der Ukraine für den Westen, und welche Ziele muss eine künftige Frie­dens­ord­nung erfüllen?

Während der Westen seiner Unter­stüt­zung der Ukraine zunehmend müde wird und die Stimmen der selbst­er­nannten ‚Pazi­fisten‘ auf deutschen Straßen und in Landtagen immer laut­starker „Frieden“ rufen – damit aber die faktische Unter­wer­fung der Ukraine meinen – steuern die Menschen in der Ukraine auf einen harten Winter zu. Putin setzt Kälte als Waffe ein und baut auf Zermür­bung und Angst.

Frieden ist nur aus mili­tä­ri­scher Stärke heraus möglich

Wolodymyr Selenskyj hat gerade seinen lang geheim gehal­tenen „Sieges­plan“ in Washington und beim EU-Gipfel vorge­stellt und dafür viel Kritik geerntet. Zentrale Punkte sind unter anderem: Die Ukraine muss in euro­päi­sche und trans­at­lan­ti­sche Bündnisse einge­bunden sein, und sie kann nur aus einer Position der mili­tä­ri­schen Stärke heraus mit Russland verhan­deln. Das bedeutet notwen­di­ger­weise, dass sie – übrigens in Einklang mit dem Völker­recht – Flug­plätze innerhalb Russlands angreifen kann, um ihren Luftraum effektiv zu schützen.

“What we are trying to avoid is the so-called World War II Russian narrative of nuclear deter­rence. It has seeped into our psyche and nourishes the Russian narrative. We have been asleep the last two years. What is driving this strategic fog is fear. The conclu­sions we draw from history are the wrong ones. Sometimes you have to escalate in order to dees­ca­late. Ukraine can win. We can turn ever­y­thing around in Ukraine the next year.“ Alina Polyakova

Ein effek­tiver Schutz wäre auch die ange­strebte NATO-Mitglied­schaft der Ukraine. Das ist nicht nur im Interesse der Ukraine, es ist nicht nur im Interesse der Balkan­staaten sowie der balti­schen Länder, sondern es ist auch im Interesse ganz Europas und des frei­heit­li­chen Westens. Es ist im urei­gensten Interesse Deutschlands.

Die Sicher­heit der Ukraine ist unsere Sicherheit

Für Putin ist die Ukraine nur der Anfang, das macht er sehr klar und hörbar deutlich. Doch wir igno­rieren die Realität und weigern uns noch immer, entschieden zu handeln. Dabei ist Entschie­den­heit jetzt die einzige Möglich­keit, einen weitaus größeren Krieg zu verhin­dern und unsere demo­kra­tisch-frei­heit­li­chen Werte, die globale Welt­ord­nung sowie auch unsere eigene Bevöl­ke­rung zu schützen. Um unsere Zukunft zu sichern. Die gute Nachricht ist: Wenn wir jetzt entschlossen und nicht zu zögerlich sind, lässt sich das erreichen. Dann, aber nur dann, kann die Ukraine gewinnen. Es liegt an uns. Tun wir das nicht, geht der Krieg weiter. Und er wird weitaus kost­spie­liger und gefähr­li­cher, als er jetzt schon ist.

Die Ukraine braucht also nicht nur uns. Auch wir brauchen die Ukraine.

„Es gibt Kräfte in der deutschen Bevöl­ke­rung, die uns weis­ma­chen wollen, dass uns Ukraine nichts angeht. Die Ukraine vertei­digt auch unsere euro­päi­sche Sicher­heit und die inter­na­tio­nale regel­ba­sierte Ordnung. Der Ausgang dieses Krieges wird Antwort darauf geben, ob es im 21. Jahr­hun­dert möglich sein wird, Grenzen gewaltsam zu verschieben. Putins Kriegs­ziel beschränkt sich nicht auf die Ukraine, es geht Putin um ein Scheitern der NATO und Scheitern der inter­na­tio­nalen Ordnung. Er möchte diese Systeme durch die eigenen Einfluss­sphären ersetzen und seinen Einfluss mit Gewalt und mit mili­tä­ri­scher Stärke durch­setzen. Ein Frieden auf einer solche Grundlage ist nicht nach­haltig, solange Moskau nicht zu terri­to­rialer Inte­grität und Souve­rä­nität bereit ist.“ Tobias Lindner

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Auch wenn es uns nicht gefällt: Wir sind längst im Krieg mit Russland

Es ist schon jetzt nicht nur ein Krieg in der Ukraine: Desin­for­ma­ti­ons­kam­pa­gnen, Morde, Sabo­ta­ge­akte, Cyber­at­ta­cken und Spionage... All das ist Teil des hybriden Krieges, den Russland bereits seit Jahren gegen den Westen führt: Gegen die NATO und vor allem gegen Deutsch­land. Und das auch, weil wir – anders als die Balkan­staaten, anders auch als Polen – dem Putin­schen Narrativ aufsitzen und seiner Angst und Unsi­cher­heit nährenden Rhetorik in die Fänge laufen.

“The leader­ship in the US is either unable or unwilling to under­stand the changes. Our security, our trans­at­lantic security and our peace is being threa­tened by two powers: China and Russia. If we don’t stop them in Ukraine, we have to face them somewhere else. The admi­nis­tra­tion in the US and Germany have enforced their weakness. They have managed to do this by playing up the Russian nuclear threat.” John E. Herbst

Während deutsche Politiker nicht müde werden zu betonen, was sie alles nicht tun werden, um Putin nicht zu erzürnen und das von ihm geschickt herauf­be­schwo­rene Gespenst eines nuklearen Krieges nicht Realität werden zu lassen („Keine Angriffe auf russi­sches Staats­ge­biet“, „Wir befinden uns nicht im Krieg mit Russland“), wieder­holt Russland sehr klar, gegen wen es Krieg führt: Es ist nicht allein die Ukraine, es ist der Westen, es sind wir.

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Allianz mit west­li­chen Demokraten

Während der Ausgang der Wahlen in den USA bevor­steht und kaum absehbar ist, was das für Europa, für die NATO und die Bündnisse der west­li­chen Demo­kra­tien bedeutet, laufen die Aufnah­me­pro­zesse der Ukraine in die Euro­päi­sche Union zwar auf Hoch­touren, sind aber kompli­ziert und lang­wierig. Dabei wäre auch eine rasche Aufnahme der Ukraine in die EU von zentraler Bedeutung. Man könnte meinen, die Widrig­keiten und der grausamen Reali­täten des Krieges hätten die Ukraine in ihrer Bemühung um eine Aufnahme in die EU geschwächt. Das Gegenteil ist der Fall: Die Demo­kra­ti­sie­rungs­pro­zesse erfahren weiterhin große Unter­stüt­zung der Zivilgesellschaft.

Globale Allianzen der Autokraten

Derweil hat Russland längst seine Allianzen mit anderen Auto­kraten geschlossen und verfolgt eine klare Strategie, etwas, das uns fehlt. Russland greift mit irani­schen Drohnen die Ukraine an, wird unter­stützt von China, und der südko­rea­ni­sche Geheim­dienst geht davon aus, dass Soldaten aus Nordkorea in Russland für den Krieg in der Ukraine trainiert werden. Nicht zu vergessen die engen Allianzen mit Belarus, das eine Grenze mit Lettland, Litauen und Polen teilt, an der Putin Migranten als Waffen einsetzt. 

„Wo gibt es einen Aufschrei darüber, dass Nordkorea in den Krieg einge­griffen hat? Wo gibt es einen Aufschrei über die Allianz mit Iran? Wir haben eine Moskau­con­nec­tion in Deutsch­land. Das müssen wir auch aufar­beiten. Die Forderung von uns an Russland muss eine Aner­ken­nung des Exis­tenz­recht seiner Nach­bar­staaten sein. Wir müssen einen Abzug der Nukle­ar­waffen in Kali­nin­grad fordern. Wir müssen fordern, Georgien wieder zu stabi­li­sieren. Frieden kann nur in Freiheit und Sicher­heit sein.“ Roderich Kiesewetter

Um was es dabei geht, ist nicht trivial: Es geht um unsere Sicher­heit, um unsere Freiheit, um unsere demo­kra­ti­schen Werte. So zynisch es klingt: Die Ukraine jetzt entschieden zu unter­stützten, ist die preis­wer­teste Art, uns selbst zu schützen.

“The cheapest way to help Ukraine is to give all weapons at once. You will pay less if you pay it all at once. The worst scenario is to make a deal on the basis of giving up. Then as a conse­quence, in eight years from now, we will have another war. We have a whole gene­ra­tion of people to lose. It is important to think stra­te­gi­cally but not on the basis of fear. Because that is what Putin expects.” Inna Sovsun

Das bedeutet: Waffen nicht nach dem Prinzip „too little, too late“ zu schicken, ziel­füh­render wäre es, der Ukraine alle Waffen auf einmal zu geben und ihr zu erlauben, nicht nur die Raketen abzu­fangen, sondern sie dazu zu befähigen, den Rake­ten­werfer selbst zu treffen. Indem sie also Flug­plätze innerhalb Russlands angreift.

Resilienz der Ener­gie­infra­struktur stärken

Bislang kann sich die Ukraine gegen die Angriffe Russlands nur begrenzt schützen und so kosten die täglichen Angriffe in der Ukraine nicht nur immer mehr Menschen­leben, Russland zerstört dabei auch gezielt die ukrai­ni­sche Ener­gie­infra­struktur. Der Ukraine steht ein Winter bevor, der zum schwersten seit Beginn der russi­schen Voll­in­va­sion zu werden droht. Moskau setzt Kälte als Waffe ein. Die Resilienz der ukrai­ni­schen Infra­struktur einer­seits zu stärken und ande­rer­seits zerstörte Teile wieder­auf­zu­bauen, ist also zentral. Wobei der Schutz preis­werter ist als ein Wieder­aufbau. Schutz gelingt aber nur aus mili­tä­ri­scher Stärke heraus.

Miss­bräuch­li­cher Friedensbegriff

Nur aus dieser mili­tä­ri­schen Stärke heraus ist auch ein Frieden denkbar, der diesen Namen überhaupt verdient. Dort, wo russische Truppen ukrai­ni­sches Gebiet bereits besetzen, herrscht das, was dem Rest des Landes droht, sollte Russland weiter vorrücken: Mord, Folter, Entfüh­rung. Also kein Frieden. Denn Frieden muss nicht nur nach­haltig sein, sondern er muss notwen­di­ger­weise auch Freiheit und Sicher­heit beinhalten. Doch genau dieser Frieden wird von Russland abgelehnt. Alle Bemü­hungen des Westens, mit Moskau zu verhan­deln, liefen bislang ins Leere. Unge­achtet dessen richten sich die Frie­dens­for­de­rungen erstar­kender illi­be­raler Kräfte von BSW und AfD sowie der lauter werdenden Stimmen auf deutschen Straßen nicht an Putin, sondern an die Ukraine.

„Wir müssen unsere Stärke als demo­kra­ti­sches Land beibe­halten. Russland inves­tiert viel, um Demo­kra­tien zu zerstören und desta­bi­li­sieren. Wir sehen das Gift extre­mis­ti­scher Verein­fa­chung: AfD und BSW verbreiten dieses Gift mit ihren Botschaften. Wir könnten eine Menge tun, aber nur, wenn wir stabil demo­kra­tisch bleiben. Wir dürfen nicht der Versu­chung erliegen, poli­ti­sche Eska­la­tion zu nähren. Wir stehen vor der Entschei­dung zwischen liberaler Demo­kratie und Auto­kratie. Das ist nicht trivial, dabei geht es um alles.“ Robin Wagener

Sie wieder­holen Putins Propa­ganda und fordern eine de facto-Kapi­tu­la­tion der Ukraine, die verhee­rend auch für unsere eigene Sicher­heit wäre. Denn Putin wird weitermachen.

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Den Menschen die Wahrheit zuzumuten ist Aufgabe von Politik

Genau das der deutschen Bevöl­ke­rung zu erklären, erwachsen mit mündigen Wählern umzugehen und unan­ge­nehme Wahr­heiten auszu­spre­chen, wäre Aufgabe von Politik. Denn die Wahrheit ist den Menschen zumutbar. Nur wer sie kennt, kann die richtigen Schlüsse ziehen und eigene Entschei­dungen treffen.

„Umfragen zeigen: Wenn Politik ehrlich ist und eine ehrliche Sprache spricht, dann gelingt es auch, Mehr­heiten in der Politik für die richtigen Hand­lungen zu finden. Wir brauchen diese Debatten. Wir leben in Zeiten, in denen sich die Frage stellt, ob unsere Kinder und Enkel­kinder noch in Frieden, Sicher­heit und Demo­kratie leben können. Darauf kommt es heute an.“ Agnieszka Brugger

Statt­dessen werden Putinsche Angst­nar­ra­tive wieder­holt und die Rhetorik des Kremls damit zu einer weitaus wirk­sa­meren Waffe, als es jede noch so moderne iranische Drohne es sein kann.

„Bundes­kanzler Scholz hätte den Befürch­tungen der Bevöl­ke­rung entge­gen­treten sollen und nicht durch ein Zurück­wei­chen den Aggressor zu ermutigen. Er hätte klar sagen sollen, was wir hier vertei­digen. Johann David Wadephul

Bislang sitzen wir Putins Spiel auf. Wir spielen es mit und über­nehmen ängstlich die uns zuge­dachte Rolle. Dabei braucht es dringend einen grund­sätz­lich anderen Blick auf den Krieg in der Ukraine und auf Russland. Moskau führt mitten im 21. Jahr­hun­dert einen impe­ria­lis­ti­schen, einen kolo­nia­lis­ti­schen Krieg.

“Impe­ria­lism is in many ways seen as Western impe­ria­lism. So it is about colo­ni­zing the distant ones, that’s the narrative. The racist projec­tion is: You cannot overcome the diffe­rence, because the diffe­rence is racial. Instead, the Russian colo­nia­liza­tion is about the colo­nia­liza­tion of the enclosed ones. The narrative is: ‘You are not different to me, but you are the same as me. So it is about assi­mi­la­tion.” Volodymyr Yermo­lenko

Statt das zu verstehen, herrschen in Deutsch­land noch immer roman­ti­sie­rende Russ­land­bilder vor. Es braucht einen Perspek­tiv­wechsel, einen grund­sätz­li­chen. Wir müssen erkennen: Der Ukraine-Krieg ist unser Krieg. Es ist ein globaler Krieg, der nur durch mili­tä­ri­sche Stärke und gemeinsam als eine Allianz aus Demo­kraten gewonnen werden kann. Dazu brauchen wir die Ukraine genauso wie sie uns. Wir müssen handeln. Genau jetzt. Entweder erwacht Europa nun aus dem Tief­schlaf, oder es ist das Ende der euro­päi­schen Werte und der Ordnung, mit der wir aufge­wachsen sind.

“The situation is dark, but the only chance we have is by fighting united and by having no fear.” Lesia Ogryzko

“There is no other way for the West to survive than to become more active and decisive. Stop listening to Putin and start listening to the voice of reason.” Inna Sovsun

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