NARRATIV-CHECK
Was hinter radikalisierenden Botschaften steckt.
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NARRATIV-CHECK
Was hinter radikalisierenden
Botschaften steckt.
Popkultur von rechts
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Einführung
Kultur als Trainingslager
von Felix Schilk
Popkultur von rechts
Einführung
Kultur als
Trainingslager
von Felix Schilk
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Gigi D’Agostinos Song als rechtsextremer Cover-Hit, der „Deep State“ als Endgegner im Computerspiel oder Tradwives auf Instagram – rechte Vorstellungs- und Lebenswelten finden sich in fast allen kulturellen Produkten. Insbesondere die > Neue Rechte verfolgt ein Konzept, in dem der Einfluss auf die Kultur als essenziell für die Erringung der politischen Macht verstanden wird. Rechte bis rechtsextreme Bewegungen bedienen sich dafür einer partizipativen Kultur, die ihre politische Dominanz sichern soll.
Kultur bezeichnet vom Menschen geschaffene und veränderte Artefakte. Als Sammelbegriff steht sie für die voneinander abgrenzbaren Praktiken verschiedener Gruppen wie Sprache, Bräuche und Traditionen. Neben der Hochkultur, die die Bereiche der schönen Künste, der Musik und der Literatur umfasst, spielt vor allem die Alltags- oder Massenkultur eine wichtige Rolle im täglichen Leben. Kultur ist mit Lebensweisen verknüpft, liefert Deutungsmuster und Handlungsroutinen für Krisen und Konflikte und transportiert Werte und Normen, nach denen die Menschen ihr Handeln ausrichten können. Kultur regelt, welches Verhalten in welcher Situation als angemessen gilt. Sie zieht Grenzen und definiert Tabus, deren Missachtung sozial sanktioniert wird.
Eine der wirkmächtigsten und alltäglichsten Formen einer solchen Kultur sind Geschlechterrollen und Familienformen, die durch Erziehung, gesellschaftliche Erwartungshaltungen und wirtschaftliche Zwänge geprägt werden: Wie viele von ihnen gibt es? Wer übernimmt dort welche Aufgaben? Was ist männlich? Was ist weiblich? Wie soll ich mich verhalten? Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass die Antworten darauf immer wieder neu ausgehandelt werden. Kultur ist Moden unterworfen und verändert sich permanent. Sie ist Teil von politischen Kämpfen und ein Indikator für gesellschaftliche Wertewandel wie Liberalisierungen oder konservative Backlashs.
Für politische Bewegungen ist die Kultur deshalb ein wichtiges Aktionsfeld. Emotionen und Stimmungen, die politische Mobilisierungen hervorrufen sollen, können in kulturellen Produkten symbolisch verdichtet und so über längere Zeit hinweg abgerufen werden. Da Kultur auch zur Unterhaltung konsumiert wird, bietet sie eine Chance, politische Ideologien subtil und mit aktiver Beteiligung der Bevölkerung zu vermitteln. Das gilt vor allem für das Internet, wo die Grenzen zwischen Produzent:innen und Konsument:innen von Inhalten verschwimmen. Kulturelle Produkte werden dort besonders schnell reinterpretiert und in völlig neue Kontexte gestellt. Kultur lebt einerseits von Partizipation und kreativer Aneignung, ist zugleich aber auch anfällig für politische und propagandistische Aufladung.
Marken, Ikonen und Subkulturen
Ein Beispiel dafür ist der Personenkult um autoritäre Politiker:innen. Im US-Wahlkampf ist Donald Trump zum Beispiel längst zu einer Marke geworden, seine Slogans prangen auf Tassen, T‑Shirts und Mützen. Diese Art der Inszenierung ist auch von Diktatoren wie Wladimir Putin bekannt. Derartige politisch-ikonische Inszenierungen bergen jedoch immer auch die Gefahr, zum Gegenstand von spöttischen und satirischen Gegendarstellungen zu werden.
Neben diesen Obrigkeitskulten gibt es auch kulturelle Bewegungen von „unten“. In der neonazistischen Subkultur werden vor allem Musik (s. auch Artikel „Von Gigi zu Gigi. Rechtsrock im Wandel“) oder Klamotten (s. auch Artikel „Fashion und Faschismus“) mit einschlägigen Botschaften produziert, die ein rechtes Lebensgefühl vermitteln und zur Identitätsbildung beitragen. Konzerte, Kampfsportveranstaltungen und Festivals sind nicht nur Freizeitaktivitäten, sondern dienen auch der Rekrutierung und Initiation von Neumitgliedern und der Vernetzung von Aktivist:innen. Ein relativ neues Phänomen sind sogenannte Active Clubs, in denen gemeinsam trainiert und gewandert wird. Im Vordergrund steht hier zunächst das Gemeinschaftsgefühl im männlichen Kollektiv. Die politische Ideologie soll erst später vermittelt werden.
Ähnlich funktioniert die rechtsextreme Ansprache im Netz. Wo der Kampfsport für die analoge Auseinandersetzung mit politischen Gegner:innen auf der Straße vorbereiten soll, dienen das provokative Trolling, also das absichtliche „Zündeln“ und Verärgern durch Kommentare in Online-Communities, und die Verbreitung von rechten > Memes wie zum Beispiel vom Account „Wilhelm Kachel“, dazu, einen aggressiv-kämpferischen Lebensstil einzuüben und die damit verbundene Weltanschauung zu verinnerlichen. Durch vielfältige rechtsextreme Lebenswelten werden rechtsextreme Einstellungen normalisiert und die Loyalität zu einer rechten Szene gefestigt.
Vom Kulturverfall zur Kulturpropaganda
Grundsätzlich gilt, dass für die politische Rechte die Bewertung der Gegenwartskultur eine zentrale politische Frage ist. Denn zum Kern des rechten Denkens gehört die Vorstellung, dass es sich bei der Geschichte der Menschen um einen andauernden „Kulturverfall“ handelt. Gemeint ist damit die Beobachtung, dass kulturelle Praktiken und Produkte, die zuvor nur für einen kleinen Kreis zugänglich waren, nun allgemein verfügbar werden. Rechte Kulturkritiker fürchten, dass in diesem Prozess kulturelles Wissen verloren geht oder das Niveau abnimmt. Hinter dieser Geschichtsdeutung steht ein Menschenbild, das von Hierarchien und Ungleichheit geprägt ist. Geht man hingegen davon aus, dass allen Menschen die gleichen Rechte und Chancen zustehen sollen, dann kann man den allgemeinen Zugang zur Kultur auch als einen Maßstab für gesellschaftliche Demokratisierung verstehen.
Historisch steht der Faschismus für einen grundlegenden Wandel im rechten Kulturverständnis. Einerseits war für die faschistische Propaganda das Bild des „Kulturverfalls“ besonders wichtig, für den sie den Liberalismus und „die Juden“ verantwortlich machte. Andererseits verstanden es die faschistischen Bewegungen, die modernen Kommunikationsmittel und die Massenkultur zu nutzen. Die rechte Kulturpolitik ist seitdem durch eine Spannung gekennzeichnet: Programmatisch verweist sie gern auf Traditionen und klassische Hochkultur. Nach außen inszeniert sie sich häufig als disziplinierte Elite mit harten Aufnahmeritualen. Im Rahmen der politischen Agitation ist sie aber andererseits auch bereit, niedrigschwellige und vulgäre Formen der Kulturproduktion zu instrumentalisieren. Die meisten zeitgenössischen rechten Bewegungen betreiben daher eine vielfältige Kulturpropaganda für ganz unterschiedliche Zielgruppen.
Besonders deutlich zeigt sich das an der sogenannten Neuen Rechten und ihrer Strategie der > Metapolitik. Damit ist primär der Kampf um eine > kulturelle Hegemonie gemeint, also die Verdrängung von progressiven und liberalen Einflüssen auf die Kultur und ihre Ersetzung durch rechte Werte. Um eine radikal rechte Politik gesellschaftlich durchsetzen zu können, so die Überlegung, muss sie zuvor enttabuisiert und danach normalisiert worden sein. Dieses > Mainstreaming kann auf vielfache Weise geschehen: durch permanente Grenzüberschreitungen und inszenierte Skandale, durch die strategische Besetzung von Begriffen, durch die Vermittlung von rechten Lebensstilen durch Influencer:innen (s. auch Artikel „Tradwives: Zwischen ‚traditioneller Hausfrau‘ und Antifeminismus“) oder auch durch die Förderung und Verbreitung von scheinbar unpolitischen Szenen und Produkten, die sich von rechts vereinnahmen lassen.
Die Politisierung des Alltags
Die Liste derartiger kultureller Referenzen im zeitgenössischen Rechtsextremismus ist lang. Im Internet greifen rechtsextreme Aktivist:innen gern bereits bekannte Symbole auf, lösen sie aus ihrem ursprünglichen Kontext und stellen sie in den Dienst ihrer politischen Projekte. Prominente Beispiele dafür sind die Comic-Serie „300“ oder Pepe der Frosch (s. auch „Emoji-Legende“). Die Symbolik von „300“ wurde von der rechtsextremen Identitären Bewegung adaptiert. Der grüne Frosch wurde zum Erkennungszeichen der US-amerikanischen Alt-Right-Bewegung und deshalb von der Menschenrechtsorganisation Anti-Defamation League als Hass-Symbol eingestuft.
Diese Aneignung kultureller Symbole und ihre Politisierung funktioniert online wie offline: In den Landtagswahlkämpfen in Thüringen und Sachsen posierten zum Beispiel zahlreiche AfD-Politiker mit den bei Jugendlichen beliebten DDR-Mopeds der Marke „Simson“, das sie als Gegenmodell zu einem grünen „Lastenrad-Lifestyle“ stilisierten. Die symbolische Besetzung dieses Alltagsgegenstands sollte die Identifikation mit den Politikern ermöglichen und die Empfangsbereitschaft für rechtsextreme Positionen erhöhen.
Auch Filme und Romane, die von alternativen Gesellschaften und großen Konflikten erzählen, sind ein beliebtes Materialarchiv für rechte Memes und stellen Deutungsmuster bereit, die rechtsextreme Aktivist:innen im kulturellen Mainstream verankern wollen. Die filmischen und literarischen Motive, in denen eine verschworene Gruppe gegen ein ungerechtes System kämpft, können zum Beispiel als politischer Kommentar auf die Gegenwartsgesellschaft gelesen werden. Im Grunde sind aber alle Erzählungen, die klare Hierarchien und starre Geschlechterrollen sowie traditionelle Moralkodizes wie Ehre, Treue und Pflichterfüllung enthalten, anfällig für rechte Lesarten (s. auch Artikel „Lektüre- und Vermarktungsstrategien der Neuen Rechten“). Neurechte Metapolitik will diese Muster im Alltag verankern und andere Weltzugänge lächerlich machen.
Fazit
Rechtsextreme Kulturpolitik ist vielgestaltig. Neben genuin rechtsextremen Subkulturen, in denen einschlägiger Content für eine rechtsextreme Zielgruppe produziert wird, gibt es Szenen und Communities, die an einzelne Inhalte von rechten Weltanschauungen ideologisch anschlussfähig sind. Dazu gehören vor allem nostalgische Vorstellungen von Heimat, Tradition und Geschlecht, apokalyptische Geschichtsbilder, Rechtfertigungsideen wie das Recht des Stärkeren und Elitendenken. Aber auch scheinbar unpolitische Mainstreamprodukte wie Musik, Filme und Literatur können politisch aufgegriffen, modifiziert und vereinnahmt werden.
Rechtsextreme Aktivist:innen formulieren klare Strategien, um die kulturelle Hegemonie zu erobern. Kultur hat allerdings auch eine nicht politisch beherrschbare Eigendynamik. Sie lebt von der kreativen Partizipation der Nutzer:innen und den Dynamiken der analogen und digitalen Öffentlichkeiten. Provokative, plakative und subtile Botschaften werden dort aus ganz unterschiedlichen Gründen geteilt.
Mittlerweile rechnen manche rechtsextreme Kampagnen mit diesen Eigendynamiken und versuchen, Nutzer:innen als Multiplikator:innen anzusprechen, um Aufmerksamkeit und Reichweite zu generieren. Auch die kritische Auseinandersetzung oder satirische Kommentierung von rechten Inhalten kann ungewollt dazu beitragen. Genau das macht es schwer, wirksame und zielgerichtete Gegenstrategien zu entwickeln. Oft hängt es vom Kontext ab, ob mit Gegenrede, Auseinandersetzung, Ignorieren der rechten Inhalte oder mit Empowerment von Betroffenen reagiert werden sollte. Bevor man souverän handeln kann, sollte man sich daher mit den Ideen auseinandersetzen, die der Metapolitik zugrunde liegen. Dabei darf aber nicht vergessen werden, wie wichtig eigene, positive kulturelle Vorbilder sind, die auf Gleichheit, Neugier, Empathie und Partizipation beruhen.
Felix Schilk ist Soziologe und politischer Erwachsenenbildner. Seine Schwerpunkte sind Rechtsextremismus, Verschwörungstheorien und Antisemitismus. Aktuell arbeitet er an der Universität Tübingen im Projekt „REDACT: Researching Europe, Digitalisation and Cospiracy Theories“.
Weiterführende Informationen
• Mellea, Jessa (2024): Kameradschaft, Fitness und Faschismus. Active Clubs in Deutschland. In: CeMAS-Blog vom 19. Juni 2024, https://cemas.io/blog/active-clubs-in-deutschland/.
• Kampf um kulturelle Hegemonie. Wie die Neue Rechte sich der Popkultur bedient, Deutschlandfunk vom 1. April 2024 https://www.deutschlandfunkkultur.de/neue-rechte-popkultur-kulturelle-hegemonie-100.html.
• Online-Spiele. Wie Rechte die Gaming-Szene unterwandern, Deutschlandfunk vom 29. April 2024, https://www.deutschlandfunkkultur.de/rechtsextremismus-gaming-szene-twitch-discord-100.html.
• Vom Feed auf die Straße. Die völkischen KI-Memes von „Wilhelm Kachel“, Deutschlandfunk vom 29. August 2024, https://www.deutschlandfunk.de/rechtsextreme-memes-kuenstliche-intelligenz-wilhelm-kachel-propaganda-100.html.
• Podcast „Kanal Schnellroda“. Ideologischer Angriff auf den gesellschaftlichen Diskurs, Deutschlandfunk vom 29. August 2024, https://www.deutschlandfunk.de/neue-rechte-erinnerungskultur-kanal-schnellroda-geschichtsrevisionismus-100.html.
GLOSSAR
Kulturelle Hegemonie
ist ein Begriff aus dem Werk des italienischen Marxisten Antonio Gramsci. Er bezeichnet damit in der Gesellschaft zustimmungsfähige Ideen. Die > Neue Rechte eignet sich Gramscis damit verbundene Strategie an und sieht, solange sie keine Massenbewegung hinter sich hat, die Erlangung der „Diskurshoheit“ als taktisches Ziel. Konkret geht es um die Verankerung eigener Positionen in öffentlichen Debatten – zum Beispiel durch publizistische Aktivitäten.
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Mainstreaming
ist eine Strategie, die u. a. Rechtsextreme nutzen, um ihre Ideen in die Gesellschaft zu tragen. Ziel des rechtsextremen Mainstreamings ist es, den öffentlichen Diskurs in Richtung extremer Positionen zu verlagern, ohne dass dies so wahrgenommen wird. Die direkte Folge ist weniger Widerspruch gegen extremistische Ideologien und eine größere Akzeptanz der Akteure – und letztlich zuvor abgelehnter Aussagen sowie die Verschiebung der Grenzen des Sagbaren in Richtung rechtsextremer Ideologie.
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Memes (Internet-Memes)
sind digitale Medieninhalte wie Bild-Text-Kombinationen, Kurzvideos oder GIFs, die von Nutzerinnen und Nutzern reproduziert, abgewandelt und verbreitet werden und durch massenhafte Bezugnahme viral gehen. Memes sind oft humorvoll oder satirisch, sie können auch politische oder menschenfeindliche Ideologien transportieren.
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Metapolitik
Kunst und Kultur, Lifestyle und verschiedene popkulturelle Phänomene spielen eine große Rolle für die Bestrebung der > Neuen Rechten, ihre Ideologien und Feindbilder mehrheitsfähig zu machen. Zentral ist dafür „Metapolitik“ – eine strategische Einflussnahme auf die Gesellschaft abseits von Wahlen und Parteipolitik. „Metapolitik“ wird deshalb oft als „vorpolitischer Raum“ beschrieben. > „Kulturelle Hegemonie“ ist das Ziel von „Metapolitik“.
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Neue Rechte
bezeichnet eine Strömung zur Erneuerung des Rechtsextremismus in Abgrenzung zur am Nationalsozialismus orientierten „alten“ Rechten. Ausgangspunkt ist die Nouvelle Droite um den Philosophen Alain de Benoist. Ideologische Elemente sind die Ablehnung von Individualismus, Liberalismus, Parlamentarismus und gesellschaftlicher Vielfalt sowie Vorstellungen eines homogenen, hierarchischen und autoritären Staats. Die Neue Rechte bezieht sich auf autoritäre Denker der „Konservativen Revolution“ wie des Faschismus, um eigene Positionen im öffentlichen Diskurs zu verankern (> „Kulturelle Hegemonie“).
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