„Fake News”: digitale Bildung festigt die Demokratie

Shut­ter­stock /​ Geor­gejmclittle

Das Phänomen der Fake News könnte sich in Zukunft noch verstärken. Ändern lasse sich das kaum, meint Alexandra Borchardt. Deshalb seien Kampagnen zur digitalen Mündig­keit mindes­tens so notwendig wie einst jene zur Alpha­be­ti­sie­rung. Finnland mache vor, wie das geht.

Für dieje­nigen, die mit der rasanten Verbrei­tung von „Fake News“ das Ende der Demo­kratie heran­nahen sehen, dürfte 2020 ein beun­ru­hi­gendes Jahr werden. Die Wahlen in den USA und ein Amts­ent­he­bungs­ver­fahren gegen den amtie­renden Präsi­denten Donald Trump stehen an, beides wird das Land weiter pola­ri­sieren und die Bürger eher empfäng­li­cher für Lügen und allerlei Verschwö­rungs­theo­rien machen. Erfah­rungs­gemäß schwappen die Debatten darüber unge­bremst über den Atlantik. In Groß­bri­tan­nien wurde schon gewählt, und wenn­gleich selbst hart­ge­sot­tene Digital-Pessi­misten sich schwer damit tun sollten, das klare Votum für Premier Boris Johnson und gegen Labour-Heraus­for­derer Jeremy Corbyn der Aktivität von Troll­fa­briken oder ähnlichem zuzu­schreiben, gehörten Falsch­in­for­ma­tionen und die Debatte darum im Wahlkampf zum perma­nenten Grund­rau­schen. Wie sehr müssen wir uns also fürchten?

Man könnte sagen: sehr. Und genau darin liegt eine Chance. Die Verbrei­tung von „Fake News“ und die Debatte darüber müssen ein Anlass dafür sein, Bürger im großen Stil fit für die neue Kommu­ni­ka­tions-Welt zu machen. Kampagnen zur digitalen Mündig­keit sind mindes­tens so notwendig wie einst jene zur Alpha­be­ti­sie­rung, die die Menschen fit für die Welt des gedruckten Wortes und die Demo­kra­ti­sie­rung möglich gemacht haben. 

Portrait von Alexandra Borchardt

Alexandra Borchardt ist Jour­na­listin und Autorin von ‚Mehr Wahrheit wagen – Warum die Demo­kratie einen starken Jour­na­lismus braucht‘

Gleich vorweg: Das Phänomen der Falsch­in­for­ma­tion als solches wird nicht nur bleiben, es wird sich verstärken. Künst­liche Intel­li­genz ermög­licht es schon jetzt selbst Laien, für wenig Geld soge­nannte deep fakes zu kreieren, also zum Beispiel täuschend echt wirkende Videos von Poli­ti­kern mit entspre­chenden Tonspuren zu basteln. Und die tech­ni­schen Möglich­keiten dafür verbes­sern sich schneller als die Werkzeuge, um den Verur­sa­chern das Handwerk zu legen. Hacker und Geheim­dienste in aller Welt werden dies aus verschie­densten Motiven heraus zu nutzen wissen. Die Produk­ti­ons­seite lässt sich also kaum in den Griff bekommen.

Algo­rithmen anpassen

Etwas besser stehen die Chancen dafür, das Übel auf Seiten der Verteiler zu bekämpfen. Die Plattform-Konzerne haben die Infor­ma­tionen bislang weit­ge­hend ungeprüft und nur nach kommer­zi­ellen Kriterien gewichtet in die Welt geblasen. Sie könnten eben diese Gewich­tung ändern, sprich, ihre Algo­rithmen anpassen und Nach­richten von vertrau­ens­wür­digen Quellen höher bewerten als jene von unbe­kannten oder gar erwie­se­ner­maßen zwei­fel­haften. Der Müll würde so zwar nicht aus dem Netz verschwinden aber weniger sichtbar und damit auch seltener geteilt werden.

Die Jour­na­lism Trust Initia­tive, initiiert und getragen von der Orga­ni­sa­tion Reporter ohne Grenzen, der European Broad­cas­ting Union und anderen namhaften Medien-Insti­tu­tionen, hat hier wichtige Vorarbeit geleistet. Nun müssen die Konzerne das Übel auch anpacken wollen, notfalls unter mehr oder weniger sanftem Druck von Regu­lie­rung­be­hörden. Hier liegt zugegeben ein Risiko, denn Regu­lierer könnten sich auf diese Weise auch dem Einfluss kriti­scher Stimmen entle­digen. Man möchte weder einem Donald Trump noch einem Viktor Orban das Privileg zubil­ligen, über die Qualität von Jour­na­lismus zu urteilen. Dies sollte Gremien über­lassen bleiben, die sich der Neutra­lität und Fakten­treue verschrieben haben.

Am wich­tigsten ist es aller­dings, bei den Empfän­gern anzu­setzen. Bislang wissen nur die wenigsten Bürger, nach welchen Kriterien Inhalte im Netz verteilt werden und an ihre Adres­saten gelangen, wer Zugang zu diesen Kanälen hat und wie leicht sich erlogene aber täuschend echt wirkende Infor­ma­tionen erstellen lassen. Auch über die Besitz­ver­hält­nisse der digitalen Infra­struktur sind eher nur die Fachleute infor­miert. Zumindest kann nicht voraus­ge­setzt werden, dass jedem Nutzer klar ist, dass hinter der Kurzvideo-Plattform TikTok ein chine­si­scher Konzern steckt. Davon abgesehen, dass auch dieje­nigen, die es wissen, mit TikTok arbeiten oder es nutzen – aus Spaß, oder weil man damit eben viele Kunden erreicht.

„Finnland ist winning the war“

Noch am ehesten kann voraus­ge­setzt werden, dass das Publikum zumindest Grund­kennt­nisse darüber hat, wie Jour­na­lismus funk­tio­niert. Dass sich Reporter und Redak­teure im Normal­fall an ethische und hand­werk­liche Regeln gebunden fühlen – Beispiele sind das Vier-Augen-Prinzip und das Einholen mehrerer Quellen – haben viele Bürger schon gehört, auch wenn sie es nicht immer glauben. Und ein Großteil der Bevöl­ke­rung verlässt sich eher auf etablierte Marken wie die „Tages­schau“, Sender wie die BBC oder auf ihre Lokal­zei­tung als auf zwei­fel­hafte „Experten“, die manch ein Facebook-Beitrag nach oben schwemmt. Das lässt sich aus Medi­en­konsum-Studien wie dem Digital News Report ablesen.

Aber all das ist keine Selbst­ver­ständ­lich­keit. Aufklä­rung tut also Not. Bislang funk­tio­niert das am besten in der jungen Gene­ra­tion. Junge Leute betrachten „Fake News“ eher als Beläs­ti­gung denn als echte Gefahr. Viele von ihnen haben gelernt, sich durch die Abgründe des Internets zu navi­gieren – um den Preis, dass sie allen Infor­ma­tionen mit größerer Skepsis begegnen als die älteren Gene­ra­tionen, inklusive dem Quali­täts­jour­na­lismus. Sie bringen sich das gegen­seitig bei oder lernen es in der Schule, wo es natürlich die beste Infra­struktur für digitale Bildung gibt.

Anders geht es den Älteren. Sie sind einer­seits anfäl­liger für Falsch­mel­dungen, weil sie weniger über die Online-Welt wissen, ande­rer­seits aber auch verletz­li­cher, weil sie gezielt von Algo­rithmen als mutmaß­lich leichte Beute ange­steuert werden. Es ist erwiesen, dass Senioren sehr viel häufiger Falsch­mel­dungen bekommen und teilen als ihre Enkel. Bildungs­pro­gramme für dieje­nigen, die Schule und Univer­sität bereits verlassen haben, sind also exis­ten­tiell, wenn einem der aufge­klärte Umgang der Bevöl­ke­rung mit der Kommu­ni­ka­tions- und Infor­ma­ti­ons­in­fra­struktur am Herzen liegt. Dies sollte und muss in allen Demo­kra­tien der Fall sein. Am Beispiel Finnland lässt sich ablesen, dass das recht ordent­lich funk­tio­nieren kann. Eine 2014 begonnene Aufklä­rungs­kam­pagne über „Fake News“ war so erfolg­reich, dass CNN in einem Feature bereits trium­phierte: „Finnland is winning the war on fake news“. Selbst aus Singapur seien Regie­rungs­ver­treter angereist, um das Erfolgs­re­zept zu kopieren. Aber auch anderswo gibt es gute Initia­tiven für gene­ra­tio­nen­über­grei­fende digitale Bildung, zum Beispiel in Tsche­chien.

Dort, wo diese Aufklä­rung nicht existiert, ist die Wahr­schein­lich­keit groß, dass Regie­rungen gar kein Interesse an der digitalen Mündig­keit ihrer Bürger haben. Eine verwirrte Öffent­lich­keit ist anfäl­liger für einfache, popu­lis­ti­sche Inter­pre­ta­tionen der Lage, eine kritische Presse und unan­ge­nehme Fakten stören so manch einen Amts­träger nur. Digitale Bildung darf deshalb nicht nur in der öffent­li­chen Hand liegen. Wer dazu beiträgt, dient der Demo­kratie. Unab­hän­gige Medien zum Beispiel können gar nicht genug dafür tun.

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