Alle gegen Bibi: Die außer­ge­wöhn­liche Koalition hält – bisher

Foto: twitter.com/IsraeliPM/

Zum Erstaunen aller Experten funktio­niert die israe­lische Koalition, in der Parteien von links bis ganz rechts – und erstmalig auch eine islamis­tisch-arabische – sich zusam­men­getan haben noch immer. Nun hat sie einen Haushalt verab­schiedet. Andere labile Demokratien können vom israe­li­schen Weg lernen, meint Richard C. Schneider in seiner Kolumne.

Es ist schon über eine Woche her, dass die Regierung des israe­li­schen Premiers Naftali Bennett den Staats­haushalt für 2021 und 2022 verab­schiedet hat – und niemanden inter­es­siert das mehr. Nun könnte man meinen, dass dies doch völlig normal sei. Doch wer die politische Lage in Israel kennt, weiß, dass dem nicht so ist. Denn das israe­lische Gesetz sieht wie folgt aus: Wenn eine Regierung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt das Budget nicht durch­bringt, wird automa­tisch die Knesset, das israe­lische Parlament, aufgelöst. Neuwahlen sind dann die Folge.

Insofern war die Verab­schiedung des Budgets dieses Jahr ein Lackmus-Test für diese so ungewöhn­liche, ja, unmög­liche Koalition: Acht Parteien von ultra-links bis ultra-rechts plus einer arabi­schen, islamis­ti­schen Partei bilden die Regierung. Kann das gut gehen? Als diese Koalition im Juni ihre Arbeit aufnahm, dachte jeder, sie werde keine zwei Monate durch­halten. Besonders Ex-Premier Benjamin Netanyahu gab sich überzeugt, schon ganz bald die Macht, die er elf Jahre in Folge innehatte, zurück­zu­ge­winnen. Als Opposi­ti­ons­führer versuchte er mit allen sauberen und unsau­beren Tricks rechte Koali­ti­ons­mit­glieder aus dem Verbund heraus­zu­locken. Denn Premier Bennett hat in der Knesset nur eine einzige Stimme Mehrheit. Die Gefahr, dass irgend­jemand das wackelige Kartenhaus, genannt Koalition, zum Einsturz bringen lässt, ist groß. Doch – zur Überra­schung aller – die Regierung hält bislang. Und Netanyahu sieht seine Chancen für ein Comeback schwinden.

Der kleinste gemeinsame Nenner: Die liberale Demokratie

Nun darf man nicht in Jubel ausbrechen, wenn man ein politi­scher Gegner Netan­yahus ist. Er wird weiterhin versuchen, diese Regierung zu stürzen. Er ist schlau und klug zugleich, er ist ein genialer, allzu genialer Populist. Doch er hat auch eklatante Fehler in den letzten Jahren gemacht: er hat so ziemlich alle seine Mitar­beiter oder Koali­ti­ons­partner hinter­gangen und betrogen. In der neuen Regierung gibt es allein fünf Parteien, die von einstigen Wegge­fährten oder Koali­ti­ons­partnern gegründet wurden – aus Wut und Enttäu­schung über Netanyahu. Sie alle, gemeinsam natürlich mit den linken Parteien und der arabi­schen Ra’am, eint der absolute Wille, eine Rückkehr Netan­yahus in den Amtssitz des Premier­mi­nisters in Jerusalem zu verhindern. Denn sie alle mussten erkennen, dass Netanyahu, vor allem seitdem er als Angeklagter wegen mutmaß­licher Korruption in drei Fällen vor Gericht steht, seine Inter­essen vor die des Staates gestellt hat. Dass er die Gesell­schaft spaltete, vom „tiefen Staat“ sprach, die Justiz, die Polizei, die Medien als seine Feinde und als korrupt bezeichnete, als Feinde des Volkes. Der Premier eines demokra­ti­schen Staates misstraut dem Staat, dem er selbst vorsteht. Dieses Szenario ist der Welt vor allem durch Donald Trump bekannt geworden. Aber es existiert in vielen, vielen anderen Teilen der Welt auch, wo Demokratie offiziell noch existiert, siehe Ungarn, siehe Polen, siehe Brasilien, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Doch wie schnell Demokratien zu kippen drohen, kann man am Beispiel von Sebastian Kurz in Öster­reich sehen. So eben auch in den USA und in Israel.

Was aber könnte die demokra­tische Welt von der aktuellen israe­li­schen Regierung lernen? Die beiden Harvard-Profes­soren Daniel Ziblatt und Steven Levitsky haben 2017 in ihrem Buch „How Democracies die“ Wege aufge­zeigt, wie Demokratien im 21. Jahrhundert zu Fall gebracht werden, aber auch, wie man sie retten kann. Sie verweisen auf zwei Beispiele aus den 1920/​30er Jahren in Belgien und Finnland. Dort drohten rechts­extreme Parteien an die Macht zu kommen. Was geschah? Alle demokra­ti­schen Parteien verbün­deten sich, bildeten Regie­rungen, um so die Demokratie zu retten. Dabei war man bereit über ideolo­gische Zwistig­keiten hinweg­zu­sehen, die Rettung der Demokratie war wichtiger.

Etwas ähnliches versuchen nun die acht Parteien in Israel. Und sollten sie durch­halten, sollte Netanyahu irgendwann aufgeben, dann hätte die Koalition ihr Ziel erreicht. Was natürlich noch lange nicht bedeutet, dass Israel nicht auch in Zukunft mehrheitlich politisch rechts stehen wird. Aber wenn schon, dann – und das ist die Hoffnung aller – zumindest im demokra­ti­schen Rahmen, der mit Sicherheit seine Schwächen und Fehler hat. Der aber doch auf jeden Fall besser ist als jegliche populis­tische Regierungsform.

 

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