Belarus: Was Bundes­re­gierung und EU tun können

Foto: Julia Baier

Lukaschenko hat jeden Rückhalt in der Bevöl­kerung verloren. Der Ruf nach Freiheit lässt sich nicht mehr unter­drücken. In dieser Situation ist eine entschiedene Haltung der Bundes­re­gierung und der EU gefordert. 

Bis vor ein paar Wochen lag Belarus im toten Winkel der europäi­schen Öffent­lichkeit. Ein hartes autori­täres Regime, ein vorsint­flut­licher Allein­herr­scher, kaum Aussicht auf Verän­derung. Das hat sich gründlich gewandelt. Wer ein Herz für die Ideale der fried­lichen Revolution von 1989/​90 hat, schaut mit Sympathie auf dieses Land. Immer mehr Menschen gehen auf die Straße und fordern Lukaschenkos Rücktritt. Es gibt keine Regie, keine organi­sierte Kampagne – die Bewegung ist spontan, selbst­or­ga­ni­siert, ohne eine klare Führung. Auch die Arbeiter der Staats­be­triebe, bislang ein Rückhalt für den letzten Allein­herr­scher westlich Russlands, pfeifen ihn aus. Angesichts massiver Wahlfäl­schungen und der exzes­siven Gewalt gegen fried­liche Proteste verliert der Diktator jeden Rückhalt in der Bevöl­kerung. Der Ruf nach Freiheit lässt sich nicht mehr unterdrücken.

Inzwi­schen schließen sich auch ehemalige Minister, Journa­listen des Staats­fern­sehens und Angehörige der Sicher­heits­kräfte der Opposition an. Als letzten Rettungs­anker beschwört Lukaschenko den Unions­staat mit Russland und behält sich vor, Putin um „brüder­liche Hilfe“ zu bitten. In dieser Situation ist eine entschiedene Haltung der Bundes­re­gierung und der EU gefordert. Das bedeutet vor allem:

  • Die europäi­schen Demokratien müssen auf die sofortige Freilassung der vielen Tausend Festge­nom­menen drängen und die Sanktionen verschärfen, falls das Regime weiter mit Gewalt gegen die außer­par­la­men­ta­rische Opposition vorgeht. Besonders dringlich ist das Schicksal der rund 80 Frauen und Männer, die seit Beginn der Proteste spurlos verschwunden sind.
  • Der Schlüssel für eine fried­liche Lösung in Belarus ist die Wieder­holung der Präsi­dent­schaftswahl. Sie war von A bis Z eine Farce. Die Opposition wurde massiv behindert, die Wahler­geb­nisse massiv gefälscht. Es springt zu kurz, lediglich eine „Überprüfung“ der Wahl zu fordern, wie es die Bundes­re­gierung angekündigt hat. Dafür gibt es keine belastbare Grundlage. Eine legitime politische Autorität kann nur aus einer Wieder­holung der Präsi­dent­schaftswahl und einer anschlie­ßenden Neuwahl des Parla­ments hervor­gehen. Die Organi­sation für Sicherheit und Zusam­men­arbeit in Europa (OSZE) muss gewähr­leisten, dass die Wahlen frei und fair verlaufen. Dafür sollte sich die EU stark machen.
  • Lukaschenko spielt auf Zeit. Nachdem es nicht gelungen ist, die Proteste mit Blend­gra­naten, Gummi­knüppeln, Verhaf­tungen und Misshand­lungen zu ersticken, bekundet er jetzt seine Kompro­miss­be­reit­schaft, will aber weiter das Heft in der Hand behalten. Darauf darf sich die EU nicht einlassen. Lukaschenko hat seit der Fake-Wahl vom 9. August kein legitimes politi­sches Mandat mehr. Er ist nur noch ein Fake-Präsident, der so schnell wie möglich abtreten muss, um den Weg für einen Neuanfang frei zu machen.
  • Eine russische Militär­in­ter­vention ist gegen­wärtig nicht wahrscheinlich. Das politische Risiko wäre hoch, und der Kreml besitzt andere Möglich­keiten, die Entwicklung in Belarus in seinem Sinn zu beein­flussen. Aber Putin hat diese Option nach seinem Telefonat mit Lukaschenko ausdrücklich offen­ge­lassen. In dieser Frage sollten Angela Merkel und die EU sehr klar sein. Der Kreml muss wissen, dass eine militä­rische Inter­vention in Belarus empfind­liche Sanktionen nach sich ziehen würde.
  • Im Unter­schied zur Ukraine im Jahr 2014 drehen sich die Proteste in Belarus nicht um eine Entscheidung zwischen Russland und Europa. Auf dem Maidan gab es ein Meer von EU-Fahnen, auf den Kundge­bungen in Minsk sind allein die weißrus­si­schen Farben zu sehen. Es geht um faire Wahlen, Rechts­staat­lichkeit und ein Leben in Freiheit. Das sollte die EU ebenso respek­tieren wie die russische Führung. Berlin und Brüssel sollten sich für nichts anderes als die demokra­ti­schen Werte einsetzen, für die auch die Menschen in Belarus kämpfen – das aber ohne Wenn und Aber.

Die fried­liche Revolution in Belarus verdient unsere volle Solida­rität. Ein demokra­ti­sches Belarus wäre ein Gewinn für die Freiheit und Sicherheit Europas.

 

Der Text erschien zuerst am 18.08.2020 auf t‑online.de.